Das Foto zeigt eine Straßenszene in Haiti. Nach einem Hurrikane sind die Straßen überflutet, Menschen stehen knietief im Wasser.
Während Industriestaaten die finanziellen Möglichkeiten haben, extreme Schäden aufzufangen, stellt der Klimawandel für die Menschen im globalen Süden eine existenzielle Bedrohung dar. (Foto: Marco Dormino/​UN)

Millionen Menschen auf der ganzen Welt leiden bereits unter den Auswirkungen der Klimakrise. Doch immer wieder werden diese Gemeinschaften von der politischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen und gezwungen, Beschlüsse zu akzeptieren – getroffen von weit entfernten Politiker:innen, die wenig bis gar kein Wissen über die Herausforderungen haben, mit denen sie konfrontiert sind.

In den fünf Monaten seit der UN-Klimakonferenz COP 27 im vergangenen November ereigneten sich zahlreiche von der Klimakrise verstärkte Wetterextreme.

Die Folge waren Todesopfer durch Überschwemmungen und Erdrutsche in Brasilien, der Zyklon Freddy, der in Malawi und Mosambik Tausende von Häusern zerstörte und Hunderte von Menschen tötete, der tropische Wirbelsturm Cheneso, der Madagaskar verwüstete, über 30 Menschen tötete, Tausende von Menschen vertrieb und Hunderte von Häusern zerstörte, und der tropische Wirbelsturm Judy, der Vanuatu traf.

In Europa kaum beachtetet, mussten die Gemeinden in Brasilien, Malawi, Mosambik, Madagaskar und Vanuatu erleben, was in der Zukunft grausamer Alltag werden wird in einer Welt mit entfesselter Klimakatastrophe.

Fünf Monate, in denen einmal mehr deutlich wurde: Die Klimakrise wird immer noch nicht als die globale Krise behandelt, die sie tatsächlich ist, eine Megakrise, die alle Lebensbereiche betrifft, Ungerechtigkeit verstärkt und Armut verursacht.

Der am 20. März veröffentlichte neue IPCC-Bericht unterstreicht, dass die Welt vor einer Klimakatastrophe steht, deren grausames Ausmaß wir uns nur schwer vorstellen können. Derzeit steuert die Welt auf eine globale Erwärmung um 2,1 bis 3,4 Grad zu und wird damit die Kipppunkte in unserem Klimasystem überschreiten.

Eine "Umsetzungslücke" beklagt der Synthesebericht des Weltklimarates IPCC zwischen den Zusagen und den Anforderungen des Paris-Abkommens. Darüber hinaus bestätigt der Bericht, dass gefährdete Gemeinschaften, die bereits Verluste und Schäden erleiden, nicht genügend Mittel erhalten, um ihre Bedürfnisse zu decken und sich an die Klimakrise anzupassen.

Finanzmittel gegen klimabedingte Schäden und Verluste

Der IPCC-Bericht macht aber auch deutlich, dass wir noch eine letzte Chance haben, diese Entwicklung zu stoppen, und dass wir bereits wissen, welche Lösungen es dafür gibt. Das muss uns in unserer Entschlossenheit bestärken, unsere Treibhausgasemissionen effektiv zu reduzieren und gleichzeitig eine solidarische, gerechte Antwort zu finden, wie wir als Weltgemeinschaft mit den Auswirkungen der Klimakrise umgehen.

Denn es sind die jetzt schon existenziell betroffenen Gemeinden, die am wenigsten bis gar nicht zur Klimakrise beigetragen haben und gleichzeitig – auch und gerade durch die koloniale Ausbeutung der letzten Jahrhunderte – über eine weniger starke staatliche Infrastruktur verfügen, um sich vor den Folgen zu schützen.

Porträtaufnahme von Hyacinthe Niyitegeka.
Foto: privat

Hyacinthe Niyitegeka

ist studierte Hydrologin und koordiniert die Nord-Süd-Organisation Loss and Damage Collaboration. Sie ist auch Mit­begründerin der Loss and Damage Youth Coalition und lebt in Ruanda.

Vor allem eine Maßnahme wird von den am stärksten betroffenen Regionen eingefordert: die Bildung eines internationalen Fonds, der schnell und effektiv Finanzmittel für Gemeinden bereitstellt, die die stärksten Verluste und Schäden ("Loss and Damage") durch die Klimakrise erleben.

Dieser Fonds wurde auf der letzten UN-Klimakonferenz, der COP 27 in Ägypten, beschlossen. Nun beginnt der nächste große Schritt: 24 Mitglieder des für die genaue Ausgestaltung des Fonds einberufenen Übergangsausschusses, des Transitional Committee (TC), kommen seit Montag und noch bis morgen in Ägypten zusammen.

Die Aufgabe des TC im Jahr 2023 besteht darin, Empfehlungen zur Ausgestaltung der institutionellen Regelungen des vereinbarten Fonds zu erarbeiten und Vorschläge für Finanzierungsregelungen und -quellen zu unterbreiten. Diese sollen laut Plan auf der COP 28 verabschiedet werden, die im Dezember in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet.

Für die bereits jetzt von der Klimakrise existenziell betroffenen Regionen ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Fonds so bald wie möglich seine Arbeit aufnimmt und dass er statt mit Darlehen mit Zuschüssen auf der Grundlage des Verursacherprinzips finanziert wird.

Ziel muss es sein, dass die Gelder schnell zu denjenigen gelangen, die sie vor Ort benötigen, und dass die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen beachtet werden. Gerechte Fonds können nur solche sein, die geschlechtersensibel handeln und Minderheiten sowie indigene Bevölkerungsgruppen ansprechen.

Koloniale Machtstrukturen aufbrechen – Partizipation für alle

Die Strukturen und Arbeitsweisen innerhalb der UN-Klimakonferenzen stehen einer gerechten Umsetzung des Loss-and-Damage-Fonds bisher aber noch im Weg: Menschen aus den am stärksten betroffenen Regionen und Gemeinschaften, besonders Frauen, haben den geringsten Einfluss auf die schließlich getroffenen Entscheidungen.

Besonders auf der letzten Konferenz in Ägypten hatten Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und betroffener Gemeinschaften Schwierigkeiten, überhaupt dabei sein zu können – von enormen Hotelpreisen bis hin zu einem akuten Gefühl der Unsicherheit aufgrund der starken Präsenz ägyptischer Geheimpolizei.

Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass in diesem Jahr ihre Stimmen bei den Verhandlungen über die Ausgestaltung des neuen Fonds gleichberechtigt mit am Entscheidungstisch sitzen – nicht nur weil sie am stärksten betroffen sind, sondern auch, weil sie Wissen und Perspektiven mitbringen, die Menschen aus Industrienationen nicht haben.

Die Länder des globalen Südens, die am stärksten von diesen Auswirkungen betroffen sind, aber am wenigsten dazu beigetragen haben, wollen bis zur COP 28 unbedingt substanzielle Fortschritte bei neuen Finanzvereinbarungen sehen, darunter einen ausgewiesenen Fonds für Verluste und Schäden sowie die vollständige Inbetriebnahme des Santiago-Netzes, das den Auftrag hat, technische Hilfe zur Bewältigung von Verlusten und Schäden zu leisten.

Deutschland braucht mehr Glaubwürdigkeit

Jeder Bruchteil eines Grades globaler Erhitzung bedeutet mehr Verluste und Schäden, mehr Menschen, deren Leben zerrissen wird. Auf der COP 27 ist es den Vertragsparteien nicht gelungen, eine Einigung über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, der Hauptquelle der weltweiten Treibhausgasemissionen, zu erzielen.

Auch Deutschland ist kein gutes Beispiel für konsequenten Klimaschutz, solange es nicht vorzuweisen hat, dass die Klimaziele in allen Sektoren eingehalten werden können.

Porträtaufnahme von Kathrin Henneberger.
Foto: Stefan Kaminski

Kathrin Henneberger

ist Bundes­tags­abgeordnete der Grünen und Mitglied im Ausschuss für Klima und Energie und im Entwicklungs­ausschuss. Sie engagiert sich seit vielen Jahren in der Klima­gerechtigkeits­bewegung.

Ein großes Problem für die deutschen Treibhausgasemissionen sind der Verkehrs- und der Gebäudesektor, in denen die Emissionen weiter steigen. Die Dämmung von Gebäuden und der Umstieg auf erneuerbare Wärme ist hierbei ein echtes Sorgenkind. Im Verkehrsbereich ist es der Ausbau und Neubau von Autobahnen. Sie sind das Gegenteil einer klimafreundlichen Transformation.

Bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Davon ist Deutschland noch weit entfernt, und gleichzeitig muss gefragt werden: Ist das genug? Wenn man den IPCC-Bericht liest, ist die Antwort klar: Noch nicht!

Klimaziele müssen ständig an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden. Der neue IPCC-Bericht macht deutlich: Wir haben nur noch sehr wenig Zeit und müssen unsere Klimaziele und Maßnahmen gegen die Klimakrise verstärken.

Deutschland hat eine hohe, auch historische Verantwortung, als Industrieland wirklich ernsthaft Maßnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen. Das bedeutet auch, dass der Ausstieg aus der Kohle – Braunkohle wie Steinkohle – beschleunigt werden muss.

Bei dem Versuch, das russische Erdgas zu ersetzen, läuft Deutschland außerdem gerade Gefahr, Überkapazitäten an neuen Flüssiggas-Terminals zu schaffen. Hier gilt es, einen neuen "Lock-in" fossiler Brennstoffe zu verhindern.

Auf der COP 28 Ende des Jahres in Dubai, wenn die Weltgemeinschaft wieder zusammenkommt, um über die Klimakrise zu beraten, wird es umso wichtiger werden, endlich eine gemeinsame Erklärung zur Begrenzung und zum Verbot fossiler Brennstoffe auszuhandeln, die uns wirklich auf einen 1,5-Grad-Pfad bringt. Nur so lassen sich zukünftige Zerstörung, Verluste und Schäden aufgrund einer entfesselten Klimakatastrophe effektiv vermeiden.

Anzeige