Die staatliche Greentech-Förderung umfasst in China viele Bereiche, auch die Ladeinfrastruktur für E‑Autos. (Bild: Xu Jun/​Shutterstock)

Klimareporter°: Frau Shih, der Handelskrieg zwischen China und den USA ist in eine neue Runde gegangen. Vor Kurzem hat die US-Regierung beschlossen, die Zölle auf E‑Autos aus China von 25 auf 100 Prozent anzuheben. Für andere Produkte, darunter Solarzellen und Lithium-Ionen-Akkus, steigen die Zölle ebenfalls.

Der Vorwurf ist bekannt: Wettbewerbs­verzerrende Subventionen würden zu unlauterem Wettbewerb führen. Wie sehen Sie den Schritt der US-Regierung?

Lea Shih: Die aktuelle Entscheidung der Biden-Administration in Hinblick auf E‑Autos und Solarzellen ist eher symbolisch und wahltaktisch motiviert. Sie hat kaum Auswirkungen auf die Realwirtschaft.

Laut dem chinesischen Industrieverband lag der Anteil der direkt aus China importierten E‑Autos und Solarzellen in den USA letztes Jahr bei unter einem Prozent. Chinesische Hersteller haben den US-Markt bereits seit 2018 gemieden, als Zölle in Höhe von 25 Prozent auf chinesische Elektroautos und Solarzellen erhoben wurden.

Lediglich die neuen Zölle auf Lithium-Ionen-Batterien in Höhe von 25 Prozent werden den zukünftigen bilateralen Handel beeinträchtigen. Um die Zölle der USA und auch der EU zu umgehen, werden immer mehr chinesische Hersteller ihre Produktion ins Ausland verlagern. Diese Tendenz ist bereits sichtbar und wird sich langfristig fortsetzen.

Sie sprechen die Zölle der EU selbst an: Die EU-Kommission führt derzeit eine Antisubventionsuntersuchung durch. Kommt sie zu dem Schluss, dass Hersteller von E‑Autos in China zu stark subventioniert werden, könnte sie – auch rückwirkend – "Ausgleichszölle" einführen.

Sind Subventionen wirklich so ausschlaggebend für die Produktion von günstigen und zugleich technologisch hoch entwickelten E‑Autos in China?

Die günstige Produktion in China ist vor allem auf die niedrigen Kosten für Arbeit, Energie, Rohstoffe, Boden, Kapitalbeschaffung und so weiter zurückzuführen. In all diesen Bereichen gibt es eigene Preisbildungsmechanismen.

In den westlichen Ländern wird die Preisbildung in den genannten Bereichen dem Markt oder der Gesetzgebung überlassen. Subventionen sind dabei ein politisches Instrument zur Beeinflussung der bestehenden Preisbildungsmechanismen.

Lea Shih

ist promovierte Politik­wissenschaftlerin und forscht seit 2023 freiberuflich an der Sun-Yat-sen-Universität im süd­chinesischen Guangzhou. Zuvor war sie als Postdoc an der Universität Trier und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator-Institut für China-Studien (Merics) in Berlin tätig. Ihre Forschungs­schwer­punkte sind Industrie- und Technologie­politik in Ostasien sowie das politische System Chinas.

In China ist das anders. Im Zuge der Marktreformen unter Deng Xiaoping seit 1978 wurden zunächst die Preise für Konsumgüter freigegeben. Die Preise für Produktionsfaktoren sind bisher noch nicht vollständig liberalisiert.

Zum Beispiel gibt es ein staatliches Bankensystem, das heißt, die Zinsen sind unter staatlicher Kontrolle. Es gibt kein Privateigentum an Grund und Boden, sodass dieser nicht Gegenstand des Tauschverkehrs ist und daher keinen Marktpreis hat. Das Stromnetz ist in Staatsbesitz, sodass der Staat über staatliche Versorger die Strompreise beeinflussen kann. Außerdem haben Gewerkschaften kein Tarifrecht.

Bei all der Kritik an der Subventionierung in China dürfen diese Besonderheiten nicht außer Acht gelassen werden.

Welche anderen Maßnahmen gehören zur Industriepolitik in China? Welche staatlichen Instrumente wie etwa Kreditvergabe durch staatliche Banken sind wichtig?

Der Kern der chinesischen Industriepolitik ist die Lenkung von Investitionen in die politisch gewünschte Richtung. Ein klassisches Instrument sind industriepolitische Vorgaben für die Banken bei der Kreditvergabe oder auch bei der Genehmigung von Börsengängen von Unternehmen.

Die Steuerung von Investitionen durch politische Vorgaben ist der EU nicht fremd, die Taxonomie für nachhaltige Geldanlagen ist ein Beispiel dafür. Der Unterschied liegt in der Umsetzung: In China ist eine direkte politische Einflussnahme auf Investitionen noch möglich – durch das staatliche Bankensystem und den staatlich kontrollierten Finanzmarkt. In der EU funktioniert dies nur indirekt und der Wirkungsprozess dauert daher länger.

Darüber hinaus sind jene staatseigenen Konzerne, die in China der Sasac – der Kommission des Staatsrats zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen – direkt unterstehen, auch die wichtigsten Akteure. So kann die Politik direkt Einfluss auf den Wirtschaftsprozess nehmen. Deshalb erscheint die Industriepolitik in China effizienter.

Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission NDRC ist bekannt für ihren Prioritätenkatalog, mit dem Investitionen gelenkt werden. Auch die Fünfjahrespläne der Zentralregierung und einige umfassende Strategien wie "Made in China 2025" sind hierzulande bekannt.

Aber für die Umsetzung sind vor allem Lokalregierungen zuständig, auf Provinzebene und in den Städten. Dann läuft, trotz der erwähnten Effizienz, häufig nicht alles "nach Plan" ...

Ja, das stimmt. Ein exemplarisches Problem ist die selektive Umsetzung der nationalen Industriepolitik durch lokale Akteure: Sie setzen möglichst nur das um, von dem sie auf ihrer Ebene auch profitieren können, zum Beispiel höhere Steuereinnahmen oder das Schaffen von neuen Arbeitsplätzen.

Andere Maßnahmen, etwa die Schließung von Kohlekraftwerken oder den Abbau von Produktionskapazitäten, verfolgen lokale politische Akteure oft nur halbherzig, es sei denn, der Druck der Zentralregierung ist extrem hoch.

Ein in der Debatte besonders häufig auftauchender Begriff sind die "Überkapazitäten" bei der Produktion von Gütern, früher schon aus der Diskussion um Aluminium und Stahl bekannt. Was ist damit gemeint?

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.

Es gibt keine einheitliche Definition von Überkapazitäten. In westlichen Ländern wird oft eine Kapazitätsauslastung der Betriebe von mindestens 70 Prozent als Signal dafür verwendet. In China funktioniert dieses Signal jedoch nicht, da die jährlichen Produktionsschwankungen viel stärker sind als in anderen Ländern.

So ist es in China am einfachsten, Preisschwankungen als Signal zu verwenden: Wenn der Preis in kurzer Zeit drastisch fällt, ist dies ein klares Signal für ein Überangebot. Zum Beispiel sind die Preise für Solarzellen, Solarbatterien und Ähnliches im Jahr 2023 um mehr als 50 Prozent gefallen.

Noch deutlicher wird die Diskrepanz zwischen neu installierter und produzierter Photovoltaik-Leistung: 2023 wurden in China 499 Gigawatt produziert, weltweit aber nur 420 Gigawatt neu installiert – davon übrigens 261 Gigawatt in China. Wenn die chinesischen Hersteller mehr produzieren, als die ganze Welt verbrauchen kann, ist klar, dass Überkapazitäten entstehen.

Worauf lassen sich diese Überkapazitäten im Greentech-Sektor zurückführen?

Die direkte Ursache für dieses Phänomen ist, dass es in China zu viele Hersteller gibt, die unabhängig davon, ob sie profitabel sind oder nicht, Kredite von Banken sowie verschiedenerlei Unterstützung von lokalen Regierungen erhalten. Denn grüne Technologien haben eine hohe Priorität in der chinesischen Industriepolitik. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig für Unternehmen, einen solchen Markt zu verlassen.

Regierungen vieler westlicher Staaten reagieren auf die Herausforderungen des chinesischen Staatskapitalismus in gewisser Hinsicht paradox: Sie kritisieren die Rolle des Staates in der dortigen Wirtschaft, investieren hierzulande aber wieder vermehrt und nutzen teilweise ähnliche Instrumente.

Industriepolitik rückt wieder in den Vordergrund. Ein bekanntes Beispiel ist der Inflation Reduction Act in den USA, gegen den China nun eine WTO-Klage eingereicht hat. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

In einer globalisierten Wirtschaft stehen alle Länder in einem Standortwettbewerb. Wenn ein Land anfängt zu subventionieren, müssen andere Länder früher oder später nachziehen.

Als die europäischen Länder die Verbraucher von Solarmodulen subventionierten, profitierten davon Hersteller außerhalb der EU. Nachdem Deutschland die Subventionen gestrichen hatte und viele chinesische Hersteller in eine Existenzkrise gerieten, musste die chinesische Regierung dann eine ähnliche Subventionspolitik einführen.

Ähnliches geschieht derzeit in den USA. US-Unternehmen, die sich durch Subventionen in anderen Ländern benachteiligt fühlen, wenden sich an ihre Regierung und bitten um Hilfe. Dies hat den Handlungsdruck auf die Politik erhöht, auch wenn viele Wirtschaftsliberale einen Subventionswettlauf für wenig produktiv halten und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft generell ablehnen.

 

In China gibt es einen florierenden Privatsektor, der in der Debatte manchmal aus dem Blick gerät. Welche Rolle spielen diese Firmen, speziell bei den grünen Technologien?

Tatsächlich werden Privatunternehmen außerhalb Chinas oft als politisch benachteiligt wahrgenommen. Dabei wird jedoch übersehen, dass private Unternehmen in aufstrebenden Branchen wie Greentech bereits eine marktführende Rolle einnehmen und zu einer treibenden Kraft bei der Einführung protektionistischer Maßnahmen in China werden. Ein aktuelles Beispiel sind die Solarzellenhersteller, die mit Hilfe der Politik ein Exportverbot für die neueste Technologie durchsetzen konnten.

Außerdem sind private Unternehmen wesentlich effizienter als staatliche und wissen sehr genau, wie sie ihre Marktmacht ausbauen können, indem sie sowohl den Binnenmarkt als auch internationale Märkte nutzen. Zudem müssen sie sich nicht dem Druck organisierter Gewerkschaften oder Umweltschutzgruppen aussetzen.

Auch die Wettbewerbsregulierung wird in China nicht so streng wie in der EU und den USA durchgesetzt, besonders was die Bekämpfung von Monopolen betrifft. Im Vergleich zu ihren westlichen Konkurrenten ist das "soziale Umfeld" für chinesische Unternehmen also deutlich entspannter, was den politischen Nachteil mehr als ausgleicht.