Aysel Osmanoglu. (Bild: Martin Steffen)

Das Wichtigste aus 52 Wochen: Sonst befragen wir die Mitglieder unseres Herausgeberrats im Wechsel jeden Sonntag zu ihrer klimapolitischen Überraschung der Woche. Zum Jahresende wollten wir wissen: Was war Ihre Überraschung des Jahres? Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.

Das Jahr 2024 bleibt bis zum Schluss politisch und wirtschaftlich ereignisreich. Einiges stellt unsere Erwartungen auf die Probe, anderes überrascht uns mit erstaunlichen Wendungen.

Zwei Entwicklungen werfen ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten und Widersprüche in den Bereichen Klimaschutz, Finanzwirtschaft und geostrategische Verantwortung.

Blockierte Regeln zur Nachhaltigkeits-Berichterstattung von Unternehmen

Zu Beginn des Jahres 2024 blickte die Finanzwelt gespannt auf die Umsetzung der europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive in einzelstaatliches Recht. Die EU-Richtlinie soll Unternehmen zu einer umfassenderen und transparenteren Berichterstattung über ihre Nachhaltigkeitsstrategien verpflichten.

Es erwartet worden, dass Deutschland diese Vorgaben zeitnah in eigenes Recht gießt, um sich als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit zu positionieren.

 

Stattdessen erleben wir eine politische Blockade. Die Richtlinienumsetzung verzögert sich erneut, und die Bundesregierung geht ein Risiko ein, indem sie eine Vertragsstrafe der EU in Kauf nimmt.

Die Auswirkungen dieser Verzögerung sind weitreichend. Sie erschweren es Unternehmen, eine klare Orientierung bezüglich ihrer nachhaltigen Finanzberichterstattung zu finden, und verschärfen den Druck auf die deutsche Wirtschaft, in Sachen Nachhaltigkeit endlich ernst zu machen.

Die Zögerlichkeit in der Umsetzung stellt die Glaubwürdigkeit des deutschen Engagements für eine klimafreundliche und sozial gerechte Wirtschaft infrage.

"Nachhaltige Rüstungsfinanzierung" – ein gefährlicher Trend

Eine weitere beunruhigende Überraschung dieses Jahres ist die Diskussion um die Nachhaltigkeit von Rüstungsfinanzierung. Auf Grundlage einer EU-Richtlinie wird derzeit in Deutschland darüber nachgedacht, die Rüstungsindustrie als nachhaltig zu klassifizieren, um ihr den Zugang zu sogenannten ESG-Finanzierungen zu ermöglichen.

Dieser Vorschlag kommt aus politischen Kreisen und Teilen der Finanzbranche und wird durch das Zielmarktkonzept des Fondverbands BVI unterstützt. Demnach könnte es künftig als "nachhaltig" gelten, in Rüstungsunternehmen zu investieren – eine völlig neue Sichtweise auf den Begriff der Nachhaltigkeit.

Diese Entwicklung ist aus mehreren Gründen problematisch. Wenn Waffenhersteller und Rüstungsunternehmen in ESG-Fonds aufgenommen werden, untergräbt dies das Vertrauen der Anleger:innen in die Glaubwürdigkeit der ESG-Kriterien, die festlegen, was zum Bereich Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung gehört und was nicht.

Die Idee, Kriegsindustrie als nachhaltig zu klassifizieren, widerspricht den ESG-Grundprinzipien und gefährdet das Vertrauen in nachhaltige Finanzprodukte. Die GLS Bank und viele andere Organisationen lehnen diesen Schritt entschieden ab.

 

Das Jahr 2024 zeigt uns erneut, wie viel Spannung in den Themen Klimaschutz und nachhaltige Finanzwirtschaft steckt. Wir leben in einer Zeit des Umdenkens, des Lernens und des Ausbalancierens von Interessen.

Die Frage, wie wir als Gesellschaft und als Wirtschaft den Weg in eine nachhaltigere Zukunft gestalten, wird auch in den kommenden Jahren entscheidend bleiben. Dabei überrascht mich am meisten, wie viel wir im Bestehenden machen können – und wie viel Energie uns das geben kann.

Das Äußere – also die Rahmenbedingungen und der politische Wille – ist ohne Frage von Gewicht und kostet Energie, wenn es stillsteht oder kompliziert wird. Doch das Innere ist mindestens genauso entscheidend: Die Möglichkeiten, die wir in unserem Tätigkeitsraum jetzt haben und ergreifen, geben uns so viel Energie! Mehr Energie, als das Äußere kostet.