Das Mantra der Klimaforschung lautet: Bis 2030 muss der weltweite Treibhausgas-Ausstoß halbiert werden. Nur dann gibt es noch die Chance, das 1,5-Grad-Limit der Erderwärmung zu halten, das 2015 auf dem Paris-Gipfel festgelegt wurde.

Das Problem dabei ist, je länger das gesagt wird, ohne dass die Emissionen substanziell sinken, desto unrealistischer wird es. Es bleiben uns noch gut fünf Jahre bis 2030, und wer trotzdem die CO2-Halbierung beschwört, ist ein unverbesserlicher Optimist. Bitter, aber wahr.

 

Alle wissen das, und so macht das Wort "Overshoot" Karriere. Motto: nicht so schlimm, wenn die Erwärmung ein paar Zehntel über die 1,5 Grad überschießt, die Weltgemeinschaft holt danach das überschüssige CO2 aus der Atmosphäre heraus und kühlt den Planeten wieder auf das noch halbwegs verträgliche Niveau herunter.

Die Frage ist nur, kann das so einfach funktionieren, wie es sich sagt? Ein internationales Team von 30 renommierten Klimafachleuten hat nun in dem renommierten Magazin Nature davor gewarnt, sich auf diesen Ausweg zu verlassen.

Wette auf die Zukunft

Das 1,5-Grad-Ziel wurde ja nicht einfach aus dem Hut gezaubert, es ist wissenschaftlich untermauert. Wird dieses Limit gerissen, drohen Kipppunkte überschritten zu werden, die sich durch "negative Emissionen" nicht wieder rückgängig machen lassen.

Die weltweite Eisschmelze, der Anstieg des Meeresspiegels, die Stabilität vieler Ökosysteme, der tropischen Korallenriffe zum Beispiel. Auch ein "begrenzter Overshoot" erhöhe die Risiken, dass die Erde stark verändert werde, so die Mahnung der Nature-Studie.

Das darf niemand auf die leichte Schulter nehmen, zumal es fraglich ist, ob die negativen Emissionen wirklich in den nötigen Mengen machbar sind. Wälder zum Beispiel, auf die viele ihre Hoffnung setzen, werden inzwischen in vielen Regionen von einer CO2-Senke zur Quelle.

Joachim Wille ist Co-Chefredakteur des Online-Magazins Klimareporter°.

Und technische Lösungen, etwa die Entnahme von CO2 und seine Nutzung oder unterirdische Lagerung – CCU und CCS genannt –, müssten bis 2050 um das Tausendfache intensiver genutzt werden als heute, um genügend zur Abkühlung beitragen zu können. Von den derzeit noch viel zu hohen Kosten ganz zu schweigen.

Was folgt daraus? Ein gefahrloses Überschreiten des Paris-Ziels gibt es nicht, und die "Overshoot"-Erzählung bietet keine bequeme Lösung, um die Ära des fossilen Energiesystems doch noch zu verlängern.

Das muss allen klar sein, auch beim nächsten UN-Klimagipfel, der im November in Baku beginnt. Dort braucht es sie, die unverbesserlichen Optimisten für die Energiewende.