Klimareporter°: Frau Hornidge, 300 Milliarden Dollar haben die Industrieländer laut Beschluss des Weltklimagipfels in Baku jedes Jahr an Klimafinanzierung aufzubringen, ab 2035 voll zu zahlen. Angenommen, Sie könnten einem der 44 LDC‑Staaten, einem wirklich armen Land also, eine Milliarde Dollar an Klimafinanzierung überweisen. Wie setzen Sie das Geld ein, um dem Land und seinen Menschen wirklich zu helfen?
Anna-Katharina Hornidge: Bevor wir über Transfers dieser Art reden, müssen wir uns vor Augen führen: Den Strukturwandel werden wir allein mit öffentlichen Mitteln nicht hinbekommen. Der Großteil der Transformation von Energie, Ernährung und Verkehr muss über den Markt ermöglicht werden – im jeweiligen Land selbst wie über den Weltmarkt.
Aber klar: Es gibt Länder, die im Welthandel sehr benachteiligt sind. In der Regel sind das die Länder mit niedrigem, teilweise auch mit mittlerem Einkommensniveau. Diese Länder benötigen gezielte Hilfen beim Umbau. Die Unterstützung muss dabei nicht immer nur Staaten gelten, sondern auch gesellschaftlichen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Klimafinanzierung innerhalb öffentlicher Finanzen ist eine Form von Umverteilung, um eine Transformation zu gestalten. Wohin soll diese gehen? Was genau soll verändert werden? Das muss immer auf einer gemeinsamen Konzeptentwicklung beruhen.
Anna-Katharina Hornidge
ist Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), früher Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, und Professorin für Globale Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bonn. Sie arbeitet zu Fragen von Wissen(schaft) für Entwicklung und natürliche Ressourcen-Governance in Landwirtschaft und Fischerei Asiens und Afrikas. Hornidge berät die Bundesregierung etwa als Ko-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) und Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission.
Es ist unzulänglich, von New York, Washington oder Berlin aus zu definieren, wie beispielsweise Kambodscha, Laos oder Sambia ihre Energiesysteme transformieren sollen.
Das hängt zuerst davon ab, welches Energiesystem vor Ort vorhanden ist. Hängt es wie in Sambia stark von Wasserkraft ab oder wie in Kenia eher von Geothermie? Oder ist es noch von fossilen Energien bestimmt? Dann muss die Transformation ganz anders aussehen und auch schneller vorangetrieben werden.
Das allerwichtigste Thema in Niedrigeinkommensländern ist aber, überhaupt Zugang …
... zu Energie zu haben?
Ja. In vielen Ländern geht es insofern nicht darum, das Energiesystem um-, sondern es erst einmal aufzubauen und allen zugänglich zu machen. Das sollte dann gleich klimastabilisierend gestaltet sein.
Hier verlangen die Industriestaaten von ärmeren Ländern, die fossile Energiephase quasi zu überspringen. Die angesprochenen Länder weisen wiederum die Industrieländer darauf hin, dass deren Reichtum auf fossiler Energie beruht. Warum also sollten die ärmeren Länder darauf verzichten? Was halten Sie vom verlangten großen energetischen Sprung?
Es kommt sehr darauf an, wo sich das Land befindet, ob es die Möglichkeit hat, überhaupt erneuerbare Energien zu "ernten".
In sonnenreichen Regionen mit wenig Wolken ist Solarenergie eine ernstzunehmende Option. Sie hat zudem den Vorteil, dass nicht unbedingt ein zentralisiertes Netz gebraucht wird. Dezentrale Lösungen sind in dünner besiedelten, großflächigen Staaten sehr attraktiv und kostensparend.
Allerdings gilt das nicht für alle Länder. Insofern ist ein zentralisiertes Netz auch eine Option. Man muss schon genau hinschauen, wo das "Überspringen" des fossilen Zeitalters ein Sprung nach vorn ist, ein "Leapfrogging".
Sie kennen potenzielle "Sprung"-Länder gut. Wie sehen das die Menschen dort?
Beispielsweise wird in Senegal die Frage "Fossil oder erneuerbar?" sehr kontrovers diskutiert und macht sich stark daran fest, das eigene Erdgas zu nutzen. Das weiß ich auch aus meinen Vor-Ort-Gesprächen.
In Ländern, die über fossile Energien verfügen, liegt der Fokus stärker auf der Position: Warum sollen wir unsere eigenen fossilen Ressourcen nicht nutzen dürfen? Ihr habt dies doch auch getan.
Im Austausch mit Senegal stellte sich als zusätzliches Hindernis heraus, dass die dortigen Gasfelder teils in Meeresgebieten liegen, auf deren Schutz auch von deutscher Seite viele Jahre lang hingearbeitet wurde. Das Ziel war es, mittels der Schutzgebiete der Überfischung entgegenzuwirken.
Die deutsche Haltung dazu hat sich leider schnell geändert, als wir selbst Zugang zu dem Gas brauchten und wollten.
Selbst wenn ein Land wie Senegal sein Gas für sich nutzt, werden die klimarelevanten Emissionen gering sein – verglichen mit den Emissionen, die die Industrieländer in den letzten 150 Jahren verursachten und weiter verursachen. Nicht ein erdgasbasierter Senegal macht das Klima kaputt, sondern die großen Emittenten des Nordens tun es. Ist es da nicht absurd, von dem Land fossile Enthaltsamkeit zu fordern?
Dies ist – historisch betrachtet – nicht fair und auch in Bezug auf den heutigen Entwicklungspfad des Landes nicht einfach zu vertreten.
Deswegen gibt es eine sehr begründete Debatte um Klimagerechtigkeit sowie um den Loss-and-Damage-Fonds, mit dem die Klimaschäden durch die großen Emittenten gemindert werden sollen.

Zugleich aber muss der fossile Verzicht keine unfaire Forderung sein, nimmt man ihn als Ansatz für eine Entwicklung mit dem Ziel, in solchen Ländern den Lebensunterhalt zu sichern und vor Ort eine attraktive Zukunft für junge Menschen zu gestalten.
Als Teil einer solchen Entwicklung ist fossiler Verzicht nicht unfair, sondern sehr sinnvoll und sehr pragmatisch und sehr viel zukunftsgewandter, als zunächst die Fehler des fossilen Zeithalters zu wiederholen.
Weil auch für solche Länder die fossile Phase absehbar enden muss?
Sie muss nicht nur, sie wird irgendwann enden. Rein faktisch gesehen sind die Fossilen eine endliche Geschichte. Die Frage ist nur, ob wir von ihnen schnell genug wegkommen, damit die Menschheit das Ende auch noch erlebt.
Die Länder, die jetzt die fossile Phase hinter sich lassen sollen, erleiden gerade auch enorme Verluste und Schäden durch den Klimawandel. Zerstören die Wetterextreme nicht im Wortsinne die dortigen wirtschaftlichen Potenziale?
Wir wissen, dass bei den letzten großen Extremwetterkatastrophen in Pakistan oder Westafrika 80 bis 90 Prozent der Schadenskosten lokal von den Betroffenen getragen wurden. Das sind zum Teil unvorstellbare Ausmaße und das muss sich ändern.
Viele dieser Länder sind in hohem Maße von der Natur abhängig. Der Lebensunterhalt der Menschen hängt direkt von der Natur ab, durch Landwirtschaft oder durch Fischerei. Das gilt auch für einige Gesellschaften, die noch weiter in den Tropen liegen oder in vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen.
Welche Zukunft haben diese Regionen denn noch, eingeklemmt zwischen der nötigen Transformation auf der einen und den Folgen des Klimawandels auf der anderen Seite?
Die Veränderungsdynamiken sind in der Tat sehr besorgniserregend: die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels, die Schuldenkrise und die fragilen staatlichen Institutionen.
Gerade in Niedrigeinkommensländern hat die Staatsverschuldung weiter zugenommen und schränkt die Handlungsräume der Regierung stark ein. Hier sind Formen der Um- und Entschuldung von besonderer Bedeutung.
Das bedeutet auch: Einseitig auf zentralisierte Großprojekte zu setzen, die mit enormen neuen Schulden für diese Länder einhergehen, ist nicht tragbar.
Lesen Sie hier Teil 2: "Wir müssen trotz allem weitermachen – dazu gibt es keine Alternative"