Nächtliche Aufnahme der Verdichterstation in Wolokolamsk westlich von Moskau auf dem Weg nach Riga in Lettland.
Verdichterstation bei Moskau an der Erdgaspipeline in Richtung Baltikum. (Foto: Iskra Perm/​Wikimedia Commons)

Die Europäische Union bezieht 40 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. Sollte Russland die Ukraine angreifen, könnte dieses Gas wegfallen, entweder wegen westlicher Sanktionen oder als russische Gegenmaßnahme auf andere westliche Sanktionen.

Leisten könnte sich das Russland. In Folge eines Krieges würde auch der Preis für Öl steigen, ein Produkt, das Russland auch an Länder außerhalb Europas verkaufen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gasspeicher in der EU derzeit weniger gut gefüllt sind als in einem normalen Jahr. Das liegt nicht zuletzt an Russland respektive Gazprom.

Die Speicher des staatlichen russischen Erdgaskonzerns in Europa sind nur zu 16 Prozent gefüllt, während die Speicher anderer Konzerne noch zu 44 Prozent gefüllt sind. Ein EU‑Dokument zum Energiemarkt kommt daher zum Schluss, Gazprom zeige ein "ungewöhnliches Geschäftsgebaren".

Europa ist allerdings nicht ganz unvorbereitet. Seit dem Jahr 2005 hat sich die Kapazität für den Import von Flüssigerdgas um den Faktor 3,4 erhöht. Im Jahr 2011 wurde eine zweite Pipeline von Algerien nach Spanien eröffnet und im Jahr 2020 wurde das letzte Teilstück des "Südlichen Gaskorridors" fertiggestellt, durch den Gas aus Aserbaidschan nach Europa gelangt.

Außerdem hat die EU die Verbindungen zwischen ihren Mitgliedsländern ausgebaut, sodass die meisten nun Erdgas aus verschiedenen Richtungen beziehen können. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte auf der Münchner Sicherheitskonferenz: "Selbst bei einer völligen Unterbrechung der Gasversorgung durch Russland sind wir diesen Winter auf der sicheren Seite."

Das war nicht immer klar. Wenn der Winter deutlich kälter gewesen wäre, wären heute die Gasspeicher noch deutlich leerer als jetzt.

LNG ist keine Alternative

Die gute Prognose bedeutet allerdings nicht, dass es nicht in einzelnen Ländern zu Problemen kommen kann. Vor allem im Osten der EU ist die Infrastruktur immer noch darauf ausgelegt, dass der größte Teil des Gases über Belarus oder die Ukraine kommt. Eine Komplettversorgung aus Westeuropa ist hier nicht vorgesehen.

Und dann ist in der EU Gas nicht gleich Gas. Im Nordwesten Europas wird "L‑Gas" genutzt und im Rest Europas "H‑Gas", das deutlich mehr Methan und damit Energie enthält. Weil die Infrastruktur auf die jeweilige Gassorte ausgerichtet ist, lässt sich das eine nicht problemlos durch das andere ersetzen.

Sollte Europa mehrere Jahre kein russisches Gas importieren, sähe die Lage dramatischer aus. Eine Analyse des belgischen Thinktanks Bruegel warnt: "Auf der Angebotsseite sind zwar einige freie Importkapazitäten vorhanden, doch wäre es im besten Fall sehr teuer und im schlimmsten Fall physisch unmöglich, die russischen Mengen vollständig zu ersetzen."

Das Hauptproblem beim Angebot ist die Verfügbarkeit von Flüssigerdgas. Wegen des hohen Gaspreises laufen die Anlagen zur Verflüssigung bereits an der Kapazitätsgrenze, und auch LNG-Tanker sind knapp. Zudem haben sich Länder in Asien einen Großteil des verfügbaren Flüssigerdgases über langfristige Verträge gesichert.

Auch beim Pipelinegas gibt es keine großen ungenutzten Potenziale. Einzig aus Algerien und Libyen ließe sich deutlich mehr Gas beziehen als heute. Die Produktion steigern könnte auch das niederländische Gasfeld Groningen. Dort wurde aber die Produktion gedrosselt, um Erdbeben zu vermeiden.

"Jedes Windrad und Solarmodul reduziert die Gas-Abhängigkeit"

Folglich müsste die Nachfrage sinken. Zum Teil bestünde die Möglichkeit, bei der Stromerzeugung Gas durch Öl oder Kohle zu ersetzen oder Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Zudem ließe sich in der Industrie Gas einsparen, indem besonders gasintensive Prozesse ausgesetzt werden.

Auch durch Verhaltensänderungen ließen sich Einsparungen erzielen. Doch all diese Maßnahmen würden sich laut der Bruegel-Analyse "für manche Länder als schmerzhaft erweisen".

Aber auch ohne Lieferstopp könnte es teuer werden, meint Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut. "Selbst wenn die Gaslieferungen nicht eingeschränkt würden, käme es zu einem Preisschock, jedenfalls vorübergehend", warnt Fuest.

Zurzeit liegt der sogenannte TTF-Gaspreis in den Niederlanden bei rund 75 Euro pro Megawattstunde und damit fünfmal so hoch wie im Jahr 2020. Wie hoch der Preis steigen kann, zeigt eine kurzfristige Preisspitze im Dezember: Damals kostete die Megawattstunde 166 Euro.

Hinzu kommt, dass ein steigender Gaspreis auch den Strompreis nach oben zieht. Dieser ist aktuell dreieinhalbmal so hoch wie letztes Jahr.

Langfristig setzt die EU auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Abhängigkeit von importiertem Gas zu reduzieren. "Die beste Lösung für mehr Energiesicherheit und für niedrigere Preise ist die beschleunigte Umsetzung des europäischen Green Deal", schreibt die EU in ihrer Energiemarkt-Analyse. "Jedes Windrad und jedes Solarpaneel reduziert sofort die Abhängigkeit von Gasimporten."

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