Eine Art Burgfrieden herrscht derzeit beim Kohleausstieg Ost. Zwischen 2030 und 2038 scheint als Ausstiegsjahr im Moment alles möglich.

So findet sich in den Antworten des Bundeswirtschaftsministeriums auf 77 parlamentarisch eingereichte Fragen der FDP unter Frage vier – Entwicklung des deutschen Strommixes in den nächsten Jahren – eine Tabelle.

 

In der Liste ist für 2030 die Stromerzeugung der Steinkohle wie der Braunkohle mit einer glatten Null angegeben. Das soll wohl bedeuten: 2030 wird Deutschland keine Kohle mehr in Kraftwerken verfeuern.

Allerdings will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wie schon im vergangenen, so auch im kommenden Winter auf die Dienste der zwei Jänschwalder 500-Megawatt-Blöcke zurückgreifen, die eigentlich schon in der "gestreckten Stilllegung" waren und aus dieser im letzten Herbst herausgeholt wurden.

Das jedenfalls kündigte Habeck jüngst bei einem Brandenburg-Besuch an. Mit dem fortgesetzten fossilen Backup brockte Habeck sich einen veritablen Shitstorm ein. Er, der Grüne, steige nicht aus der Kohle aus, sondern heize mit "schmutzigen" Reservekraftwerken weiter dem Klima ein.

Abgesehen davon kann sich Habeck beim Kohleausstieg Ost gegenwärtig entspannt geben, wie ein kürzlicher Medienauftritt mit dem Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) zeigte.

Die Wirklichkeit werde 2030 so aussehen, dozierte Habeck dabei, dass 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen, die restlichen 20 Prozent würden durch Erdgas und möglichst schnell auch durch Wasserstoff bereitgestellt. Sein Ministerium komme in den Gesprächen mit der EU-Kommission zu den geplanten H2-ready-Gaskraftwerken gut voran, sagte Habeck. Schon Ende des Jahres könnten die Ausschreibungen für den Bau der Kraftwerke starten.

Ausgehend von den Umrissen dieser Energiewelt 2030 bis 2035, so Habeck weiter, werde sich dann eine Debatte über die Frage ergeben, wie lange sich Braunkohlekraftwerke noch rechnen. In diesem Rahmen werde sich ein Ausstiegskorridor finden, über den man reden könne, erklärte Habeck, und wenn nicht, dann gelte das Kohlebeendigungsgesetz, wie es ist – also mit dem Ausstiegsjahr 2038.

Veolia steigt aus Müllverstromungsprojekt aus

Tatsächlich kann sich die Bundesregierung im Moment beim Thema Ost-Kohleausstieg zurücklehnen und zusehen, wie der Lausitzer Energiekonzern Leag mit wachsenden Problemen bei seinen Verbrenner-Projekten zu kämpfen hat.

Die Zeit arbeitet immer stärker gegen den Braunkohleverstromer. Der Brennstoff der konkurrierenden Gasverstromung ist wieder preiswert zu haben. Trotz des Atomausstiegs müssen die großen Braunkohleblöcke schon jetzt häufig heruntergefahren werden, weil zu viel Ökostrom im Netz ist, ist aus dem Unternehmen zu hören.

Weiteres Beispiel für die fossilen Probleme: Die mehrjährige Vezögerung bei der Energie- und Verwertungsanlage (EVA) Jänschwalde. Diese sollte eigentlich schon ab 2024 jährlich rund 400.000 Tonnen sogenannter Sekundärbrennstoffe verbrennen, die aus Abfall hergestellt werden. Seit zwei Jahren liegt die Baugenehmigung vor – nur gebaut wurde nicht.

Anfang Mai teilten nun der französische Konzern Veolia und die Leag das "einvernehmliche" Ende ihrer EVA-Partnerschaft mit. Die Gründe lägen "in unterschiedlichen Einschätzungen zu konjunkturellen, regulatorischen sowie energie- und abfallwirtschaftlichen Entwicklungen", hieß es.

Die Leag will nun andere Unternehmen aus der Entsorgungsbranche für die EVA begeistern und die Anlage 2027 oder 2028 in Betrieb nehmen.

Der Ausstieg von Veolia kommt nicht von ungefähr. Die Zeichen stünden "klar auf Stärkung der Kreislauf- und Recyclingwirtschaft", kommentierte Paula Ciré, Juristin bei der Umweltrechtsorganisation Client Earth. Bei der Müllverbrennungsanlage seien die Auswirkungen auf Menschen, Umwelt und Klima nicht ausreichend betrachtet worden – allein schon wegen des angekündigten Ausstoßes von bis zu 600.000 Tonnen CO2 im Jahr.

In einem klimaneutralen Deutschland ist mit so viel CO2 tatsächlich schwer etwas anzufangen. "Abfallverbrennung ist das Gegenteil von Klimaschutz", betont auch Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). "Wenn die gesetzlichen Klimaschutzziele wirklich ernst genommen werden sollen, dann müssen wir damit aufhören, Wertstoffe zu verfeuern", sagt der Kreislaufwirtschaftsexperte gegenüber Klimareporter°.

Für Fischer ist zudem der auf den Weg gebrachte Brennstoffemissionshandel ein klares Argument gegen die Verbrennung, die dadurch kostenintensiver werde. "Deshalb ist der Ausstieg von Veolia auch keine Überraschung, zumal eine riesige Verbrennungsanlage in einem dünn besiedelten ländlichen Gebiet auch logistisch wenig Sinn ergibt", erklärt der DUH-Experte.

Keine H2-Pipeline für die Leag

Aber auch beim großen Zukunftsverbrennungs-Projekt der H2-ready-Gaskraftwerke sieht sich die Leag bisher nicht gekannten Problemen ausgesetzt.

Einige Tage bevor Habeck mit Woidke vor die Medien trat, übte Leag-Vorstandschef Thorsten Kramer im Berliner Tagesspiegel scharfe Kritik an den Plänen der Bundesregierung zum Ausbau der Wasserstoffpipelines in Ostdeutschland.

Für die Leag sei es "sehr befremdend, dass die Pipeline in Ostdeutschland so geplant ist, dass sie nicht in der Nähe unserer Kraftwerke vorbeikommt", gab Kramer zu Protokoll.

Bisher plant die Leag, H2-ready-Kraftwerke im Umfang von insgesamt 4.000 Megawatt an bestehenden Energiestandorten zu errichten. Die Anlagen könnten aber nicht mit Wasserstoff aus Tanklastzügen betrieben werden, kritisierte Kramer. Ein Kraftwerk würde dann pro Tag 1.200 Tanklastzüge mit Wasserstoff benötigen, rechnete er vor. Deswegen sei eine Versorgungspipeline Pflicht, sonst werde die Leag kein Kraftwerk bauen.

Habeck berichtete beim Woidke-Termin zwar von einem großen Wasserstoff-Kernnetz, das die Regierung derzeit entwickle, vermied es aber, Brandenburg dafür eine Zugangsgarantie zu geben.

Kramers Grundproblem ist: Die Leag als Braunkohleverstromer hat keine geeigneten, auf Wasserstoff umrüstbaren Gasleitungen und auch kein eigenes Know-how für den Bau von Wasserstoffpipelines.

Eigentümer der Ferngasnetze in der Region ist die Gasnetzgesellschaft Ontras, die wiederum im Mehrheitsbesitz des Energiekonzerns EnBW ist. Beide Unternehmen stellen sich auch schon auf den Bau großer Wasserstoffnetze ein.

 

Allerdings gilt das Verhältnis der Leag zur EnBW als schwierig. So will der baden-württembergische Konzern seinen großen Block im Braunkohlekraftwerk Lippendorf, bei dem die Leag die Betriebsführung hat, spätestens 2028 stilllegen – mehrere Jahre, bevor das Kohlebeendigungsgesetz das eigentlich vorsieht.

Es fragt sich auch, ob die EnBW ein Interesse daran haben kann, über den Zugang zu den künftigen großen Wasserstoffpipelines die Marktposition der Leag im deutschen und europäischen Energiemarkt zu stärken.

Wie das Ringen ausgeht – auch das kann sich Habeck im Moment entspannt anschauen.