Stau auf der Autobahn.
850 neue Autobahnkilometer sind in Deutschland bis 2030 geplant, als gäbe es keine Klima- und Biodiversitätskrise. (Foto: Gerhard Gellinger/​Pixabay)

Als wir auf unserer Fahrraddemo am Tagebau Garzweiler entlangradeln, brennt die Sonne auf unseren Köpfen. Über dem Braunkohletagebau liegt noch leichter Dunst, was den Horizont verschwimmen lässt und den Eindruck erweckt, das kilometerweite Tagebauloch würde sich bis in die Unendlichkeit fortsetzen. Keine Spur mehr von den lebhaften Dörfern und den fruchtbaren Feldern, die einst die Region prägten und inzwischen vom Höllenschlund des Tagebaus geschluckt worden sind.

Schaut man in den Schlund von Garzweiler, erinnert er an eine kalte, unwirkliche Welt wie die Oberfläche eines fernen wüstenähnlichen Planeten. Ein Blick in unsere Zukunft? Zerstörte, tote Landschaften? Unbewohnbare Regionen?

Es fühlt sich in diesem Moment so an. Bis 2038 soll hier noch Kohle gefördert und verfeuert werden. Will Deutschland die 1,5-Grad-Grenze einhalten, müsste hier aber laut Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bereits 2027 Schluss sein.

Der nächste Bundestag wird der letzte sein, der uns auf einen Weg bringen kann, das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten, der unserer Generation eine lebenswerte Zukunft hinterlassen kann. Wir sind mit der Klimakrise aufgewachsen, wir werden betroffen sein, wenn sie ihre Grausamkeit entfaltet. Die ersten Auswirkungen spüren wir bereits heute. Und die Hochwasser und Dürresommer sind nur ein harmloser Vorgeschmack, auf das was kommt.

Platt gesagt, es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns dieser Verantwortung zu stellen. Ein "So schnell geht das nicht" können wir nicht mehr akzeptieren. Wir können nicht akzeptieren, dass hier noch 17 weitere Jahre Kohle verfeuert werden soll. Wir können nicht akzeptieren, dass hunderte Kilometer Land unter neuen Autobahnen und Bundesstraßen begraben werden sollen – nur, weil Politiker:innen und Planer:innen vor Jahren entschieden haben, dass sie den Verkehrskollaps mit einem Neu- und Ausbau von Autobahnen bekämpfen wollen.

Alles muss auf den Prüfstand

Der beste Zeitpunkt, Energiewende und Verkehrswende in Angriff zu nehmen, wäre vor 20 Jahren gewesen, der zweitbeste Zeitpunkt ist heute. Jetzt und hier und nicht erst 2038. Alles muss auf den Prüfstand und wir Politiker:innen sind genau dafür verantwortlich.

Wenn wir ab Herbst im Bundestag sitzen, werden wir aber zwei nicht zu unterschätzende Gegner haben: Zum einen das Parlament selbst, da es aller Voraussicht nach wieder nicht alle Bevölkerungsgruppen und Geschlechter gleichberechtigt repräsentieren wird. Solange dies nicht der Fall ist und Menschen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind und sein werden, am wenigsten mitzubestimmen haben, werden die gefällten Entscheidungen sich gegen unsere Zukunft richten.

Nyke Slawik
Foto: Elias Keilhauer

Nyke Slawik

ist Spitzen­kandidatin der Grünen Jugend Nordrhein-Westfalen zur Bundes­tags­wahl und kämpft in ihrer Heimat­stadt Leverkusen gegen die Erweiterungen der Auto­bahnen A1 und A3. Sie hat in Düssel­dorf Anglistik/​Amerikanistik und Kommunikations­wissenschaft studiert und ist Wissen­schaftliche Mitarbeiterin bei zwei Land­tags­abgeordneten.

Zum Zweiten werden wir uns Interessengruppen der fossilen Industrie gegenüber finden, deren Lobbymacht wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Kohlekonzern RWE nur zu gut kennengelernt haben. Die Verflechtungen zwischen Konzern und Politik, die jeden Fortschritt zunichtemachen.

Das beste Beispiel sind die 2018 von RWE bei Armin Laschet bestellten Räumungen im Hambacher Wald, die am Mittwoch von einem Gericht für rechtswidrig erklärt wurden. Während Ministerpräsident Laschet alles daran setzte, Klimaaktivist:innen zu kriminalisieren und mit massivem Polizeiaufgebot zu bekämpfen, erhielt der Kohlekonzern RWE zusätzlich mehrere Milliarden Euro für den "Kohleausstieg" 2038 zugesprochen. Eine Summe, die selbst die EU-Kommission als deutlich zu hoch kritisierte.

Bei dieser Bundestagswahl und auch bei der Landtagswahl im kommenden Mai geht es darum, dass die fossile Lobby wie der Kohlekonzern RWE nicht mehr mit am Regierungstisch sitzen darf. 

Wir müssen stärker sein, stärker werden, um uns den Klimabremsern entgegenzustellen. Aktuell rennt die Zeit leider gegen uns. Denn eigentlich müssten wir in der Klimapolitik schon sehr viel weiter sein, müssten bereits mitten in einer Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft sein. In der Realität befinden wir uns an einem Punkt, wo wir hart auf die Notbremse treten müssen, bevor wir überhaupt das Lenkrad rumreißen können – in allen Sektoren.

Die Auto-zuerst-Politik beenden

Nicht nur bei der Kohle, auch im Verkehrsbereich rast Deutschland mit Vollgas Richtung Klimakollaps. Allein im Kölner Raum wird derzeit der Ausbau mehrerer Autobahnen vorbereitet. Die viel diskutierte Leverkusener Rheinbrücke im Kölner Norden wird derzeit durch zwei nebeneinander stehende Brücken ersetzt, weil eine Brücke allein die vielen neuen Spuren nicht halten könnte.

Doch das ist nicht nur im bevölkerungsreichen Kölner Ballungsraum ein Problem. Ganz Deutschland stehen 850 neue Autobahnkilometer bis 2030 bevor, wenn niemand die völlig aus der Zeit gefallenen Projekte und die hunderte Milliarden an Steuergeldern, die buchstäblich in Asphalt verwandelt werden sollen, noch stoppt. Steuermilliarden, die uns für die Mobilitätswende fehlen.

Porträtaufnahme von Kathrin Henneberger.
Foto: privat

Kathrin Henneberger

Die Klima­gerechtigkeits­aktivistin aus dem Rhein­land kandidiert über die NRW-Grünen für den Bundes­tag und kämpft für den Erhalt der bedrohten Dörfer am Tagebau Garz­weiler und für einen deutlich früheren Kohle­ausstieg. 

All dies ist das Erbe einer einseitigen Auto-first-Politik der letzten Jahrzehnte und der aktuellen Bundesregierung, die wir im nächsten Bundestag beenden müssen.

Wo sind die Bundesprogramme für günstigeren und besseren ÖPNV? Die Radschnellwege, die die Großstädte mit dem Umland verbinden? Die Förderungen für E-Bikes und Lastenräder? Die Carsharing-Programme, um mehr Menschen zum Auto-Teilen statt Auto-Besitzen zu motivieren? Es gibt sie, aber sie sind rar gesät, weil es an der Finanzierung mangelt.

Wir sind uns sicher, wir brauchen keine hunderte Kilometer neuer Autobahnen in Deutschland, sondern Mittel für klimaneutrale Verkehrsmittel und -wege. Dies wollen wir im Bundestag erkämpfen und zählen dabei besonders auf eine uns antreibende Zivilgesellschaft. Die Proteste dürfen nicht verklingen, sie müssen lauter, größer und vielfältiger werden.

Mehrere zehntausend Menschen wollen an diesem Wochenende nach München kommen, um die Autoschau IAA mit Protesten zu begleiten. Das Bündnis "Aussteigen" fordert einen "sofortigen Bau- und Planungsstopp neuer Autobahnen, eine Halbierung des Autoverkehrs sowie die faire Verteilung des öffentlichen Raums mit Vorrang für Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr".

Druck auf der Straße und im Parlament

Eine Woche vor der IAA sitzen wir hier auf unseren Fahrrädern und radeln aus Protest zum Tagebau Garzweiler. Wir wollen auch über eine Autobahn fahren, aber erhalten keine Erlaubnis. Noch ist die Autobahn ein Ort, auf dem Protest unerwünscht ist, wäre er doch genau hier so richtig und wichtig. Unser Ziel an diesem Tag ist das am Tagebau Garzweiler bedrohte Dorf Lützerath.

Ob wir es schaffen, die Klimakrise aufzuhalten, die Notbremse zu ziehen, das entscheidet sich auch an diesem Ort. Der Kohlekonzern RWE will die noch stehenden Häuser im Dorf dem Erdboden gleichmachen – für die anrückenden Kohlebagger.

Aber genau hier verläuft die sonst wenig greifbare 1,5-Grad-Grenze. Heruntergerechnet auf den Tagebau Garzweiler muss die Kohle dort in der Erde bleiben. In den Bäumen werden Baumhäuser gebaut, eine Mahnwache bewacht einen der Ortseingänge Richtung Tagebau. Lützerath darf nicht mehr abgebaggert werden.

Blick auf den Braunkohletagebau Garzweiler.
Braunkohletagebau Garzweiler: Völlig aus der Zeit gefallen. (Foto: Andreas Fechner/​Greenpeace Energy)

Hier stehen wir nach dem Hambacher und Dannenröder Wald am nächsten Ort, wo Deutschland die Möglichkeit erhält, eine Entscheidung zu treffen: Rasen wir weiter auf den Klima-Abgrund zu oder wollen wir doch endlich die Notbremse ziehen, die Tür öffnen und aussteigen?

In diesem Herbst wird es darum gehen, dass keine weiteren Fakten der Zerstörung mehr geschaffen werden. Es wird darum gehen, die letzte Chance auf eine klimagerechte Zukunft zu erstreiten. "Es ist auch meine Krise", postete vor Kurzem Luisa Neubauer, um für den globalen Klimastreik von Fridays for Future zu werben.

Hier ist die Klimabewegung der versagenden Politik voraus. Dem nächsten Bundestag werden zum ersten Mal etliche Klima-Aktivist:innen angehören. Die Wahrheit ist, es werden noch immer nicht genug sein. Wir werden den millionenfachen Druck von den Straßen brauchen, wenn wir uns gegen die Beharrungskräfte der Alteingesessenen durchsetzen wollen. Denn versagen darf die Politik nicht mehr.

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