AKW Hinkley Point
Jetzt komplett abgeschaltet: Die Atomkraftwerke Hinkley Point A (blau) und B (weiß) liegen am Bristolkanal gegenüber von Cardiff. (Foto: Richard Baker/​Wikimedia Commons)

In Deutschland wird zunehmend hitzig über eine Verlängerung der Laufzeiten für die drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke debattiert. In Großbritannien wurde derweil am heutigen Montag bereits der dritte Reaktor in diesem Jahr endgültig abgeschaltet.

Selbst Frankreich als Atom-Mekka rechnet für 2022 mit einer um ein Viertel niedrigeren Kernkraft-Produktion. Dort war zuletzt rund die Hälfte der insgesamt 56 Atommeiler nicht am Netz.

Der Energieversorger EDF Energy hat am Montag den britischen Atomreaktor Hinkley Point B‑1 im Südwesten des Landes endgültig abgeschaltet, nachdem Anfang Juli bereits die erste Anlage des Doppel-Kraftwerks, B‑2, vom Netz gegangen war. Damit setzt sich die Abschaltungswelle im Land fort.

Im letzten Jahr waren auf der Insel drei Reaktoren stillgelegt worden, zwei Anlagen in Dungeness im Südosten sowie Hunterston B‑1 in Schottland, im Januar 2022 folgte Hunterston B‑2. EDF Energy ist eine Tochter des staatseigenen französischen Stromkonzerns EDF.

Grund für die aktuellen Abschaltungen und die der anderen Reaktoren waren das Alter der AKW und Sicherheitsprobleme durch Risse in den Graphitkernen der gasgekühlten Anlagen. Die Hinkley-Point-Reaktoren waren bereits seit 1976 in Betrieb, sie liefen also 46 Jahre lang.

Auch in Großbritannien wurde darüber diskutiert, ob die Laufzeiten der beiden Reaktoren angesichts der Gaskrise, die auch die Insel trifft, verlängert werden können. Die Regierung in London hatte das im Frühjahr prüfen lassen.

EDF Energy winkte jedoch ab. Es sei wegen der erforderlichen detaillierten Sicherheitsnachweise nicht möglich, das Doppel-AKW über den Winter in Betrieb zu halten.

Aus der Nuklearbranche hieß es laut Medienberichten, das AKW habe "noch einen Winter in sich" gehabt, nun aber werde die Stromversorgung auf der Insel in den kommenden Monaten zusätzlich belastet.

Die Atomkraft lieferte bisher rund 16 Prozent des britischen Stroms. Dieser Anteil sinkt wegen der neuen und weiterer in diesem Jahrzehnt geplanter Abschaltungen in der alternden AKW-Flotte. In Großbritannien war seit 1956 eine Atomkapazität von 15.700 Megawatt aufgebaut worden, davon ist inzwischen mehr als die Hälfte, über 9.000 Megawatt, wieder stillgelegt worden.

Auch der AKW-Neubau Hinkley Point C – zwei Reaktoren mit zusammen 3.400 Megawatt, die EDF Energy 2027 in Betrieb nehmen will – kann diesen Rückgang nicht ausgleichen. Die Londoner Regierung plant allerdings weitere neue Reaktoren. Derzeit verhandelt sie mit dem Betreiber über ein zweites neues Doppel-Kraftwerk, Sizewell C in der Grafschaft Suffolk.

Der Baubeschluss für die neuen Reaktoren am Standort Hinkley Point war erst gefallen, nachdem London EDF Energy eine sehr hohe Einspeisevergütung für die gesamte Laufzeit zugesichert hatte. Atomkraftgegner sind überzeugt, dass Hinkley Point C dauerhaft unwirtschaftlich ist und vor allem aus militärischen Gründen gebaut wird.

Atomstrom erweist sich in Frankreich als unsicher

In Frankreich, wo mit 56 Reaktoren rund die Hälfte der europäischen AKW steht, waren zuletzt bis zu 29 Meiler abgeschaltet. Gründe sind normale Wartungs- und Reparaturarbeiten, die zum Teil wegen Corona nachgeholt werden müssen, sowie Stillstände, weil in neueren Reaktortypen Risse durch Korrosion in Rohrleitungen des Notkühlsystems festgestellt worden waren.

Laut einer Analyse der französischen Atomaufsicht von letzter Woche betrifft das Korrosionsproblem die vier neuesten Reaktoren mit 1.400 Megawatt Leistung sowie 20 neuere mit 1.300 Megawatt. Sie müssen repariert werden. Nicht betroffen sind laut der Aufsicht 32 ältere Anlagen.

Das würde eine gewisse Entspannung bedeuten. Es war nämlich befürchtet worden, dass sämtliche Reaktoren repariert werden müssen. In der jüngsten Hitzewelle mussten zudem einige Reaktoren abgeschaltet werden, weil in Flüssen, die zur Kühlung der AKW gebraucht werden, zu hohe Wassertemperaturen herrschten.

Der AKW-Betreiber EDF hat wegen der Probleme mehrfach seine Prognosen für die Atomstromproduktion heruntergesetzt. Er rechnet nun für 2022 mit 280 bis 300 Milliarden Kilowattstunden – verglichen mit 360 Milliarden im vergangenen Jahr.

Frankreich ist daher vom Stromexporteur zum -importeur geworden. Deutschland liefert bereits seit September 2021 jeden Monat mehr Strom nach Frankreich, als von dort kommt, so die Daten des Übertragungsnetzbetreibers Entso-E.

Ein neuer Reaktor des Typs EPR ist in Flamanville in der Normandie im Bau, er soll 2023 ans Netz gehen, nach elf Jahren Bauverzögerung und einer Kostenexplosion von geplanten 3,3 Milliarden auf 12,7 Milliarden Euro.

Frankreichs Regierung setzt trotzdem weiter auf die Atomkraft. Sie will sechs neue Atomkraftwerke bauen lassen. Entstehen sollen sie bis 2050. Zudem steckt Paris Geld in die Entwicklung neuartiger, kleiner AKW.

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