"Eine Weltklimakonferenz auszurichten, ist eine große Chance. Die Welt wird jeden Schritt von Baku beobachten." Fast wie eine Warnung lesen sich die zwei Sätze aus einem Kommentar von Christiana Figueres, der ehemaligen Chefin des Klimasekretariats der Vereinten Nationen.
Die Weltklimakonferenz COP 29 findet Ende des Jahres in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku statt. Der wenig kontroverse Titel von Figueres' Kommentar lautet übersetzt: "Aserbaidschan muss der Anker für 1,5 Grad sein". Angesichts dessen, dass Ende Januar 2024 die globale Durchschnittstemperatur schon seit einem ganzen Jahr um 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau lag, ist das wohl nicht zu hoch gegriffen.
Zwar bezieht sich das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens auf eine über mehrere Dekaden anhaltende Erwärmung und ist damit noch nicht überschritten. Ein wirklicher Trost ist das aber nicht. Die eigentliche Erkenntnis aus diesem physikalischen Beweis des klimapolitischen Scheiterns der Staatengemeinschaft ist: All den feurigen Worten der Regierungschefs und COP-Präsidentschaften der letzten Jahre müssen Taten folgen.
Nicht nur Christiana Figueres blickt hier etwas misstrauisch in Richtung des kommenden Gastgebers. Der Erfolg eines Klimagipfels ist nicht unwesentlich von dem Können und Wollen der Konferenzpräsidentschaft abhängig. Sie führt durch die Verhandlungen und vermittelt zwischen den Ländern.
Designierter Präsident der COP 29 ist der aserbaidschanische Umweltminister Muchtar Babajew. Der international weitestgehend unbekannte langjährige Mitarbeiter des staatlichen Ölkonzerns Socar richtete vor wenigen Tagen einen Appell an die Mitgliedsländer der Klimarahmenkonvention, also an praktisch alle Staaten.
Gemeinsam mit seinem Vorgänger, dem emiratischen COP-Präsidenten Sultan Al Jaber, und seinem designierten Nachfolger, dem Brasilianer André Corrêa do Lago, forderte Babajew die Länder auf, ambitioniertere nationale Klimastrategien einzureichen. Die sogenannte COP-Troika sicherte gleichzeitig zu, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Aserbaidschan und Brasilien mit gutem Beispiel vorangehen und 1,5-Grad-verträgliche Strategien beschließen werden.
EU treibt die Gasförderung voran
Während die feurigen Worte also wieder mal sitzen, überrascht dieses Versprechen besonders von Aserbaidschan. In den gegenwärtigen Klimazusagen des Landes lässt sich die 1,5-Grad-Grenze nämlich auch mit größter Mühe nicht erblicken. Bis 2050 will Aserbaidschan 40 Prozent seiner Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 einsparen, und auch diese bescheidene Verpflichtung ist an finanzielle und technologische Unterstützung aus dem Ausland gekoppelt.
Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew müsse nun, da sein Land die Führung der Weltklimakonferenz übernimmt, doch wissen, dass die "Hauptursache für den Temperaturanstieg die historische und fortgesetzte Verbrennung fossiler Brennstoffe ist", argumentiert Christiana Figueres.
Was wie eine Binsenweisheit klingt, findet mit dem seit 20 Jahren diktatorisch über das vorderasiatische Land regierenden Machthaber den richtigen Adressaten. So will Alijew die Förderung fossiler Rohstoffe bis 2030 um ein Drittel steigern.
Superwahljahr 2024
In dieser Serie setzt sich Klimareporter° mit den klimapolitischen Implikationen der anstehenden Wahlen auseinander. Welche Tendenzen lassen sich erkennen, welche Rolle spielt das Klima und welche Konsequenzen lassen sich daraus ziehen? Und letztendlich die immer mitschwingende Frage: Sind unsere etablierten Politsysteme fähig, mit der Klimakrise umzugehen?
Aserbaidschan investiert zwar auch in erneuerbare Energien, aber eben noch mehr in die fossilen. Dementsprechend hat das Land die selbst gesteckten Ausbauziele für Erneuerbare in den letzten Jahren immer wieder verfehlt.
Der Anteil der grünen Energien an der Energieerzeugung ist zwischen 2010 und 2020 sogar von 3,3 auf 1,1 Prozent gesunken.
Der Großteil der fossilen Produktion ist dabei für den Export gedacht. Die Zukunft der aserbaidschanischen Wirtschaft soll vor allem im Erdgas-Export liegen. Diverse Gasprojekte in Schah Denis, dem größten Gasfeld Aserbaidschans, sind bereits genehmigt worden, weitere Genehmigungen sollen folgen.
Schon heute macht Erdgas 40 Prozent der aserbaidschanischen Exporte aus, dicht hinter Erdöl, das auf 50 Prozent kommt. Dabei treibt nicht zuletzt der Gasdurst Europas den Ausbau in Aserbaidschan voran.
In den kommenden Jahren soll sich der Gas-Export in die EU verdoppeln. Ab 2027 sollen 20 Milliarden Kubikmeter Gas geliefert werden – knapp sechs Prozent des Gasverbrauchs von 2022. Ein Deal, der in Europa aus verschiedenen Gründen umstritten ist – nicht zuletzt wegen des autoritären Führungsstils des Präsidenten.
Der gut geölte Repressionsapparat des Präsidenten
Das zeigte sich auch in den Präsidentschaftswahlen am 7. Februar. Ilham Alijew hatte die Wahlen kurzerhand um mehr als ein Jahr vorverlegt. Die Gegenkandidaten überschlugen sich im Wahlkampf mit Komplimenten für den Präsidenten. Die eigentlichen Oppositionsparteien weigerten sich, Kandidat:innen ins Rennen zu schicken und Alijew gewann wenig überraschend mit 92 Prozent der Stimmen.
Im Vorfeld der Wahlen kam es zu Verhaftungen von Regierungskritiker:innen und Angehörige berichteten von Misshandlungen und Folter der Gefangenen. Ähnlich schlecht steht es um die Pressefreiheit im Land. Auf der entsprechenden Rangliste der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen belegt das Land aktuell Platz 151 von 180.
Im Schatten des Ukraine-Krieges hatte Aserbaidschan zudem im September 2023 die Region Bergkarabach angegriffen und damit den seit Jahrzehnten bestehenden Konflikt mit Armenien neu entfacht. Nach nur einem Tag endete der von Aserbaidschan als "Antiterroroperation" bezeichnete Angriff mit einem Sieg seiner Streitkräfte.
Mehrere Beobachter:innen sprachen im Folgenden von "ethnischer Säuberung". Ein Großteil der armenischen Bewohner:innen ist nach Armenien geflüchtet. Präsident Alijew plant, die Region ins aserbaidschanische Staatsgebiet einzugliedern.
Mit dem "historischen Sieg" im Rücken wäre dem Präsidenten wohl auch ohne den gut geölten Repressionsapparat ein Wahlsieg sicher gewesen. Die vollkommen unzureichende Klimapolitik dürfte sich nun fortsetzen – ohne Opposition, geschweige denn ernstzunehmende politische Gegner:innen im Land.
Aufmerksamkeit in den deutschen Medien bekam Aserbaidschan 2017, als bekannt wurde, dass diverse Geldzahlungen aus dem Petrostaat an CDU- und CSU-Politiker:innen geflossen waren. Die Staatsanwaltschaft nahm in mehreren Fällen Ermittlungen wegen Bestechlichkeit auf.
So richtig und wichtig die Appelle von Christiana Figueres also auch sind – "Aserbaidschan muss uns helfen, auf der COP 29 eine sichere und gerechte Zukunft zu verankern" – ob sie Gehör finden, steht auf einem anderen Blatt.