Die EU-Kommission schickt den deutschen Kohleausstieg in eine teilweise Hängepartie. Am gestrigen Mittwoch winkte sie nur den Steinkohle-Teil durch.
Dabei bewerben sich die Betreiber in Ausschreibungen auf Stilllegungsprämien. Die Pläne Deutschlands, Anreize für das frühzeitige Stilllegen der Steinkohle zu bieten, stünden mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang, erklärte laut Medienberichten die für Wettbewerbspolitik zuständige Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager.
Damit kann die Bundesnetzagentur am 1. Dezember die Ergebnisse der ersten Ausschreibungsrunde bekannt geben. In dieser waren 4.000 Megawatt Steinkohlekraft zur Stilllegung ausgeschrieben worden.
Bei der Steinkohle legte die EU-Kommission ihr Veto nur gegen die letzte, für 2027 vorgesehene Ausschreibungsrunde ein. Diese falle nun weg, um ein "durchgehend hohes Wettbewerbsniveau in den Ausschreibungen zu gewährleisten", teilte das Bundeswirtschaftsministerium als Reaktion darauf mit. Ab 2027 werde dann die Stilllegung der Steinkohle nur noch ordnungsrechtlich erfolgen, also per Gesetz.
Die Streichung einer Ausschreibungsrunde mit den damit verbundenen Zahlungen bedauerte gestern vor allem der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Gerade die 2027er Runde sei den Abgeordneten des Bundestages wichtig gewesen und erst im Zuge des parlamentarischen Verfahrens ins Gesetz aufgenommen worden.
"Der Wegfall dieser Ausschreibungsrunde führt zu einer weiteren Benachteiligung der Steinkohle gegenüber der Braunkohle", klagte der kommunale Spitzenverband.
Vertrag ohne Unterschriften
Anders sieht es beim Braunkohleausstieg aus, bei dem die Betreiber RWE und Leag Milliarden-Entschädigungen erhalten sollen. Hier hat die EU-Kommission offenbar noch offene Fragen – und zwar so schwerwiegende, dass sie ein förmliches Prüfverfahren für "gerechtfertigt" hält, wie die Kommission mitteilte.
Über die Folgen der kommenden beihilferechtlichen Prüfung bei der Braunkohle herrschte am Mittwoch noch Unklarheit. Das Bundeswirtschaftsministerium sowie die Kraftwerkseigner RWE und Leag beeilten sich zu betonen, dass durch die Prüfung "für alle Beteiligten mehr Rechtssicherheit erreicht wird", wie das Ministerium übermittelte.
Obwohl sich das Prüfverfahren über mehrere Monate hinziehen kann, soll dies nach Angaben der Bundesregierung keinen Einfluss auf die Stilllegung von Braunkohlekapazitäten in Deutschland haben. Der vereinbarte Pfad, nach dem das erste Braunkohlekraftwerk zum Ende dieses Jahres abgeschaltet wird, "gilt nach wie vor und wird umgesetzt", teilte die Regierung mit.
Bei der Gültigkeit des Pfads beruft sich die Regierung auf das vom Bundestag rechtskräftig verabschiedete Kohleausstiegsgesetz. Anders sieht es beim öffentlich-rechtlichen Vertrag aus, der die Details der Entschädigungszahlungen regeln soll. Die Essener RWE soll für das vorzeitige Abschalten von Braunkohlekraftwerken und die Stilllegung von Tagebauen eine Entschädigung von 2,6 Milliarden Euro erhalten, die ostdeutsche Leag 1,75 Milliarden Euro.
Für diesen Vertrag liegt weder die nötige Zustimmung des Bundestages vor noch haben ihn die Kraftwerkseigentümer unterschrieben. Darüber hinaus steht er unter dem generellen Vorbehalt der beihilferechtlichen Prüfung. Das heißt: Selbst wenn Bundestag und Kraftwerkseigner unterschreiben würden, tritt der Vertrag nur in Kraft, wenn die EU den Regelungen zustimmt.
"Es fehlt die Gegenleistung"
Nach Einschätzung von Experten verschlechtert sich mit der angekündigten beihilferechtlichen Prüfung die Position der Unternehmen. Sollte die EU-Kommission zum Ergebnis kommen, dass die Entschädigungen in der Höhe nicht gerechtfertigt sind, könnte die Bundesregierung die Zahlungen neu aushandeln.
Zweifel an der angemessenen Höhe der Entschädigungen und ihrer Verwendung, etwa für Tagebausanierungen, sind bis heute nicht ausgeräumt. Die Entschädigung erfolge speziell im Fall der Lausitzer Leag ohne Gegenleistung, denn deren Kraftwerke würden auch ohne die Entschädigung kaum länger laufen, kritisierte Viviane Raddatz von der Umweltstiftung WWF.
"Die Prüfung der EU-Kommission muss im Interesse der Öffentlichkeit absolut transparent sein und die Berechnung der Entschädigungen öffentlich machen", forderte Raddatz. "Die Bundesregierung darf die zunehmend unrentablen Braunkohlekraftwerke nicht vergolden."
Für den Umwelt-Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) kommt die Entscheidung der EU-Kommission nicht überraschend. "Wenn nicht nachvollziehbare Entschädigungen ohne irgendwelche Kriterien in Hinterzimmern ausgekungelt werden, stellen sich nicht nur den Steuerzahlern Fragen der Rechtmäßigkeit", sagte DNR-Chef Kai Niebert.
Besonders die Höhe der Braunkohle-Entschädigungen für die Leag hält der DNR für "unangemessen und willkürlich." Hier würden 1,75 Milliarden Euro ohne Klimaschutz fließen, warnte Niebert. Die "skandalöse Intransparenz und Heimlichtuerei des Wirtschaftsministeriums" falle diesem nun auf die Füße.