Roter Nahverkehrszug der Deutschen Bahn auf zweigleisiger, elektrifizierter Strecke, in einer leichten Kurve von vorne oben aufgenommen.
Die Bahn fährt schon elektrisch, aber noch nicht überall und noch nicht mit echtem Grünstrom. (Foto: Thomas B. Didgeman/​Pixabay)

Wegschauen geht nicht mehr. Die eine oder der andere konnte die kaum zu ignorierenden Klimaveränderungen noch verdrängen. Die Sünde, sich von fossilen Energieträgern aus den blutverschmierten Händen Putins abhängig gemacht und in Abhängigkeit gehalten zu haben, ist jetzt noch offensichtlicher. Sie kann und darf nicht ohne einschneidende Konsequenzen bleiben.

Auf die Klimakrise, wie auch auf die Finanzierung von Diktatoren wie Putin und Co, kann es nur eine Antwort geben: Raus aus den fossilen Energien, und das so schnell wie möglich – so schnell, wie es ohne völlige Verwerfungen in unserem Land geht, aber auch dann, wenn es erhebliche Anpassungen erfordert!

Deutschland ist der sechstgrößte Erdölimporteur der Welt. Die Abhängigkeit von Russland ist in den letzten Jahren sogar massiv gestiegen. Über 70 Prozent des Ölverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Verkehrssektor. Dort werden zu über 90 Prozent Kraftstoffe aus Mineralöl eingesetzt.

In den Verbrennungsmotoren wird jedoch weniger als die Hälfte der eingesetzten Energie für den Antrieb umgewandelt, ein großer Anteil geht als Abwärme verloren. Batterieelektrische Autos weisen eine deutlich höhere Energieeffizienz auf.

Die Bahn fährt heute bereits überwiegend elektrisch, ist aber zu schwach aufgestellt, um im Personen- wie im Güterverkehr eine stärkere Rolle spielen zu können. Dies alles unterstreicht einmal mehr die hohe Bedeutung der Verkehrswende.

Wir müssen Verkehr so gut wie möglich auf die leistungsfähig auszubauende Schiene verlagern. Die Ampelkoalition hat sich gerade im Bahnbereich auf sehr ehrgeizige Ziele und konkrete Maßnahmen verständigt.

Mobilitätsgarantie

Vereinbart wurde, das Schienennetz mit einigen großen und vielen kleinen Erweiterungen auszubauen und deutlich mehr als die heutigen 60 Prozent der Strecken mit Oberleitung zu versehen. Diese Vorhaben sollen schneller vorankommen als bisher, indem Planungen vereinfacht, bürokratische Prozesse entschlackt und an den entscheidenden Stellen mehr Personal eingesetzt werden.

Wir müssen beim Bau von Oberleitungen wegkommen vom Bedenkenträgertum und von zeitraubenden Schleifen durch unsinnige Bewertungsmethoden. Wo sich Oberleitungen nicht anbieten, müssen wir auf alternativ angetriebene Fahrzeuge wie Akkuzüge setzen. So sollte es sich auf der Schiene im Jahr 2030 weitestgehend ausgedieselt haben.

Wichtig ist natürlich, dass auch der Bahnstrom vollständig "grün" wird. Kohlestrom muss durch Ökostrom ersetzt werden. Dafür bietet es sich an, Flächen entlang von Bahnstrecken und auf Dächern von Bahnhöfen für die Stromerzeugung mit Sonne und Wind zu nutzen.

Wenn dies deutlich vor dem Jahr 2038 gelingt, dann ist die Bahn bei der Dekarbonisierung deutlich schneller als die Straße und erst recht als der Schiffs- und der Luftverkehr. Noch dazu ist die Bahn durch die geringe Rollreibung zwischen Stahlrädern und Fahrweg sehr effizient unterwegs.

Gute Gründe also, die Bahn durch Reaktivierung stillgelegter Strecken und den Aus- und Neubau wieder stärker in die Fläche zu bringen. 117 Mittelzentren ohne oder ohne regelmäßige Bahnangebote zeigen, dass derzeit viele Menschen nicht erreicht werden und eine Bahnoffensive gestartet werden muss. Diese kann eine Säule einer Mobilitätsgarantie sein, mit der – vor allem in den ländlichen Räumen – ein verlässliches Grundangebot an öffentlichen Verkehrsmitteln gewährleistet wird.

Weniger Autos

Bessere Angebote der Bahn (und natürlich auch der Busse) werden für eine Verkehrswende aber nicht ausreichen. Wer ein Auto besitzt und es gewohnt ist, dieses für einen Großteil der Wege zu nutzen, wird das eigene Verhalten zumeist nicht wegen eines attraktiveren öffentlichen Verkehrsangebotes verändern.

Selbst hohe Spritpreise wie in den letzten Wochen bewirken alleine wenig. Individuelles Mobilitätsverhalten folgt nicht bewussten und schon gar nicht rationalen Entscheidungen, sondern der Gewohnheit, ja der – durchaus menschlichen – Trägheit.

Die Verknappung und Bepreisung von öffentlichem Parkraum in den Städten kann ein Ansatz sein, wie das Beispiel Wien zeigt. Gerade für die meisten Kurzstrecken gibt es mit dem Fahrrad oder dem Zufußgehen bessere Verkehrsmittel als das Auto. Und doch entfallen 43 Prozent aller Autofahrten auf Distanzen von bis zu fünf Kilometer. Eine für den Rad- und Fußverkehr sicher ausgebaute Infrastruktur macht den Umstieg einfacher.

Matthias Gastel

ist seit 2013 Bundes­tags­abgeordneter der Grünen. Der studierte Sozial­pädagoge und Ökonom ist Mitglied im Verkehrs­ausschuss und bahn­politischer Sprecher seiner Fraktion. In seinem Heimatort Filderstadt hat er das Aktions­bündnis "Ja zum Ausstieg aus Stuttgart 21" mitgegründet.

Beim Auto muss sich viel tun, wenn wir die fossile Abhängigkeit und die Verschwendung von Energie bestmöglich hinter uns lassen wollen – und wenn wir mehr Platz für andere Nutzungen als fürs flächenintensive Parken und damit zugunsten lebenswerter Orte schaffen wollen.

Der Fahrzeugbestand muss runter. Mobilität lässt sich entsprechend anders organisieren, da die Autos ohnehin im Durchschnitt 95 Prozent der Zeit ungenutzt herumstehen. Das Zauberwort heißt "Nutzen statt Eigentum", also gemeinschaftliche Verfügbarkeit.

Wir brauchen aber auch den möglichst schnellen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bei der Neuzulassung von Pkw. Bis spätestens 2030 sollte dies gelingen, zumal die Betriebskosten von batterieelektrischen Autos erheblich geringer sind als die der Verbrenner.

Dies alles ist mit der "Ampel" drin. Darüber hinaus wurden von diesem Dreier-Bündnis auch wichtige Einigungen für den Güterverkehr erzielt, so für die Verlagerung auf die Schiene durch den Ausbau von Gleisanschlüssen und Terminals oder die Ausweitung der Lkw-Maut.

Schwieriger sieht es an anderen Stellen mit dem Abbau ökologisch schädlicher Subventionen aus, so dem Dienstwagenprivileg, das fatale Anreize für schwere, verbrauchsintensive Autos schafft.

Die Verkehrswende kennt viele Gewinner: die Gesundheit, die Lebensqualität in den Dörfern und Städten, die Menschen, die weniger durch Umwelt- und Klimafolgen belastet sein werden, sie alle gehören dazu. Im Wesentlichen gibt es nur einen Verlierer: Putin und andere Diktatoren. Gut, daneben vielleicht auch noch so manche Gewohnheit ...

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