Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, der Jahresbericht der Weltwetterorganisation hat gezeigt, dass der Rückgang der globalen CO2-Emissionen durch Corona keinen spürbaren Effekt auf die Konzentration des Treibhausgases in der Atmosphäre hat. Haben sich auch Klimaschützer bei den Wirkungen der Pandemie etwas vorgemacht? 

Tim Meyer: Nein, das habe ich so jedenfalls nicht wahrgenommen. Im Frühling war zwar coronabedingt ein Rückgang bei den Emissionen in Deutschland und in anderen Ländern zu verzeichnen. Es war aber schon damals klar, dass das ein Strohfeuer sein würde. Ein wirtschaftlicher Abschwung ersetzt nun einmal keine ambitionierte Klimapolitik.

Unter dem Strich könnten sogar die negativen Auswirkungen von Corona auf das Klima überwiegen. Denn die Pandemie hat den Klimaschutz über viele Monate von der Agenda verdrängt, die Prioritäten in der Politik verschoben und es Fridays for Future und anderen Klimaakteuren deutlich erschwert, den nötigen gesellschaftlichen Druck aufrechtzuerhalten.

Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland und Europa heute eine wirksamere Klimaschutzpolitik aufs Gleis gesetzt hätten, wenn uns die Pandemie nicht den Schwung des Jahres 2019 genommen hätte.

Die EU-Kommission schickt den deutschen Braunkohleausstieg in die beihilfrechtliche Prüfung. Geraten die Milliarden-Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber noch einmal in Gefahr?

Die Entschädigungszahlungen sind Schweigegeld, damit die Braunkohlekonzerne nicht gegen die Stilllegung der Kraftwerke klagen. Dabei wird auch der Markt den Kohleausstieg regeln – und zwar deutlich billiger –, wenn der Ausbau der Erneuerbaren nicht mutwillig sabotiert wird.

Da genau dies nicht auszuschließen ist, finde ich den Ausstieg per Gesetz wichtig. Ihn für die Kraftwerksbetreiber zu vergolden, ist aber unnötig und geht auf Kosten der Steuerzahler. Deswegen ist es gut, dass die EU genauer hinschauen will.

Der designierte US-Präsident Joe Biden stellt seine Regierungsmannschaft auf, darunter klimapolitisch ausgewiesene Führungspolitiker wie John Kerry. Manche hoffen schon auf einen Schulterschluss von USA, EU und China für eine globale Klimawende – Sie auch? 

Mit Biden als US-Präsident wird sich in der globalen Klimapolitik wieder deutlich mehr bewegen. Trotzdem glaube ich nicht, dass sich die USA mir nichts, dir nichts vom Bremsklotz zum globalen Vorreiter wandeln. Die internationalen Verhandlungen werden auch weiterhin von nationalen Interessen bestimmt sein.

Und wenn Biden die US-Gesellschaft wirklich "heilen" will, wie er gesagt hat, wird er wohl leider keinen radikalen Klimakurs fahren können. Dafür ist der Anteil derer einfach zu groß, die seit jeher hinter dem besonders ressourcenhungrigen amerikanischen Lebensstil und mit voller Überzeugung auch hinter Trumps Politik stehen – und die Biden ja zumindest zum Teil mitnehmen will.

Grund zum Aufatmen ist die Wahl Bidens natürlich dennoch. Er weiß um die Brisanz der Klimakrise und hat versprochen, dass die USA unter seiner Regierung wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen beitreten.

Und überhaupt: Es wird wieder einen US-Präsidenten geben, mit dem die Weltgemeinschaft konstruktiv und gesittet über Klimaschutz verhandeln kann. Man soll sich ja auch über die kleinen Dinge im Leben freuen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Eigentlich waren für diese Woche im Bundestag die beiden letzten Verhandlungsrunden zur EEG-Novelle angesetzt. In der Tagesordnung der aktuellen Sitzungswoche fand sich das EEG dann aber recht überraschend nicht wieder – der Bearbeitungsbedarf ist einfach zu groß.

Es läuft nun also alles auf einen Showdown in den beiden letzten Sitzungswochen Mitte Dezember hinaus. Auch wenn durch die Verschiebung vielleicht noch wichtige Verbesserungen ermöglicht werden können: Diesen Nervenkitzel braucht wirklich niemand.

Zumal er vermeidbar war. Wäre der EEG-Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium auf der Höhe der Zeit gewesen, gäbe es jetzt nicht so viele offene Baustellen.

Richtig brenzlig wird es nun für die Betreiber bald ausgeförderter Windenergie- und Solaranlagen, die zurzeit in maximaler Unsicherheit leben. Das EEG in seiner derzeit gültigen Fassung sieht keinerlei Anschlussregelungen vor, der Kabinettsbeschluss zum neuen EEG 2021 ist in diesem Punkt unzureichend.

Zu allem Überfluss meldet der Berliner Flurfunk, dass aus dem Wirtschaftsministerium kein Vorschlag mehr für eine Altanlagenregelung im Windbereich zu erwarten sei. Der Scherbenhaufen, den das Ministerium hier angerichtet hat, wird nun also bei den Parlamentariern abgeladen, die kurz vor knapp eine konsensfähige Lösung ausformulieren müssen.

Und die Betreiber, die noch nicht mit einem Direktvermarkter handelseinig geworden ist – was sehr viele betreffen dürfte –, müssen nun zittern.

Mitte Dezember muss noch eine vernünftige Regelung beschlossen werden, die dann ab dem 1. Januar einen Weiterbetrieb ermöglicht. Denn für eine Direktvermarktung ab Januar ist der Zug jetzt abgefahren, die Vermarktungsdienstleister mussten die Anlagen zu Ende November entsprechend ummelden.

Wir müssen leider nicht erst in die USA schauen, um über Realitätsverweigerung in der Politik zu verzweifeln.

Fragen: Jörg Staude

Anzeige