"Katastrophe für die Energie-Branche: Habeck muss auch sein letztes Vorhaben begraben", stand vor wenigen Tagen als Schlagzeile zu lesen.

Das letzte Vorhaben nennt sich Kraftwerkssicherheitsgesetz. Damit sollten ab 2025 über 12.000 Megawatt neue Kraftwerke ausgeschrieben werden. Die sollten einspringen, wenn im und nach dem Kohleausstieg Sonne und Wind nicht genügend Strom liefern. 2035 soll das deutsche Stromsystem dank Energiewende dann klimaneutral sein.

Eine Katastrophe zeichnet sich hier bislang nicht ab. 2024 erreichten die erneuerbaren Energien mit 55 Prozent am erzeugten Strom einen neuen Rekordanteil, gab der Energiebranchenverband BDEW am Mittwoch bekannt. Eine Folge davon: Die CO2-Emissionen der Energiewirtschaft sanken laut BDEW gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent auf 188 Millionen Tonnen.

Deutschland erfreue sich weiter einer hohen Versorgungssicherheit, lobte BDEW-Chefin Kerstin Andreae am Mittwoch. Nur für knapp 13 Minuten sei im letzten Jahr Strom nicht verfügbar gewesen. Dieser internationale Spitzenwert sei 2024 gehalten worden, sagte sie.

Deutschland importierte so viel Strom wie nie

Unter der Oberfläche rumort es bei der Energiewende aber ordentlich. So erklärt sich der Erneuerbaren-Rekord auch daraus, dass in diesem Jahr aus deutschen Kraftwerken insgesamt weniger Strom in die Netze floss. 2023 waren es noch mehr als 500 Milliarden Kilowattstunden, 2024 laut BDEW nur noch 489 Milliarden – ein Rückgang um 2,4 Prozent.

Um den Strombedarf aber decken zu können, musste Deutschland in diesem Jahr 24 Milliarden Kilowattstunden importieren – so viel wie nie zuvor. 20 Milliarden davon stammten laut den BDEW-Angaben aus dem atomstromlastigen Frankreich.

Zur Wahrheit gehört weiter: Der Photovoltaik-Ausbau findet größtenteils auf privaten Dächern statt, und der Ausbau der Windkraft an Land schwächelt nach einem kurzen Boom schon wieder.

Ein modernes Gaskraftwerk mit einem Schornstein, schräg vom Werkstor aus gesehen, auf einem Schild steht der Name des Eigentümers Leag.
Auch dieses von Siemens Energy neu gebaute Gaskraftwerk bei Neu-Ulm ist nicht wasserstofffähig. (Bild: Thomas Looniverse/​Wikimedia Commons)

Als Hauptmanko der Energiewende machte Kerstin Andreae erneut das Fehlen steuerbarer Kraftwerksleistung aus. Genau dem sollte das Kraftwerkssicherheitsgesetz von Habeck eigentlich abhelfen. Von den 12.000 Megawatt sollten dabei 7.000 sogenannte wasserstofffähige Gaskraftwerke sein und 5.000 Megawatt nicht umzurüstende fossile Erdgaskraftwerke.

Damit das mit der Klimaneutralität 2035 zusammenpasst, sollten beispielsweise die Erdgasanlagen nur ein paar hundert Stunden im Jahr laufen. Parallel sollte das vom Wirtschaftsministerium ebenfalls geplante und im Bundestag nunmehr ebenso scheiternde CO2-Speicher-Gesetz die Option öffnen, die CO2-Emissionen der fossilen Gasanlagen abzuscheiden und lagern.

Umweltschützer sind über diese Kombination von Erdgas und CCS-Technologie entsetzt. Für Zeiten, in denen weder Wind noch Sonne ausreichend Energie liefern, brauche es nachhaltige Lösungen – darin sei man sich mit der Bundesregierung einig, betont etwa Sascha Müller-Kraenner. Doch der Fokus auf neue Kraftwerke, und hier auch noch auf fossile Gaskraftwerke, statt auf Batteriespeicher führe in die falsche Richtung, kritisiert der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Energiebranche sieht keine Investitionsgrundlage für H2-Kraftwerke

Nicht nur Speicher blieben bei Habecks Kraftwerksvorlage unterbelichtet. Die Erneuerbaren-Branche sah das lange drohende Inkrafttreten des Gesetzes insgesamt eher als Katastrophe an. Die Möglichkeiten dezentraler Backups im Stromsystem wie Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, Speicher und sauberer Kraft-Wärme-Kopplung sowie Verbraucherflexibilität mit Smart Metern, Wärmepumpen und E‑Mobilität plus dynamischen Tarifen und variablen Netzentgelten fehlten in Habecks Kraftwerkskonzept völlig, merkte der Erneuerbaren-Verband BEE ein ums andere Mal so kritisch wie politisch folgenlos an.

Doch die Kombination von Gas mit CCS wird es an deutschen Kraftwerken voraussichtlich nicht geben, stellte BDEW-Chefin Andreae am Mittwoch heraus. Das CO2 könne nur offshore in Küstenbereichen unterirdisch gespeichert werden. Dazu sei eine CO2-Infrastruktur nötig, diese werde aber zur Herstellung von "blauem" Wasserstoff und für die CO2-Abscheidung in der Grundstoffindustrie gebraucht.

Auch bei den wasserstofffähigen Anlagen hat Habeck die Rechnung offenbar ohne die Branche gemacht. Aus den Rückmeldungen der Unternehmen sei klar gewesen, der gesetzliche Rahmen werde nicht zu Investitionen in die neuen wasserstofffähigen Gaskraftwerke führen, machte die BDEW-Chefin am Mittwoch klar. Sie plädierte dafür, nach der Wahl möglichst schnell am vorliegenden Gesetzentwurf anzusetzen. Die Branche werde dazu auch Vorschläge machen.

 

Die ersten Vorstellungen, wie das deutsche Stromsystem sicher bleiben und klimaneutral werden könnte, hatte Habeck übrigens schon im Juni letzten Jahres mit seiner "Kraftwerksstrategie 2023" vorgelegt. Die damalige Kritik der Branchen daran hat im Kern bis heute Bestand.

Zwar gingen noch anderthalb Jahre ins Land, bis das Wirtschaftsministerium aus der Strategie ein Gesetz gebastelt hatte – in der ganzen Zeit habe sich das Ministerium jedoch geradezu katastrophal beratungsresistent gezeigt, wussten Teilnehmer an einschlägigen Gesprächen zu berichten.

Am Ende ist das Kraftwerksgesetz weniger an der oppositionellen Union gescheitert als am Wirtschaftsminister der Regierung selbst. Dass die Energiewende derzeit stockt, ist auch hausgemacht.