Zu kompliziert und mangelhaft. Gemeint ist die grüne Taxonomie, mit der Finanzdienstleister und Firmen ihren klimatischen Fußabdruck zunächst ermitteln, später verkleinern sollen.
Doch ausgerechnet der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck plädierte kürzlich für eine Abschwächung der europäischen CSRD-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Und in einem Brief bat die rot-grüne Rest-Bundesregierung die EU-Kommission, ihre CSRD-Richtlinie zumindest in Teilen zu verschieben.
Wladimir Putin sei Dank soll 2025 obendrein westliche Rüstung nachhaltig werden. Manager und Politiker fordern lauthals, der Rüstungsindustrie in der Europäischen Union das ESG-Schild "ethische Geldanlage" zu verpassen. Zur Erinnerung: ESG setzt sich aus den Begriffen environment (Umwelt), social (Soziales) und governance (Unternehmensführung) zusammen.
Dank EU-Taxonomie könnte die Finanzbranche dann stärker in die Rüstungsindustrie investieren. Nato-Generalsekretär Mark Rutte forderte in seiner Neujahrsbotschaft die Bürger auf: "Sagen Sie Ihren Banken und Pensionsfonds, dass es inakzeptabel ist, wenn sie sich weigern, in die Verteidigungsindustrie zu investieren." Rechts um – marsch!
Von der neuen EU-Kommission sind 2025 keine nachhaltigen Impulse zu erwarten. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft innerhalb der Triade USA–EU–China und – angesichts von Krisen und Kriegen in vielen Weltregionen – die Außenpolitik dürften die im Dezember begonnene zweite Amtszeit von Präsidentin Ursula von der Leyen dominieren, die planmäßig bis 2029 läuft.
Und nun trat am 20. Januar auch noch Dealmaker Donald Trump seine erneute US-Präsidentschaft an.
Offenbar wird 2025 für Nachhaltigkeitsziele in Deutschland, Europa und der Welt ein überaus, nun, spannendes Jahr.
Und dann ist da neben dem Klima auch noch die Natur, die so natürlich ja nicht mehr ist, sondern weitgehend Menschenwerk. Eine Zahl, wie für den CO2-Ausstoß, gibt es für "Biodiversität" nicht. Konzerne suchen dennoch längst nach Daten, die zeigen sollen, wie abhängig sie von Ökosystem-Leistungen sind.
Das Thema Naturkapital ist in der Finanzwirtschaft angekommen
Blicken wir einmal in den Rückspiegel. Mit dem Green Deal der EU werden auch internationale Vorgaben aus dem Abkommen zum Schutz der Biodiversität umgesetzt. Das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, kurz GBF, wurde von der Staatengemeinschaft im Dezember 2022 in Montreal beschlossen. Es verpflichtet Staaten, Land- und Meeresflächen unter effektiven Schutz zu stellen.
Nun sind auch Finanzdienstleister und Unternehmen abhängig von Ökosystemen. Deren Leistungen werden bislang teils kostenlos genutzt. Dabei kommt letztlich keine Firma ohne Leistungen des Ökosystems aus. Doch lässt sich das "Naturkapital" quantifizieren?
Das Thema Naturkapital ist mittlerweile in der Finanzwirtschaft angekommen. So wurde im Sommer auf einer von Spitzen-Bankern, Wissenschaftlern und Journalisten aus aller Welt besuchten Konferenz, die von der Europäischen Zentralbank in Portugal veranstaltet wurde, eine Studie über die ökonomischen Folgen des Verlustes an Biodiversität präsentiert ("The economics of biodiversity loss").
Vorgelegt wurde sie von der deutschen Finanzökonomin Theresa Kuchler zusammen mit Ökonomen der New York University und der Yale-Universität in den USA. Die globale Resonanz war beachtlich. So wurde die 64-seitige Studie beispielsweise in den Zentralbanken Brasiliens und Russlands diskutiert.
Die Kuchler-Studie basiert auf alarmierenden Statistiken, die auf einen drastischen Rückgang der Artenvielfalt hinweisen. In den letzten 50 Jahren waren die Verluste zehnmal, in manchen Fällen hundertmal höher als in Millionen Jahren zuvor.
Kuchlers mathematisierter Text ist der Versuch, ökonomische Folgen des Artensterbens in volkswirtschaftliche Konzepte einzubetten und damit für die Wirtschaft als Naturkapital handhabbar zu machen. Hinter der Studie steht die Hoffnung, wie in der Klimadebatte die eine Zahl zu finden, die alle Probleme bündelt.
Volkswirtschaftlich sinnvoll, betriebswirtschaftlich nicht
Es sind nicht mehr abenteuerlustige Ritter, die nach dem Heiligen Gral suchen, heute sind es Datensammler. Ein zentraler privater Akteur ist die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures, kurz TNFD.
Initiiert von der G20-Staatengruppe und finanziert unter anderem von der deutschen Regierung und den Vereinten Nationen, hat die Arbeitsgruppe Empfehlungen entwickelt, wie Unternehmen das von ihnen genutzte Naturkapital vermessen können. Über 1.500 Mitgliedskonzerne soll TNFD inzwischen umfassen, die mit dem Datensammeln begonnen haben.
"Nennt es nicht Biodiversität. Das ist ein Ergebnis des Zustands von Ökosystemen. Nennt es Natur", lässt sich TNFD-Chef David Craig zitieren. Die Erfahrungen der Taskforce fließen in die Arbeit des privatwirtschaftlichen International Sustainability Standards Board (ISSB) in Frankfurt am Main ein. Dort sollen globale Standards für die Erfassung von Biodiversitätsrisiken geschaffen werden.
Jedes zweite Unternehmen weltweit ist schätzungsweise direkt abhängig von gesunden Ökosystemen, fruchtbaren Böden, sauberem Wasser sowie Ressourcen wie Sand oder Holz.
Es liegt im ureigensten Interesse der Wirtschaft, das Naturkapital zu schützen. Diese volkswirtschaftliche Logik kollidiert allerdings – wie in der Klimafrage – mit der betriebswirtschaftlichen, profitorientierten Logik des Einzelunternehmens. Schließlich ist "bio" erstmal nur ein Kostenfaktor und schmälert den Gewinn.
Und wenn – wie beim Klima – die Regeln nicht für alle Länder, Branchen und Unternehmen gelten, wird "bio" schnell zu einem existenzbedrohenden Wettbewerbsnachteil. Eine schlechte Erfahrung, die augenblicklich die deutsche Industrie macht.
Spätestens hier muss also die Politik, die Staatengemeinschaft, eingreifen und Regeln für Standards, für deren Umsetzung und Kontrolle setzen.
Bis unsere Welt dafür reif ist, wird Zeit vergehen. Zeit wird auch die technische Umsetzung benötigen, bis Stahlwerke, Pizza-Hersteller und Wäschereien Netto-Null-Biodiversitätsverlust erreichen. Geduld ist also gefragt. Ja, die Wirklichkeit ist kompliziert und mangelhaft. Doch die gute Nachricht für unser Naturkapital lautet, es tut sich was.