Letzte Montagearbeiten an einer Photovoltaikanlage auf einem Fabrikdach in Kenia.
Photovoltaikanlage auf einem Fabrikdach in Kenia: "Die Leute wollen keine Solarlaternen geschenkt bekommen." (Foto: Sebastian Nöthlichs/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Helgenberger, dezentraler Solarstrom hilft entscheidend, die ländlichen Regionen im globalen Süden zu elektrifizieren, ergab kürzlich eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der TU Berlin. Ist Photovoltaik wirklich das richtige Mittel, um Hunderten Millionen Menschen Zugang zu Strom zu verschaffen?

Sebastian Helgenberger: In unseren weltweiten Studien sehen wir ebenfalls, dass in vielen Ländern des globalen Südens erneuerbare Energien ein integraler Bestandteil der Energieplanung geworden sind.

Beispielsweise in Südafrika hat die Regierung jetzt eine substanzielle Reduktion der Kohleverstromung festgeschrieben. Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll der fossile Anteil in der Stromerzeugung von derzeit 80 auf 50 Prozent sinken und im selben Zeitraum der Anteil von Windstrom und Sonnenenergie verfünffacht werden – und das in einem Land, in dem Kohle bisher zu den wichtigsten Energieträgern gehört.

Für die Menschen vor Ort bedeuten erneuerbare Energien aber viel mehr, als nur mit Strom versorgt zu werden. Eine dezentrale erneuerbare Versorgung kann Jobs in die ländlichen Regionen bringen, sie bedeutet die Ansiedlung lokaler Betriebe – mit einem Wort: Wertschöpfung.

Auch das treibt das Wachstum der erneuerbaren Energien in diesen Regionen an. All dies sind wichtige Zusatznutzen, die im Übrigen auch die lokale Unterstützung für die Erfüllung des Pariser Klimaabkommens sichern.

Dabei treten, das zeigen unsere Studien, in Ländern wie Südafrika und Vietnam die wirtschaftlichen Potenziale immer mehr in den Vordergrund, besonders auch, was Ausbildung und Beschäftigungschancen betrifft. In Vietnam etwa stellen die angesprochenen Zusatznutzen einen wesentlichen Bestandteil in den Verpflichtungen zum internationalen Klimaschutz dar.

Wichtig ist ja nicht nur, dass die Anlagen gebaut werden, sondern dass Erneuerbare – und das hebt auch die DIW-Studie hervor – durch ausgebildete Techniker:innen gewartet werden können und Leute da sind, die die Anlagen am Laufen halten. Ist das sichergestellt, können sich die Vorteile der Photovoltaik und der Inselnetze richtig entfalten.

Für die Menschen in diesen Ländern ist die Nutzung der Photovoltaik inzwischen offenbar so niedrigschwellig geworden, dass immer mehr Haushalte und Geschäftsleute sie sich leisten können. Davon ausgehend: Wie können die Länder dann den nächsten Schritt tun – hin zu einer vorrangig erneuerbaren Versorgung ganzer Regionen?

Ganz wichtig ist: Die Menschen wollen keine solaren Almosen. Sehr oft, wenn von einer dezentralen Energieversorgung für Regionen des globalen Südens gesprochen wird, geht es um Solarlaternen und Handyladestationen, die verteilt werden. Auf den Werbebildern sitzt dann oft eine Schülerin vor einer solchen Laterne.

Das ist nicht das, worum es den Menschen vor Ort wirklich geht. Die Menschen streben nach einem modernen Leben, haben Internet und wissen, was woanders so läuft. Erneuerbare Energien können und müssen diesen Regionen mehr liefern. Das ist ein wichtiger Punkt, der oft vergessen wird.

Was kritisieren Sie mit dem Begriff "solare Almosen" genau?

Oft wird die Elektrifizierung ländlicher Regionen, so in der Subsahara Afrikas, damit verbunden, dass die Menschen in den Dörfern dann abends die Möglichkeit haben, bei Licht zu lernen oder ihr Handy zu laden. Diese Verengung beobachten wir ebenso in Indien bei vielen Projekten, auch solchen mit internationalen Geldgebern.

So lassen sich vielleicht dringende lokale Probleme beheben, es stößt aber nicht die Entwicklung an, die sich die Menschen in diesen Ortschaften wünschen – eben ein modernes Leben zu führen.

Die Menschen sehen, dass mit erneuerbarem Strom in den westlichen Ländern ganze Industrien betrieben werden – und bei ihnen werden Solarlaternen verteilt. Das kann gut gemeint sein, ist aber eben nicht gut genug.

Dieser verengte, gönnerhafte Blick auf Entwicklungspolitik kann auf Dauer nachhaltigen Wohlstand verbauen. International tätige Organisationen, auch in Deutschland, müssen aufpassen, dass sie nicht in diese Falle tappen.

Wie kann man das vermeiden und zu einer echten ökonomischen Entwicklung auf Basis erneuerbarer Energien kommen?

Zum einen: Lokale Wertschöpfungsketten können sich überhaupt erst entwickeln, wenn eine stabile Stromversorgung sichergestellt ist. Da geht es um kleine Wirtschafts- und Produktionsbetriebe, aber auch um medizinische Infrastruktur, die eine sichere Stromversorgung benötigt. Der Preisvorteil der erneuerbaren Energien spielt hier eine wichtige Rolle. Dadurch erhalten auch Regionen eine Chance, die bisher wirtschaftlich schwierig dastanden.

Zum anderen stellt sich natürlich die Frage, wie sich nachhaltige Geschäftsmodelle mit den Erneuerbaren selbst finanzieren lassen. Die DIW-Studie macht hier gute Vorschläge. Ein Punkt, den wir aufgrund unserer Arbeit in Ländern des globalen Südens betonen, ist aber der: Internationale Entwicklungsorganisationen können bei der Elektrifizierung eine positive wie auch negative Rolle einnehmen.

Wie das?

Einerseits stellen internationale Organisationen wichtiges Startkapital für diese lokalen Investitionen bereit. Das DIW rechnet hier mit einer Amortisationszeit von fünf Jahren, nach unseren westlichen Maßstäben ist das ein scheinbar kurzer Zeitraum.

Porträtaufnahme von Sebastian Helgenberger.
Foto: IASS

Sebastian Helgenberger

ist Umwelt­wissen­schaftler und leitet am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam die inter­disziplinäre Cobenefits-Forschungs­gruppe, die sich mit der inter­nationalen Dimension der Energiewende und den sozialen und wirtschaftlichen Chancen von ambitioniertem Klimaschutz mit erneuerbaren Energien befasst.

In vielen Ländern des Südens können private Haushalte oder Dorfgemeinschaften die Photovoltaikanlage oder das Inselnetz nicht fünf Jahre vorfinanziereren, auch wenn es sich grundsätzlich rechnen würde. Hier mangelt es schlicht an entsprechenden Finanzierungsmodellen beispielsweise durch lokale Banken.

Hier können internationale Partner mit Startkapital also einen wichtigen Beitrag leisten. Entscheidend ist hier allerdings, dass diese Unterstützung in ein nachhaltiges Geschäftsmodell eingebettet ist.

Das heißt, eine Investition muss sich selbst tragen und für die lokalen Partner realisierbar sein. Auch hier sind die lokalen Ausbildungschancen ein wichtiger Faktor. Dann wird eine solche Investition Nachahmer vor Ort finden, die für die Verbreitung erneuerbarer Energien wichtig sind.

Wenn sich internationale Organisationen vor allem nur als Bereitsteller von Technologien sehen und nicht als Ermöglicher nachhaltiger Geschäftsmodelle, dann führen solche Projekte in Subventionsabhängigkeiten und haben keine große Zukunft.

Der Übergang vom Startkapital zu Geschäftsmodellen, die sich selbst finanzieren können, muss mitgedacht werden und wird bislang vernachlässigt.

Heißt das, in den Regionen müsste es zu einer wirtschaftlichen Anwendung der erneuerbaren Energien kommen? Wie kann das aussehen? Großprojekte wie das, Nordafrika zur Wasserstoffregion für Europa zu machen, werden Sie ja nicht im Auge haben.

Die Frage, wie die erneuerbare Energiewelt zu Industrieentwicklung und wirtschaftlichem Wohlstand beitragen kann, ist für ihren umfassenden Einsatz entscheidend. Südafrika etwa hätte hier durchaus das Potenzial, Leitmarkt und Industriestandort im Bereich erneuerbare Energien für den afrikanischen Kontinent zu werden.

Solange Regionen wie Nordafrika aber als energiepolitische Einflussbereiche betrachtet werden – nach dem Motto "Wasserstoffregion für Europa" – und nicht der Beitrag der Erneuerbaren für den Zugang zu Energie und Wohlstand in diesen Ländern im Zentrum steht, bleibt ein breiter Rückhalt in der Bevölkerung unwahrscheinlich – mit Ausnahme weniger Profiteure.

Es geht hier also um die soziale Nachhaltigkeit der Energiewende im Hinblick auf gesellschaftliche und lokalwirtschaftliche Teilhabe.

Soziale Nachhaltigkeit und Teilhabe sind schöne Schlagworte – wie kann das konkret aussehen?

Um das obige Beispiel aufzugreifen: Eine verlässliche Stromversorgung ist in vielen Regionen Afrikas, aber etwa auch den ländlichen Regionen Indiens nach wie vor ein unerfülltes Ziel. Nun stellen Sie sich vor: Ihre Heimatregion wird ein wichtiger Energielieferant für die Nachbarländer oder die Großstadt im Umland, aber in Ihrer Gemeinde bleiben die Lichter aus.

Erneuerbare-Energie-Projekte müssen zeigen, dass sie über Klimaschutz hinaus auch dazu beitragen, unmittelbare soziale und wirtschaftliche Herausforderungen zu bewältigen.

Eine unserer Studien in Südafrika zeigt, wie lokale Unternehmen und Haushalte, die selbst in Photovoltaik investieren, bei ihren Energiekosten sparen. Hier hilft der wachsende Kostenvorteil der Erneuerbaren im Vergleich zu den Fossilen. Eine weitere IASS-Studie im ländlichen Indien zeigt, wie mithilfe dezentraler Photovoltaik die Anzahl der Stromunterbrechungen auf ein Drittel reduziert werden kann.

Werden die Menschen vor Ort und ihre Gemeinden nicht wirtschaftlich oder in der Planung beteiligt, formiert sich Widerstand, kochen soziale Konflikte hoch. Das beobachten wir weltweit, etwa in Mexiko und in Kenia – und nicht zuletzt in Deutschland und bei uns vor der Haustür in Brandenburg.

In Brandenburg verdienen bei der Windkraft bisher ja meist die Investoren, den Einheimischen fehlt schon aus historischen Gründen das nötige "Kleingeld" für solche Millionenprojekte. Dasselbe droht sich jetzt bei großen Solar-Freiflächenanlagen zu wiederholen. Da zeigen sich, wenn auch auf einem ganz anderen Level, Parallelen. Gibt es hier auch so etwas wie solare Almosen?

Was die Menschen vor Ort umtreibt, ist der Wunsch nach zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und einem sicheren Auskommen, das Bedürfnis nach Mitgestaltung und finanzieller Beteiligung an der neuen Energiewelt. Das gilt für die Lausitz genauso wie für Mpumalanga, die Kohleregion Südafrikas.

Erneuerbare Energien für die Menschen zu denken – und nicht ausschließlich fürs Klima – ist entscheidend für eine sozial nachhaltige Energiewende.

Brandenburg hat im vergangenen Jahr den Weg eingeschlagen, anliegende Gemeinden an den Erträgen von Windparks zu beteiligen. Erneuerbare können hier einen substanziellen Beitrag zur ländlichen Entwicklung in Deutschland leisten – hier geht es um deutlich mehr als nur Almosen, und das ist auch gut so.

Brandenburg geht damit über das 2016 verabschiedete Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern hinaus, das eine wirtschaftliche Beteiligungspflicht von Windanlagenbetreibern vorsieht. Auch die aktuelle Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das EEG 2021, setzt einen kleinen Schritt in diese Richtung zu wirtschaftlicher Teilhabe an erneuerbaren Energien und zu sozialer Nachhaltigkeit.

In all diesen Aspekten sollten wir im Übrigen die internationale Vorbildwirkung Deutschlands nicht unterschätzen. Wenn hierzulande 2020 voraussichtlich fast die Hälfte des Strombedarfs aus Erneuerbaren gedeckt wird, dann wird das weltweit wahrgenommen – ebenso im Übrigen, wenn hier neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen sollen oder Menschen wegen der Förderung von Braunkohle ihre Dorfgemeinschaften verlieren.

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