Zwischen zwei Eisbären-Figuren steht ein älterer Mann mit Basecap und hält ein lila Schildchen mit Atomsymbol hoch. Auf einer Werbetafel steht auf Englisch: Klimaneutralität braucht Kernkraft – gemeinsam gehts besser.
Eine Lobbyorganisation wirbt mit dem bedrohten Eisbären für Atomkraft – das geht in Baku sogar in der "Blue Zone" der Klimaverhandlungen. (Bild: Jörg Staude)

Es gibt Momente auf einem Klimagipfel, da wähnt sich der Berichterstatter im falschen Film. Ein solcher Moment kam in den Katakomben des Bakuer Nationalstadions, als zwei Animateure in aufgeblasenen Eisbärenkostümen herumhüpften und Vorbeigehende einluden, sich mit ihnen fotografieren zu lassen – vor dem Aufsteller ihres Auftraggebers "Nuclear for Climate", einer angeblichen Grassroots-Initiative.

Wirkliche Klimaschützer haben Eisbären als Klimasymbol längst entsorgt. Zu traurig ist das Schicksal der stattlichen Tiere, deren Lebensraum von der Menschheit buchstäblich unter den Tatzen weggeschmolzen wird – und zwar so schnell, dass daran auch hunderte neue Nuklearkraftwerke nichts ändern würden. Das nukleare Versprechen ist ein falsches.

Will die Welt noch an der 1,5-Grad-Grenze dranbleiben und sollen auch Eisbären noch eine kleine Chance haben, müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um etwa 40 Prozent herunter. Der einzige Weg dahin ist, schnell aus der fossilen Energiewelt auszusteigen und an diese Stelle die Erneuerbaren zu setzen.

Das meint die globale Klimapolitik mit dem Begriff Energy Transition. Beim Vorgängergipfel in Dubai gaben die Staaten deshalb das Versprechen zu einer "transition away" ab, zu einer Abkehr von den fossilen Energien Kohle, Öl und Gas.

Enttäuschung über Energiewende-Bremser

In dem Punkt sind die beim Gipfel in Baku bisher vorgelegten Papiere eine einzige Enttäuschung, sagen Fachleute. Wort für Wort haben sie Hunderte von Paragrafen der Beschlussentwürfe durchforstet und bisher nur eher indirekte Hinweise gefunden, dass Baku beim Fossil-Ausstieg nicht hinter Dubai zurückfällt.

Annalena Baerbock nahm da am Freitagnachmittag kein Blatt mehr vor den Mund. Anders als die Europäer seien einige mit dem Ziel nach Baku gekommen, bei der Emissionsminderung hinter die letztjährige Konferenz zurückzufallen, sagte die deutsche Außenministerin. "Immer wieder hat man von Saudi-Arabien gehört, dass das, was in Dubai beschlossen war, keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist und so einfach in den Text wieder hineinkommt", erklärte Baerbock in einer Pressekonferenz.

Mit einem desaströsen Gipfel-Ergebnis bei der Treibhausgasminderung würden auch mögliche Einigungen bei der Klimafinanzierung auf falsche Versprechen hinauslaufen. Denn eine fortschreitende Erderwärmung wird die Kosten für Klimaanpassung wie auch für eingetretene Klimaschäden rasch in astronomische Höhen treiben. Da werden selbst hunderte von Milliarden Dollar schnell zu Peanuts.

Genau davor, ist auf den Verhandlungsfluren zu hören, haben die Industrieländer geradezu einen Horror. Dazu kommen ihre vielfach klammen Haushalte.

Deutsche Politik nimmt Rücksicht aufs Heimatland

Selbst deutsche Politikerinnen und Politiker in Baku schauen stets darauf, wie ihre Klimagaben in der politisch aufgeheizten Heimat ankommen. Wegen der innenpolitischen Lage sollte immer auch versprochen werden, Ausgaben für den globalen Klimaschutz würden sich positiv für die Menschen in Deutschland auswirken, heißt es.

Einige Menschen an improvisiert wirkenden Pavillons in einer Konferenzhalle, auf einem Schild steht ein Slogan der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA: Atoms for Climate.
Neben "Nuclear for Climate" präsentiert sich in Baku auch "Atoms for Climate", eine Initiative der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA. (Bild: Jörg Staude)

Und werden von Deutschland wirklich hier und da ein paar Millionen für verschiedene Klimafonds zugesagt, gehen diese Gelder, so wird ein ums andere Mal versichert, nicht zulasten des nicht mehr beschlossenen Bundeshaushalts 2025, sondern seien bereits im Haushalt 2024 vorgesehen. Das Versprechen ist nicht falsch, nur bestehen solche Zusagen mitunter auch in Verpflichtungsermächtigungen für kommende Bundeshaushalte, engen also künftige Spielräume ein.

So oder so haben die Industrieländer vielfache Motive, ihre festen Zusagen zum neuen globalen Finanzziel "NCQG", die sie vor allem aus ihren Haushalten zu bezahlen haben, möglichst niedrig zu halten. Am Freitag war in Baku die Summe bei 250 Milliarden Euro vorerst zum Stehen gekommen. Das Versprechen gilt, um das klarzustellen, erst fürs Jahr 2035 und die Industriestaaten wollen es laut den Dokumenten auch nicht allein erfüllen, sondern dabei nur eine Führungsrolle innehaben.

Die Summe ist so provokativ klein, dass man sich im falschen Film wähnt. Klimaaktivistin Line Niedeggen kritisiert die Industriestaaten, deren Wohlstand auf Kohle, Öl und Gas basiere, für ihre Blockade bei der Klimafinanzierung. Oft würden sich die Industrieländer als Vorreiter in Sachen Klimaschutz präsentieren und die Schuld am stockenden Fossil-Ausstieg auf "die Ölstaaten" schieben, sagt Niedeggen von den Climate Activist Defenders. Dabei seien die USA der größte Öl- und Gasproduzent der Welt.

Weltpolitische Hürden für die Klimaverhandlungen

Dass der Gipfel so sehr von der fossilen Lobby bestimmt wird, verwundert auf den ersten Blick nicht, findet er doch im Ölstaat Aserbaidschan statt. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.

Aserbaidschan liegt bei der Erdölförderung weltweit etwa auf dem 25. Platz. Und wer Öl exportiert, braucht auch Kunden – die größten Abnehmer des aserbaidschanischen Öls sind Italien, Indien, Israel und Spanien.

COP 29 in Baku

Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.

Zusätzlich zu fossilen Interessen wird der Klimagipfel von weltpolitischen Unsicherheiten belastet: kriegerische Auseinandersetzungen in mehreren Weltteilen, die Trump‑Wahl in den USA, die noch wenig handlungsfähige EU-Kommission und auch das Aus für die deutsche Ampel-Regierung stellen hohe Hürden für die Klimadiplomatie auf.

Diese Hürden scheinen für das Gastgeberland bisher zu hoch zu sein. Aus Leidenschaft für den Klimaschutz holte Aserbaidschan den Gipfel ohnehin nicht nach Baku, heißt es hier in Verhandlungskreisen. Der Autokratie gehe es vor allem um ihre Reputation und ihr internationales Ansehen.

Leider zeigt sich, wie zu hören ist, die Gipfelpräsidentschaft bisher beratungsresistent und wenig kompromissfähig. Ein Scheitern des Gipfels kann sich die aserbaidschanische Führung aber auch nicht leisten – wie sie sich da herauswindet, wird voraussichtlich der heutige Samstag zeigen.

 

Für diese Art egoistischer Gipfeldiplomatie ist das Klima aber das falsche Thema. Am Ende sitzen alle Staaten in einem Boot, auch die sogenannten reichen Länder, die sich derzeit die Klimaschäden noch irgendwie leisten können, aber nicht mehr lange. Die Erkenntnis wird sich in Baku allerdings noch nicht durchsetzen. Die Blicke richten sich insofern schon auf den nächsten Weltklimagipfel in Brasilien.

Egal, wie der jetzige Klimagipfel ausgeht, nach Baku kommt es entweder zu einem Neustart der globalen Klimapolitik oder diese zerfällt in eine Politik, wo sich jeder selbst der Nächste ist.

Und mit den Eisbären ist es dann ohnehin vorbei.