Bevor die Spree die Lausitz verlässt und sich in Richtung Berlin aufmacht, durchfließt sie den Spreewald, ein in Europa einzigartiges Binnendelta, eine einmalige Kultur- und Naturlandschaft.

Vor allem ab den 1960er Jahren wurden viele Flussarme des Spreewalds vertieft und begradigt, um sogenannte Sümpfungswässer aus den Braunkohletagebauen der Lausitz abzuleiten. Denn um die Kohle fördern zu können, muss einströmendes Grundwasser abgepumpt und der Tagebau trockengelegt werden.

 

Die so gewonnenen Sümpfungswässer dienten praktischerweise gleich als Kühlwasser für die enorm durstigen Lausitzer Wärmekraftwerke. Drei Viertel des Kühlwassers gehen dabei als Dampf in die Luft verloren. Strom aus Braunkohle zu erzeugen, bedeutet vor allem, einen gigantischen künstlichen Wasserverbrauch in Gang zu setzen.

Was an Wasser nach der Verstromung übrigbleibt, geht in der Lausitz größtenteils in die Spree zurück. Der Fluss durchquert die ganze Braunkohleregion von Süd nach Nord. In den Spitzenzeiten der Lausitzer Braunkohle landeten pro Sekunde rund 15 Kubikmeter abgepumptes Grundwasser in der Spree – das sind etwa 100 volle Badewannen.

Die Kubikmeter-Angabe stammt aus dem kürzlich veröffentlichten Abschlussbericht über "Wasserwirtschaftliche Folgen des Braunkohleausstiegs in der Lausitz", herausgegeben vom Umweltbundesamt (UBA).

Schon während der mehrjährigen Erarbeitungszeit der Studie kritisierten Umweltverbände völlig zu Recht, dass der Lausitzer Braunkohleverstromer Leag die Inhalte beeinflusst hat und von den darin empfohlenen Maßnahmen direkt profitiert (Klimareporter° berichtete).

Diese Einschätzung hat sich auch nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts nicht geändert, wie unter anderem in einer ausführlichen Begutachtung des Umweltnetzwerks Grüne Liga nachzulesen ist.

Segensreiche Wirkungen der Braunkohle

Wie sehr Kohlelobbyismus die UBA-Studie prägt, zeigt sich auch am Umgang mit der Spree und dem Spreewald. Statt die vollzogene Anpassung des Flusses an die Bedürfnisse des Bergbaus zu thematisieren, unterstellen die Autoren, dass sich Gesellschaft, Wirtschaft und Natur im Spreegebiet auf einen "komfortablen Spreeabfluss" eingestellt hätten. Das habe zu einer "sukzessiven Anpassung" der Ökosysteme und der überregionalen Wasserwirtschaft geführt.

Das soll wohl heißen: Dank der segensreichen Wirkungen des Bergbaus konnten Wälder, Moore, Fische und Bewohner großzügig mit Wasser umgehen. Damit werde es nach dem Kohleausstieg vorbei sein, so die Warnung aus der Studie.

Wie schon der Titel andeutet, versuchen die Autoren im Abschlussbericht die wirklichen Verhältnisse umzukehren: Nicht der 150-jährige Braunkohlebergbau soll die Wasserverhältnisse der Lausitz zerstört haben, sondern der aktuelle Kohleausstieg verursache die Probleme.

Am wasserdurstigsten ist dann für die kohlefreundlichen Autoren auch nicht das Füllen der riesigen Tagebaurestlöcher, sondern – man ahnt es schon – der Spreewald.

Dessen Lagunenlandschaft entziehe nämlich in trockenen Sommern der Spree bis zu acht Kubikmeter pro Sekunde, lege den Fluss also gerade in solchen Zeiten praktisch trocken, ist in der Studie zu lesen. Wenn es die Sümpfungswässer nicht mehr gebe, würden für viele Gewässerabschnitte "Anpassungen der Schutz- und Erhaltungsziele" notwendig, sagen die Autoren voraus.

Der Partwitzer See entstand aus einem Tagebaurestloch. Gebadet werden kann hier nur, weil der See dauerhaft gekalkt wird. (Bild: Gunther Tschuch/​Wikimedia Commons)

Während dem Spreewald das Wasser also künftig abgegraben werden soll, sieht die Studie keine Abstriche beim Wasserbedarf für die letzten Tagebaue vor. Wie eh und je sollen die ausgekohlten Mondlandschaften mit riesigen Wasserflächen zugedeckt werden.

Allein die entstehenden und noch geplanten Lausitzer Bergbaufolgeseen des Leag-Konzerns – sie füllen die "Löcher" der Tagebaue Cottbus-Nord, Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde – sollen nach jetzigem Stand ein Gesamtvolumen von rund 1.900 Millionen Kubikmetern Wasser haben.

Die Gesamtfläche der neuen Seen soll mehr als 84 Quadratkilometer betragen. Das ist, als würde sich die Lausitz den bayerischen Chiemsee nochmals zulegen – zusätzlich zu den schon bestehenden rund 30 Tagebauseen in Brandenburg und Sachsen.

Luftschlösser aus Wasserstoff

Damit nicht genug. Die Lausitz soll trotz sinkender Wasserverfügbarkeit nach dem Willen der Autoren auch weiterhin auf wasserverbrauchende thermische Kraftwerke setzen, nun unter dem Label Wasserstoff. Auf Seite 188 des Abschlussberichts findet sich dazu eine Beispielrechnung:

"Um die Stromproduktion beispielsweise aus dem Jahr 2020 in den drei Lausitzer Kraftwerken Boxberg, Schwarze Pumpe und Jänschwalde von 35,7 Terawattstunden durch Wasserstoff zu ersetzen, sind 1,07 Millionen Tonnen Wasserstoff erforderlich. Daraus ergibt sich ein Wasserbedarf von rund 15 Millionen Kubikmetern Wasser beziehungsweise circa 0,5 Kubikmetern pro Sekunde."

Die drei genannten Kraftwerke sind Braunkohleanlagen. Eine Quelle für diese Rechnung gibt die Studie nicht an. Diese Ansätze, um den Wasserbedarf zu ermitteln, seien der Wasserstoffstrategie des Landes Brandenburg entnommen worden, erklärt das Umweltbundesamt auf Nachfrage.

In der geltenden Brandenburger Wasserstoffstrategie von 2021 finden sich diese "Ansätze" jedoch nicht. Dafür heißt es dort: "Vor dem Hintergrund der limitierten Möglichkeit zur Erzeugung von grünem Wasserstoff in Brandenburg wird insbesondere unter Effizienzgesichtspunkten eine Nutzung des grünen Wasserstoffs im Stromsektor (Rückverstromung) und im Wärmemarkt (Gebäude) derzeit nicht angestrebt."

Das Land hat mit dem Ersetzen der Braunkohle durch Wasserstoff also wenig am Hut. Aber selbst wenn die Rückverstromung politisch gewünscht wäre, ist die Kohleersatz-Rechnung Nonsens.

Der aktuelle Eigentümer der genannten Braunkohlekraftwerke, der Lausitzer Energiekonzern Leag, plant derzeit den Bau von maximal 4.000 Megawatt sogenannter H2‑ready-Kraftwerke, die erst mit Erdgas und später mit grünem Wasserstoff befeuert werden sollen.

Diese Kraftwerke sollen nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums vor allem als sogenannte Backup-Kraftwerke die Zeiten überbrücken, in denen erneuerbare Quellen nicht genug Strom liefern.

Die Wasserstoff-Kraftwerke werden deswegen nicht häufiger am Netz sein als heutige Gaskraftwerke, jährlich also nicht mehr als etwa 3.200 Betriebsstunden erreichen.

4.000 Megawatt H2‑Kraftwerke würden danach knapp 13 Terawattstunden Strom erzeugen, also nur ein Drittel des in der Studie aufgeführten "Ersatzbedarfs" für die drei Braunkohleanlagen. Damit wäre auch der Bedarf an Wasserstoff und Wasser um zwei Drittel geringer.

Unbelegte "Kühlungseffekte"

Darüber hinaus geht selbst die Leag davon aus, dass der Wasserstoff für die H2-Kraftwerke per Pipeline in die Region importiert werden muss. Entsprechend kämpft der Konzern derzeit darum, Zugang zum geplanten Wasserstoffkernnetz zu bekommen.

Die Kohleersatz-Rechnung ist so nichts anderes als ein Fake, um den Wasserbedarf in der Lausitz künstlich nach oben zu treiben. Man muss sich schon fragen, ob das Umweltbundesamt den Abschlussbericht überhaupt ernsthaft geprüft oder der Lausitzer Verbrennerlobby hier freie Hand gelassen hat.

Diese Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen. Auch an anderer Stelle wird den Autoren offenbar gestattet, ihre persönlichen Ansichten als gutachterliche Weisheit zu verkaufen. So findet sich auf Seite 30 folgende These:

"Das künftige Wasserdargebot im Niederlausitzer Braunkohlenrevier wird durch die Gewässerverdunstung über den Bergbaufolgeseen mit einer Gesamtfläche von etwa 250 Quadratkilometern im langjährigen Mittel um circa 1,3 Kubikmeter pro Sekunde und durch verlorengegangene Landflächen um weitere circa 0,7 Kubikmeter pro Sekunde verringert ... In der Bewertung dieser bilanziellen Nachteile sind jedoch auch die Vorteile, wie Kühlungseffekte und die Vermeidung extremer Bodenaustrocknung, zu berücksichtigen."

Quellen aus der Fachliteratur, die insbesondere den behaupteten vorteilhaften Kühlungseffekt belegen, sind in der Studie nicht angegeben. Das Umweltbundesamt kann auf Nachfrage auch keine Belege liefern.

Tagebaufolgelandschaften weisen große Wasserflächen auf. (Bild: Friederike Meier)

Die Behörde erläutert stattdessen, beim Kühlungseffekt handle es sich um eine "gutachterliche Position", die aus der "ganzheitlichen" Betrachtung des Bearbeitungsgegenstands resultiere und lediglich Empfehlungscharakter habe. Inwieweit die Aussagen hinreichend begründet seien oder zusätzlicher "wissenschaftlicher Durchdringung" bedürften, werde Gegenstand weiterführender Gespräche sein, schränkt das UBA ein.

Im Klartext: In einer vom Umweltbundesamt verantworteten Studie dürfen unbelegte, nicht hinreichend begründete Aussagen unwidersprochen verbreitet werden.

Man stelle sich einmal vor, Klimaforscher würden in ähnlicher Weise aus einer "ganzheitlichen Position" heraus von einem "Kühlungseffekt" fabulieren. Das würde ihnen zu Recht von der Expertengemeinde um die Ohren gehauen werden.

Die führende Umweltbehörde des Landes adelt dagegen solche unbewiesenen Behauptungen mit seiner Herausgeberschaft, gibt dem falschen Spiel mit dem Lausitzer Wasser Raum. Hier sind Maßstäbe an seriöse wissenschaftliche Arbeit verrückt.

Nach der Studie ist vor der Studie

Ohnehin ist der Abschlussbericht aus klimawissenschaftlicher Sicht veraltet und ignoriert weitgehend die rasante Entwicklung des Klimawandels in den letzten zehn Jahren. So bezieht sich das verwendete wasserwirtschaftliche Modell auf das Referenzklima im Zeitraum von 1951 bis 2006, wie in der Studie zu lesen ist.

Die Anwendung von Klimaszenarien sei nicht Gegenstand der Studie gewesen, räumt das Umweltbundesamt seinerseits ein. Dafür seien die Braunkohle-Länder zuständig, betont die Behörde, also Brandenburg und Sachsen. Nach vorliegenden Informationen soll es noch bis 2027 dauern, bis das in der Studie verwendete regionale Wassermodell auf den aktuellen Stand der Klimaforschung gebracht ist.

So verwundert es nicht, dass viele Empfehlungen der Studie wie aus der Zeit gefallen wirken, darunter der zentrale Vorschlag, den Lausitzer Wassermangel auszugleichen, indem jährlich mindestens 60 Millionen Kubikmeter Wasser aus benachbarten Flussgebieten abgezweigt werden, vorzugsweise aus der Elbe, der Lausitzer Neiße und der Oder.

Betrachten wir etwa die Oder. Dort wurde vor einem Jahr ein großes Fischsterben ausgelöst, weil der Fluss zu wenig Wasser hatte, zu warm und zu salzhaltig war, wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke kürzlich erläuterte. An dem Fluss zeigten sich deutlich die drei ökologischen Krisen, so Lemke: die Klimakrise, das Artensterben und die Verschmutzungskrise.

Ist unter diesen Vorzeichen eine Überleitung von Oderwasser ins Spreegebiet überhaupt noch möglich? Das sei ohne weitere Untersuchungen nicht zu beurteilen, erklärt das Bundesumweltministerium auf Nachfrage.

Nach der Studie ist offenbar vor weiteren Studien.

UBA-Präsident Dirk Messner erklärte Anfang Juli anlässlich des wasserwirtschaftlichen Abschlusses der Arbeit, seine Behörde hoffe, die Studie habe "hilfreiche Denkansätze" und "erste Lösungsoptionen" aufzeigen können. Die Länder vor Ort wüssten am besten, was sich von den Vorschlägen gegebenenfalls modifiziert und ortsangepasst umsetzen lasse.

Offensichtlich möchte das Umweltbundesamt das Thema Lausitzer Wasser nun den Braunkohle-Ländern auf den Tisch schieben.

Den Spreewald wird das am Ende wenig beeindrucken. Er überlebte schon lange Trockenperioden, großflächige Abholzungen und die sogenannte Melioration zu DDR-Zeiten. Auch eine kohlelobbyistische Studie wird ihm, so viel ist sicher, auf Dauer nichts anhaben können.

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