Tagesschau-Screenshot vom 29. April 1986 mit einer Europakarte und der Schlagzeile: Nuklearbrand nicht unter Kontrolle.
ARD-Tagesschau vom 29. April 1986: "In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen." (Foto: Screenshot/​tagesschau.de)

Zumindest über eine Laufzeitverlängerung der drei noch bis zum Jahresende laufenden deutschen AKWs "müssen wir reden", meinen jetzt auch Teile der Grünen und der SPD.

FDP, CDU, CSU und natürlich die AfD plädieren gar grundsätzlich für längere Laufzeiten, selbst für ein Wiederanfahren schon abgeschalteter AKWs.

Bis Tschernobyl 1986 war auch ich ein Anhänger der Atomenergie. Danach habe ich gelernt, dass wir sicherere, preiswertere und umweltfreundlichere Alternativen haben, die wir als Geschenke der Natur nutzen können.

2022 können wir in Deutschland für drei bis vier Cent pro Kilowattstunde Solarstrom produzieren. Der Graustrom aus der Steckdose kostet inzwischen etwa das Zehnfache. Nichts ist so teuer wie Atomstrom, für dessen Müllentsorgung es auf der ganzen Welt kein einziges Endlager gibt.

Längere Laufzeiten heißt natürlich auch noch mehr Atommüll. Ein bis jetzt unlösbares Problem, das wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen – wie so viele andere Probleme auch.

Doch der Umstieg auf erneuerbare Energien wird noch dauern, meinen die Atomfreunde und empfehlen längere AKW-Übergangs-Laufzeiten als kleineres Übel zu Putins Erdgas-Krieg und längeren Laufzeiten für schädliche Kohlekraft. Also vom Slogan "Atomkraft– nein danke" zu "Atomkraft – ja bitte"?

Einspruch: Einer der renommiertesten Solarforscher der Welt und langjähriger Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg, Eicke Weber, hat gesagt:  "100 Prozent Ökostrom bis 2030 sind ohne Weiteres möglich." Man muss es also nur wollen. Auch Eicke Weber sieht in AKWs eher einen Teil des Problems als einen Teil der Lösung.

Jedes AKW birgt ein "Restrisiko"

Ich halte die aktuelle Diskussion "Kohle oder Atomkraft?" für eine Gespenster-Diskussion. Selbst die AKW-Betreiber wollen keine längeren Laufzeiten, weil es zu teuer wird und sie sich längst auf den endgültigen Ausstieg eingestellt haben. Jedes AKW bleibt auch nach dem 31. Dezember 2022 eine Gefahrenquelle, weil es ein "Restrisiko" enthält.

 

"Atomares Restrisiko ist jenes Risiko, das uns jeden Tag den Rest geben kann." Das sagte mir der Chef der Aufräumarbeiten in Tschernobyl, Wladimir Tschernoussenko, vorher ein glühender Anhänger der Atomenergie, in einem Fernsehinterview. Er wurde durch den Unfall verstrahlt und starb später an Krebs.

In einem dicht besiedelten Land wie Deutschland darf es bei der Sicherheit keine Kompromisse geben. Die Sicherheit der Bevölkerung vor einem Atomunfall wiegt noch schwerer als die Sicherheit der Stromversorgung.

Nicht nur Umweltverbände warnen vor längeren Laufzeiten. Das tut auch Wolfram König, der Chef des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Er erinnert daran, dass seit 2013 keine Sicherheitstests mehr in den drei noch laufenden AKWs durchgeführt wurden und dass durch jeden Tag Weiterbetrieb mehr Atommüll anfällt, für den es noch Jahrzehnte keine Entsorgung gibt, die diesen Namen auch verdient.

Zudem hat Deutschland keine Stromlücke, sondern eine Wärmelücke, die schwerlich mit Atomstrom zu schließen ist. Auch die Leiterin der Abteilung Nukleare Sicherheit im Bundesamt, Mareike Rüffer, warnt vor einer Zunahme des Atommülls in Deutschland durch längere Laufzeiten.

Es ist schlauer, endlich den kompletten Umstieg zu organisieren. Wir setzen auf unserem Hausdach in Baden-Baden seit 30 Jahren auf den Fusionsreaktor Sonne, der uns aus sicherer Entfernung von etwa 150 Millionen Kilometern preiswert und zuverlässig versorgt – per Speicher mit Strom und zum Teil auch mit Wärme. Es reicht auch noch für kostenloses Fahren mit einem E-Auto.

Leider stehen in Deutschland immer noch 90 Prozent der Dächer energetisch völlig umsonst in der Gegend herum.

Atomarer Klimaschutz?

Aber die Franzosen setzen doch weiter auf Atomkraft! Leider wahr. Nur: Zurzeit sind zwei Drittel der französischen AKWs stillgelegt, aus Sicherheitsgründen und wegen des Hitzesommers. Bei Hitze fehlt das Kühlwasser für die Reaktoren. Deshalb muss Frankreich zurzeit viel Strom aus Deutschland importieren.

Franz Alt

ist Journalist und Buchautor. Er leitete 20 Jahre das politische Magazin "Report" beim Südwest­rundfunk, danach bis 2003 die Zukunfts­redaktion des SWR. Sein neues Buch mit Ernst Ulrich von Weizsäcker heißt: "Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen".

Unsere westlichen Nachbarn betreiben AKWs, weil sie deren Abfallstoff zum Bau ihrer Atombomben brauchen. Diesen schrecklichen Zwang haben wir in Deutschland Gott sei Dank nicht.

Ein AKW emittiert zwar kein CO2. Doch das Kernproblem der Kernenergie ist die nukleare Verstrahlung über zehntausende Jahre oder noch länger. Ein durchschnittliches Atomkraftwerk produziert täglich so viel Radioaktivität wie vier Hiroshima-Atombomben, so der US-Atomphysiker Richard Garwin 2001 in einem Vortrag beim Nuclear Control Institute in Washington.

Energiesparen, Energieeffizienz und rascher Umstieg auf die Erneuerbaren heißt die Lösung. Allein die Sonne schickt uns 15.000-mal mehr Energie, als die gesamte Menschheit heute verbraucht. Es gibt von Natur aus kein Energieproblem, es gibt nur falsches Energieverhalten und vorgestrige Energiepolitik.

Für mich ist jedes AKW ein Anschlag auf die Schöpfung.

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