Der 30 Meter hohe "Rostige Nagel" wurde für eine Million Euro in die Braunkohlefolgelandschaft gesetzt. (Bild: Jörg Staude.)

Das Lausitzer Korn ist schuld, das Sandkorn. Es ist zu rund und verhakt sich einfach nicht mit anderen Körnern, erzählt Gerd Richter, in seinem Rücken der sogenannte Rostige Nagel. An dem Aussichtsturm unweit von Senftenberg in Brandenburg mündet der Sornoer Kanal in den Sedlitzer See.

Richter ist beim ostdeutschen Bergbausanierer LMBV für die Lausitz zuständig. Die vor rund 30 Jahren gegründete Bund-Länder-Gesellschaft schlägt sich noch immer mit den Altlasten der Braunkohle herum. Die Gründe dafür brachte der Bergbautechniker Richter Anfang Oktober Landtagsabgeordneten der Grünen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen nahe.

Schon 1980 endete die Kohleförderung in Sedlitz. 2005 begann die Flutung des Restlochs, fertig geflutet ist es noch immer nicht.

Jahrzehntelang schien Braunkohlebergbau samt Sanierung eine einfache Sache zu sein: Kohle trockenlegen, den Abraum darüber wegbaggern, den kohlenstoffhaltigen Brennstoff herausholen, den Abraum wieder zurückpacken – und weil die Kohle ja verbrannt, also in CO2 verwandelt wurde, bleibt ein "Mengendefizit", das Restloch.

Das füllen wir mit Wasser, antworten Ingenieure darauf. Wo einst nur Lausitzer Heide war, schaffen wir eine Seenlandschaft für Erholung, Tourismus und regionale Wirtschaft. Allein in den Sedlitzer See werden einmal drei Kanäle münden. Wer sollte so eine Vision nicht gut finden?

Geplante Seenlandschaft nicht überall sicher

Jetzt droht sie im Wortsinn zu zerfließen, wegen des Sandkorns. Werden nach dem Ende der Kohle die Grundwasserpumpen abgestellt, steigt das Wasser an, füllt Hohlräume zwischen den Körnern aus. Dann kann es zu großflächigen Rutschungen kommen, zum "Setzungsfließen".

Da können ganze Landstriche wegrutschen. Bei einem großen Grundbruch im Jahr 2010 verschwanden im ehemaligen Tagebau Spreetal ganze Lkws. Danach sperrte die Bergaufsicht 20.000 Hektar sogenannter Innenkippen. Die waren vielfach schon zur Nutzung freigegeben. Heute dürfen sie nicht einmal betreten werden.

 

Schnelle Abhilfe gegen das Fließen gibt es nicht. Kilometerlang verdichte die LMBV Seeufer mit Rüttellanzen, die alle paar Meter tief im Boden stecken, beschreibt Richter das Verfahren.

Auf ein paar hundert Hektar Innenkippen erprobt die LMBV seit einigen Jahren auch die Sprengverdichtung. In der Tiefe werden dazu kleine Sprengladungen zur Explosion gebracht. Zur Überprüfung wird der Boden dann künstlich vereist, herausgebohrt und ins Labor geschafft, so Gerd Richter weiter.

Klimawandel verzögert Flutung der Restseen

Ob sich auf diese Weise größere Kippenflächen künstlich verdichten lassen, werden die Sanierer – 15 Jahre nach dem Spreetaler Grundbruch – bald wissen.

Die Zeit stellte dem destruktiven Korn jetzt auch noch einen Verbündeten zur Seite: den Klimawandel. Mittlerweile fehle der Region die Regenmenge eines ganzen Jahres, bilanziert Gerd Richter.

Wer es in Zahlen mag: Nach Angaben der sächsischen Landesregierung summiert sich das klimabedingte Wasserdefizit allein von 2017 bis 2020 auf 900 Liter je Quadratmeter. Davon entfallen 500 Liter auf geringeren Niederschlag und mehr als 400 Liter auf höhere Verdunstung. In den Braunkohlerevieren beläuft sich das Defizit zusammengerechnet sogar auf bis zu 1.200 Liter.

Das an der Oberfläche fehlende Wasser bringt neue Probleme. Denn aufsteigendes Grundwasser allein erschafft keine Lausitzer Seenlandschaft, sondern wegen der Rutschungen höchstens eine Sumpflandschaft.

Die Restlöcher müssen sozusagen parallel von unten mit Grundwasser und von oben mit Frischwasser aus Flüssen und Seen geflutet werden. Der Wasserstand muss dabei schnell genug steigen, damit das Wasser ausreichend Druck auf die sandigen Hänge ausübt und diese stabil hält.

So sollte der berühmte Cottbuser Ostsee eigentlich 2025 voll geflutet sein, jetzt rechnet der Betreiber Lausitzer Energie AG (Leag) mit einem Zeitraum bis 2030. Weil das Fluten nun länger dauert und es am Wasserdruck auf die Hänge fehlt, muss die Leag jetzt zum Beispiel die Uferbereiche des Ostsees nachverdichten.

Kohlekonzern plant weiter mit großen, flachen Gewässern

Das sind Hiobsbotschaften für die Leag. Im Zuge des Kohleausstiegs muss der Energiekonzern noch vier weitere große Tagebaue so weit sanieren, dass sie bergrechtlich freigegeben werden können.

Wie bisher plant die Leag dabei mit großen, relativ flachen Gewässern. Die Gesamtfläche der neuen Seen soll mehr als 84 Quadratkilometer betragen. Gegenüber den schon bestehenden rund 30 Tagebauseen in Brandenburg und Sachsen soll sich die Seenfläche noch einmal mehr als verdoppeln.

Neue große Seen brauchen nicht nur zum Füllen viel Wasser, aus ihnen verdunstet eben auch mehr von dem knappen Nass – und noch mehr, wenn mit dem Klimawandel die Temperatur steigt.

Und Wasser will die Leag nicht nur für ihre Restlöcher. An seinen Lausitzer Kraftwerksorten will der Konzern künftig bis zu 4.000 Megawatt sogenannter Backup-Kraftwerke bauen. Die sollen ab 2030 immer dann einspringen, wenn Sonne und Wind den Strombedarf zeitweise nicht decken können.

Anfangs laufen die Backup-Anlagen mit Erdgas, dann soll es Wasserstoff sein. Der Brennstoff ist zwar klimaneutral, die Gaskraftwerke selbst sollen aber thermische Anlagen sein. Sie brauchen zum Kühlen jede Menge Wasser. Gut drei Viertel dieses Wassers gehen dann auch noch über Kühltürme verloren.

Gutachten sieht Wasserüberschüsse im Winter

Wasser brauchen in der Lausitz aber auch die Unternehmen und die Landwirte, die Teichwirtschaften und die Städte und Dörfer. Vom Lausitzer Wasser lebt schließlich auch der Spreewald, das Binnendelta der Spree, und nicht zuletzt die Hauptstadt Berlin mit gut dreieinhalb Millionen Einwohnern.

Zählt man alle Wasserbedarfe zusammen, kann es aus Leag-Sicht gar nicht anders sein, als dass in Zukunft aus anderen Quellen Frischwasser in die Lausitz kommt.

Zu ziemlich genau diesem Ergebnis kommt auch ein im Juni veröffentlichtes Gutachten des Umweltbundesamtes. Lösen ließen sich die Wasserprobleme der Lausitz nur, heißt es dort, wenn jedes Jahr bis zu 60 Millionen Kubikmeter Wasser aus benachbarten Flüssen wie Neiße, Oder und vor allem der Elbe übergeleitet werden.

Im Winter, so das Gutachten, verfügten diese Flüsse über überschüssiges Wasser. Das könnte dann zu alten wie neuen Tagebau-Restseen geleitet und dort gespeichert werden, darunter auch im Cottbuser Ostsee. Im Sommer könnte das gespeicherte Wasser dann die Wassernot lindern.

Die Kosten, um das Wasser umzuleiten und Speicherseen zu schaffen, würden größtenteils bei der öffentlichen Hand hängenbleiben. Die Leag wäre fein raus.

Grüne pochen auf Verursacherprinzip

Der Studie wird denn auch zu Recht Kohlelobbyismus vorgeworfen. Entsprechend warnen die Grünen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen in einem Anfang Oktober vorgestellten Positionspapier: Die Kosten für die Wasser-Sanierung der Lausitz dürften nicht bei den Steuerzahlern abgeladen werden.

Verursacher der Wasserprobleme sei der Bergbau, die Leag müsse daher "umfassend" an den Kosten beteiligt werden, heißt es in dem Papier. Dabei plädieren die Grünen für einen früheren Kohleausstieg. Je eher dieser erfolge, desto kleiner sei der Schaden, wurde bei der Vorstellung des Papiers in Senftenberg erklärt.

Die Grünen sprechen sich weiter gegen große Restseen aus. Wegen der Wasserverluste durch Verdunstung müssten die Seen möglichst klein gehalten werden, darauf sei in der Braunkohleplanung hinzuwirken, forderte der sächsische Landtagsabgeordnete Volkmar Zschocke.

Für Zschocke hat es auch wenig Sinn, Wasser aus einem Flusssystem in ein anderes zu pumpen, wenn es dann in dem ersten fehlt. In ihrem Papier fordern die Grünen für eine mögliche Wasserüberleitung aus Elbe, Neiße oder Oder jeweils Nutzen-Kosten-Vergleiche mit anderen Maßnahmen wie einem "bedarfsweisen" Weiterbetrieb der Grundwasserpumpen. Diese Maßnahmen könnten den Übergang zwischen dem Ende der Braunkohle und dem Abschluss der Restseen-Flutung absichern.

Weiterlaufende Pumpen würden doppelt helfen

Ein zeitweiliges Weiterlaufen der Pumpen würde doppelt helfen. Zum einen würde das Grundwasser langsamer ansteigen, was den Zeitdruck bei der Flutung verringern würde. Zum anderen würde das weiterhin gehobene Grundwasser, wie auch die Grünen betonen, die Wasserversorgung Berlins erstmal entspannen und Zeit für Alternativen bringen.

LMBV-Sanierer Gerd Richter sieht das Weiterlaufen der Pumpen skeptisch, vor allem wegen der Kosten. Die Sanierungsgesellschaft wende schon heute bis zu einem Drittel ihres Budgets auf, um Folgen von "Ewigkeitslasten" wie dem Grundwasseranstieg abzumildern. Das Geld fehle dann bei der Sanierung.

Alle 20.000 Hektar so wiederherzustellen, dass sie weitgehend gefahrlos genutzt werden können, hält Richter ohnehin für nicht mehr machbar. Man werde sich am Ende entscheiden müssen, was in welchem Umfang saniert werden kann, meint er.

 

Wie teuer die Sanierung der Lausitzer Braunkohle wird, dazu gibt es noch keine wirklich belastbaren Angaben. Inzwischen seien die Schätzungen bei einem zweistelligen Milliardenbetrag angekommen, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Bernhard Herrmann aus Sachsen bei der Präsentation. Als einzig praktikable Lösung sehen die Grünen die Schaffung einer länderübergreifenden Braunkohlefolgenstiftung.

Eines ist aber schon klar: Bei der Sanierung geht es nicht um Jahre, sondern mindestens um Jahrzehnte. Der Bergbau in der Lausitz begann vor gut 150 Jahren. Mindestens noch einmal so lange wird es dauern, eine neue Landschaft zu schaffen. Die alte ist ohnehin unwiederbringlich zerstört.