Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, die Bundesregierung wird wegen ihrer Gasumlage scharf kritisiert: Das Geld könnten auch Unternehmen bekommen, die dank hoher Energiepreise Milliardengewinne eingefahren haben. Ist das nicht absurd?

Matthias Willenbacher: Natürlich ist es absurd, wenn Unternehmen, die Krisengewinner sind und Milliardengewinne machen, zusätzlich noch staatlich verordnet Geld von Menschen erhalten, die in Existenznot sind. Stattdessen hätte es schon vor der zusätzlichen Belastung mit einer Gasumlage ein drittes Entlastungspaket gebraucht.

Angesichts der zu erwartenden extremen Preissteigerungen bei Strom und Gas im nächsten Jahr – und wahrscheinlich darüber hinaus – ist es dringend erforderlich, dass Haushalte mit geringem Einkommen unterstützt werden.

Die beste Hilfe ist aber der Umbau unserer Energieversorgung. Wir brauchen einen Masterplan, wie schnellstmöglich alle Gas- und Ölheizungen durch Wärmepumpen-, Infrarot- und Pelletheizungen sowie Erneuerbaren-Nahwärme-Netze ersetzt werden können.

Parallel dazu brauchen wir ein gigantisches Sanierungsprogramm, angefangen bei den Haushalten mit geringem Einkommen, um weniger Energie zu verschwenden und die Menschen finanziell zu entlasten.

Bei der jüngsten Ausschreibung für Photovoltaik-Anlagen an Gebäuden und Lärmschutzwänden wollte die Bundesnetzagentur insgesamt 767 Megawatt an die Projektierer bringen. Doch am Ende konnte die Behörde nur für 201 Megawatt einen Zuschlag erteilen. Wo bleibt denn nun der angekündigte Solarboom?

 

Der lässt insgesamt auf sich warten. Gründe sind die Unsicherheiten bei den verfügbaren Flächen, diverse Engpässe, die Inflation, unnötige Bürokratie und einige andere Dinge.

Das Ausschreibungsergebnis zeigt übrigens sehr schön, dass Ausschreibungen bei zu wenig Geboten, also einer Unterzeichnung, keinen Sinn haben.

Ein Wettbewerb um den günstigsten Preis findet dann nicht statt. In der Folge bieten alle möglichst nah am Höchstpreis, weil sie sicher sein können, einen Zuschlag zu erhalten – auch wenn die tatsächlichen Kosten deutlich geringer sind.

Völlig absurd ist in dem Zusammenhang, dass bei der nächsten Ausschreibung für Solaranlagen auf Dachflächen und Lärmschutzwänden Anfang Dezember aufgrund der vorangegangenen unterzeichneten Ausschreibungen nur gut 200 Megawatt ausgeschrieben werden.

Das mag zwar so etwas Ähnliches wie Wettbewerb erzeugen, ist in Anbetracht der Installationszahlen, die notwendig sind, um die Erderhitzung aufzuhalten, vollkommen widersinnig.

Die – notwendigen – hohen Ausbauziele für Windkraft und Photovoltaik im Erneuerbare-Energien-Gesetz, lassen sowieso erwarten, dass in den nächsten Jahren sehr viele, wenn nicht alle Ausschreibungen unterzeichnet sein werden. Vor dem Hintergrund des beschriebenen Bieterverhaltens sollte sich das Bundeswirtschaftsministerium ernsthaft Gedanken über alternative Konzepte machen.

Kleiner Hinweis am Rande: Die Festvergütungen in den ersten 17 Jahren des EEG haben ganz gut funktioniert und nebenbei eine echte Akteursvielfalt hervorgebracht.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Es ist eher eine Überraschung der letzten Wochen – nämlich, wie intensiv und hitzig hierzulande über den potenziellen Streckbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke diskutiert wurde und wird. Das nenne ich hervorragende Lobbyarbeit. Statt über den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien zu sprechen, werden politische Nebelkerzen von Konservativen und Ewiggestrigen gezündet.

Dabei ist der Effekt einer weiteren Stromproduktion auf den Gasverbrauch minimal und für eine sichere Stromversorgung in Deutschland nicht notwendig. Betrachtet man den sehr hohen rechtlichen Aufwand, die nicht unerheblichen Sicherheitsrisiken und den geringen Gaseinsparbeitrag, ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis eindeutig negativ. Ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis der Stresstest des Wirtschaftsministeriums kommt.

Parallel dazu und öffentlich nur am Rande wahrgenommen, steht unser Nachbar Frankreich vor einer veritablen Stromversorgungskrise. Aus Wartungs- und Sicherheitsgründen produziert dort zurzeit weniger als die Hälfte der AKW-Erzeugungskapazität überhaupt Strom.

Das hat den unangenehmen Nebeneffekt, dass trotz der exorbitant hohen Gaspreise deutsche Gaskraftwerke für den französischen Markt produzieren und in der Folge in Deutschland die Strompreise steigen. Diese Krise in Frankreich wird im Übrigen noch Jahre andauern, weil sich die geplanten AKW-Neubauten deutlich verzögern (und verteuern) und der Erneuerbaren-Ausbau in Frankreich bisher nur halbherzig verfolgt wurde.

Deshalb müssen wir vorangehen und den Ausbau von Wind- und Solarenergie beschleunigen. Mein Vorschlag: Jedes Windrad und jeder Solarpark darf ohne weitere Genehmigung erneuert werden. Damit würden wir in kürzester Zeit unsere Abhängigkeiten reduzieren und das Klima schonen.

Fragen: Jörg Staude

Anzeige