Andreas Knie. (Foto: InnoZ)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.

Klimareporter°: Herr Knie, die Welt steht durch die Coronakrise still – statt für ein Meeting in ein Auto, den Zug oder gar ein Flugzeug zu steigen, trifft man sich virtuell oder schreibt eine Mail. Wie stark wirkt sich das auf die Klimabilanz aus?

Andreas Knie: Wir stellen nach gut zwei Wochen Shutdown einen extremen Rückgang der Verkehrsleistungen fest – jeweils im Vergleich zu den Vorwochen: Flugverkehr minus 95 Prozent, Eisenbahn minus 90 Prozent, Nahverkehr minus 80, Fahrrad minus 50, Auto minus 30 Prozent. Besonders betroffen sind Touristik- und Berufsverkehr.

Es ist nicht zu erwarten, dass unmittelbar nach einer schrittweisen Rücknahme der Beschränkungen der Berufs- und Ausbildungsverkehr in der gewohnten Weise hochfährt. Erste, aber noch sehr unsichere Befunde zeigen zwar, dass Homeoffice tatsächlich nur bedingt als Alternative zum Büroarbeitsplatz geeignet ist.

Dennoch ist es in einigen Branchen gelungen, die entsprechende technische Ausstattung sowie die notwendigen organisatorischen Veränderungen wie beispielsweise die Arbeitszeiterfassungen schnell anzupassen. Es wird daher vermutet, dass bei "Volllast" des Systems nur etwa 80 Prozent des ursprünglichen Verkehrsvolumens wieder erreicht werden.

Erwarten Sie einen gesellschaftlichen Lerneffekt für die Zeit nach Corona?

Ob wir tatsächlich etwas aus dem Shutdown lernen, hängt davon ab, wie lange diese Phase der Beschränkungen andauert und ob sich über diese Zeit wirkliche Alternativen als Routinen dauerhaft herausbilden können.

Wir beobachten zurzeit, dass die meisten Menschen diese Zeit zwar als außergewöhnlich bewerten und eine Minderheit, die über entsprechende finanzielle oder soziale Freiheiten verfügt, dem Shutdown sogar mehr Lebensqualität abgewinnt. Die große Mehrzahl aber erlebt diese Phase als eine erzwungene Situation, mit der man sich zwar arrangiert, die aber deutlich mehr Stress erzeugt.

Daher die Antwort: Nein! Es werden einige der erzwungenen Veränderungen überleben, aber ein genereller gesellschaftlicher Lerneffekt wird sich – Stand heute – nicht einstellen.

Die Autoindustrie lobbyiert jetzt schon dafür, Klimaschutz-Vorgaben zu verwässern, um die Wirtschaft nach Corona wieder anzukurbeln. Was empfehlen Sie der Klimabewegung strategisch?

Es fehlt zurzeit der Mut! Die Klimabewegung ist wie gelähmt. Wir brauchen jetzt einen "Reset-Plan". Wenn wir alles wieder so hochfahren, wie es vor dem Shutdown war, dann kostet das nicht nur viele Milliarden, sondern es werden Chancen verpasst, die erzwungenen Änderungen darauf zu prüfen, was davon auf "dauerhaft" gestellt werden könnte.

Beispielsweise wäre es an der Zeit, die Einstellung des kommerziellen Flugbetriebes im Inland zu fordern, das Verbot von Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren vorzuziehen und die Automobil- und Verkehrswirtschaft nur dort zu stabilisieren, wo CO2-freie Produkte und Dienstleistungen angeboten werden.

Kommunen könnten sich jetzt den entstandenen freien Raum dauerhaft sichern und Parkflächen oder Fahrspuren umwidmen, um die Dominanz des privaten Pkw zu mindern. Jetzt wäre die Zeit, einen tatsächlichen "Green Deal" aufzusetzen und Arbeitsplätze nur dort zu sichern beziehungsweise neu zu schaffen, wo die Klimaziele eingehalten werden.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Es funktionieren plötzlich Dinge in Berlin, die vor Corona entweder Jahre gebraucht hätten oder erst gar nicht möglich gewesen wären. Als Sofortmaßnahme hat der Innenstadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit Unterstützung des Senats eine ganze Fahrbahn am Halleschen Ufer dem Autoverkehr entzogen und in einen Fahrradstreifen verwandelt.

Jetzt geht es darum, dies auch nach der Krise beizubehalten – nach dem Motto: Nichts ist so stabil wie ein Provisorium.

Fragen: Susanne Schwarz

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