Braunkohlekraftwerk der Leag in der Lausitz: Es gibt großzügige Entschädigungen – und vielleicht sogar einen längeren Betrieb als vorgesehen. (Bild/​Ausschnitt: Bildagentur Zoonar/​Shutterstock)

Der Lausitzer Energiekonzern Leag soll die beantragten 1,75 Milliarden Euro als Entschädigung für den Kohleausstieg bekommen. Darauf einigten sich die EU-Kommission und das Bundeswirtschaftsministerium in dieser Woche.

1,2 Milliarden davon fließen auf jeden Fall in die Sanierung der Braunkohletagebaue – ein ordentliches Geschenk an die Leag. Ob der Konzern die "restlichen" 550 Millionen Euro bekommt, soll davon abhängen, wann welches Kohlekraftwerk vom Netz geht. Genaues soll eine komplizierte Formel regeln, die vermutlich nur die EU-Kommission, das Ministerium und die Leag kennen.

Ob der Energiekonzern seine Braunkohleblöcke wirklich abschalten kann, entscheidet letztlich die Bundesnetzagentur. Denn spätestens nach 2030 stellt sich die Frage, wie viel konventionelle Kraftwerksleistung Deutschland noch benötigt, um die schwankende Erzeugung der Erneuerbaren auszugleichen.

Seit einiger Zeit schrumpft diese Backup-Kapazität. In den letzten zehn Jahren seien kaum neue Großkraftwerke gebaut worden, aber viele vom Netz gegangen, beklagte Hans-Jürgen Brick, Chef des großen westdeutschen Netzbetreibers Amprion, am Donnerstag auf dem Jahreskongress des führenden Energiebranchenverbandes BDEW.

An steuerbarer konventioneller Kraftwerksleistung habe es 2013 noch 100.000 Megawatt gegeben, derzeit seien es ungefähr 86.000 Megawatt und 2030 würden es, sofern der Kohleausstieg planmäßig voranschreite, noch um die 43.000 Megawatt sein, rechnete Brick vor.

Statt Kraftwerke neu zu bauen, seien immer mehr alte Anlagen in die Reserve überführt worden, so der Amprion-Chef weiter. Zugleich müsse das Stromsystem immer weiter abgesichert werden – derzeit mit einer Reserve von fast 10.000 Megawatt. Wenn der Trend, dass konventionelle Kraftwerke vom Netz genommen werden, sich so fortsetzt, werden Brick zufolge schon 2030 etwa 13.000 bis 20.000 Megawatt in der Reserve stehen, das wäre dann gut ein Drittel des konventionellen Kraftwerksparks.

"Wir dürfen bei der Ausschreibung keine Fehler machen"

Den Angaben von Brick widersprach auf dem Kongress Barbie Kornelia Haller auch nicht. Die Vizechefin der Bundesnetzagentur bestätigte, dass sich ihr Haus bis einschließlich 2031 insgesamt 18 Kohleblöcke als Reservekraftwerke vertraglich gesichert hat.

Diese Kohleblöcke, ist hinzuzufügen, sind bis 2031 auch schon in der aktuellen Treibhausgasprojektion des Umweltbundesamtes eingepreist.

Die Bundesnetzagentur werde aber diese Blöcke wenn nötig auch über 2031 hinaus als Netzreserve kontrahieren, erklärte Haller. "Wir werden das tun, wenn wir sehen, dass wir die Kraftwerke auch nach 2030 brauchen."

Die Vizechefin der Netzagentur rechnet dabei selbst nicht mehr mit einem Ausschreibungstermin für die neuen H2-ready-Gaskraftwerke noch in diesem Jahr. Diese sollen laut der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung künftig die bisherigen rein fossilen Kraftwerke ersetzen.

Haller erklärte den späten Termin damit, dass die aller Wahrscheinlichkeit nach von ihrem Haus vorzubereitende Ausschreibung gut funktionieren müsse. "Wir werden da keine Fehler machen dürfen und wollen." Das Ausschreibungsdesign solle so ausfallen, dass alle Kraftwerksbetreiber wissen, worauf sie sich vorzubereiten haben. Dies wolle die Bundesnetzagentur nicht übers Knie brechen, aber hart daran arbeiten, dass die Ausschreibung Anfang nächsten Jahres starten kann.

Es geht auch um Regionalpolitik

BDEW-Chefin Kerstin Andreae zeigte sich am Donnerstag verärgert, dass von verschiedener Seite infrage gestellt werde, ob die Kraftwerks-Ausschreibung nun im zweiten Halbjahr 2024 oder im ersten Halbjahr 2025 kommt. Entscheidend sei, dass die Branche zügig das Ausschreibungsdesign für die wasserstofffähigen Gaskraftwerke bekomme. Die Unternehmen bräuchten Planungssicherheit.

Tags zuvor hatte sich auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) über die ausbleibende Strategie beschwert. Um die Versorgungssicherheit auch bei vorgezogenem Kohleausstieg zu gewährleisten, seien rund 50 neue große, wasserstofffähige Gaskraftwerke und Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) von insgesamt weit über 20.000 Megawatt Leistung nötig, so der Verband, der zahlreiche Stadtwerke vertritt.

Über die Ausschreibungen im Rahmen der Kraftwerksstrategie sollten jedoch nur 10.000 Megawatt angereizt werden. "Wir brauchen daher auch schnellstmöglich eine Verlängerung der KWK-Förderung, um die Lücke zu schließen", fordert der VKU. Diese Förderung sei leider auch immer noch nicht in Sicht.

Der Kampf ums Ausschreibungsdesign wird sich noch verschärfen. Denn es geht dabei auch um Regionalpolitik. So plädierte Amprion-Chef Brick auf dem BDEW-Kongress klar für eine südliche Regionalkomponente bei den H2-ready-Ausschreibungen. Grund: Dort stehen derzeit die konventionellen Kraftwerke, die hochgefahren werden müssen, wenn nicht genügend grüne Energie vom stromerzeugenden Norden in den stromverbrauchenden Süden gelangt.

Auch Haller von der Bundesnetzagentur sprach sich auf dem Kongress für eine regionale Komponente zugunsten des Südens aus. Zumindest müsse es Anreize geben, die Kraftwerke dort zu installieren, wo diese aus Netzsicht benötigt würden.

Union bringt CCS für Kohlekraftwerke ins Gespräch

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ließ sich am Donnerstag auf keine Terminzusagen bei der Kraftwerksstrategie ein. Eigentlich seien viele Details schon geklärt, versuchte er klarzustellen.

Die EU-Kommission müsse aber davon überzeugt werden, fuhr der Minister fort, dass es in den späten 2030er Jahren in Deutschland ein Kapazitätsproblem im deutschen Strommarkt gebe und dass die nötigen Kraftwerke, um dieses zu beheben, schon in den nächsten Jahren gebaut und staatlich unterstützt werden müssten.

Die Leag selbst will H2-ready-Gaskraftwerke an ihren bisherigen Kraftwerksstandorten im Osten bauen. Von den 10.000 Megawatt Kraftwerkskapazität, die die Bundesregierung in den nächsten Jahren für wasserstofffähige Gaskraftwerke ausschreiben wolle, sollten mindestens 3.000 Megawatt an den vorhandenen Leag-Standorten entstehen, hatte Konzernchef Thorsten Kramer kürzlich im Manager-Magazin erklärt. Die Eigentümer der Leag seien Privatinvestoren und warteten dringend auf die Ausgestaltung der Kraftwerksstrategie.

 

Der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn, nutzte am Donnerstag die absehbare Verzögerung bei der Kraftwerksstrategie auch gleich, um über einen Weiterbetrieb der hiesigen Kohlekraftwerke sogar über den gesetzlichen Ausstiegstermin 2038 hinaus zu spekulieren.

In diesem Fall könne er sich bei Kohlekraftwerken auch CCS, also CO2-Abscheidung und ‑Speicherung, vorstellen, sagte Spahn. Wenn jetzt schon absehbar sei, dass einige Kohlekraftwerke über 2030 hinaus in Reserve werden laufen müssen, frage er sich, ob dann nicht auch Kohle mit CCS möglich sein sollte.

Über sein derzeitiges energiepolitisches Lieblingsthema – die Wiederbelebung der Atomkraft unter dem Schlagwort Technologieoffenheit – verlor Spahn aber zumindest auf dem offiziellen BDEW-Kongress kein Wort.