Klimareporter°: Herr Teune, am 25. September soll es wieder eine große Fridays-for-Future-Demo geben. Manche der jungen Fridays-Aktivist:innen wollen allerdings strategisch umsatteln und für den Bundestag kandidieren – teilweise für die Grünen, Gespräche laufen aber wohl auch mit SPD und Linken. Haben die Ankündigungen Sie überrascht?
Simon Teune: Gar nicht. Einige der Klimaaktivist:innen waren sowieso schon parteipolitisch aktiv. Und wenn man sich die bisherige Strategie von Fridays for Future anguckt, ist der Schritt ins Parlament naheliegend. Bisher wurden die zuständigen Repräsentant:innen angesprochen. Wenn die ihren Job daraufhin nicht machen, ist es doch klar, dass man selbst versucht, es besser zu machen.
Bisher war der von Greta Thunberg geprägte Slogan "How dare you" Programm: "Wie könnt ihr es wagen?" Wenn zu diesem "ihr" bald auch die eigenen Leute gehören, wie verändert das die Bewegung?
Das ist ja eine Entwicklung, die wir schon von vielen Bewegungen kennen. Ein Teil engagiert sich auch parteipolitisch und muss zwangsläufig Kompromisse eingehen. Im Bundestag muss man sich mit mehreren Politikfeldern auseinandersetzen und manchmal damit leben, dass die eigenen Forderungen verwässert werden. Das ist der Gang der Dinge. Das bedeutet aber auch, dass eine starke Stimme der Bewegung in der Parteienlandschaft zu hören ist.
Beim Rest der Bewegung stoßen die Bundestagskandidaturen auf gemischte Gefühle. Manche Aktivist:innen befürchten, dass ihre Mitstreiter:innen im Bundestag Legitimation für schlechte Kompromisse schaffen.
Da kann es ja aber parallele Entwicklungen geben. Die Leute, die von außen Druck aufs Parlament ausüben, weichen nicht von ihren Forderungen ab, bleiben bei ihrer Radikalität. Sollten es Leute von Fridays for Future in den Bundestag schaffen, werden die diesen Druck dann natürlich auch zu spüren bekommen – und können ihn im Idealfall nutzen, um bessere Kompromisse herauszuhandeln.
Der Kieler Aktivist Jakob Blasel begründet seine Kandidatur für die Grünen unter anderem damit, dass er frustriert sei von den ausbleibenden politischen Erfolgen der Bewegungsarbeit. Woher weiß man als Bewegung: Wir brauchen eine neue Strategie?
Simon Teune
ist Soziologe und leitet das Institut für Protest- und Bewegungsforschung. Er ist außerdem Co-Leiter des Bereichs Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte der TU Berlin. Zuvor war er acht Jahre am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung tätig.
Es gibt unterschiedliche Wege, den Erfolg von Bewegungen zu messen. Die Veränderungen der politischen Agenda zum Beispiel. Da ist Fridays for Future sehr erfolgreich gewesen. Genauso wie dabei, öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren, Mitstreiter:innen und Ressourcen zu gewinnen.
Was fehlt, ist die Ebene politischer und ökonomischer Entscheidungen. Da muss man natürlich überlegen, ob man sich strategisch anders aufstellt. Der Weg in die Parlamente ist eine Möglichkeit, das zu tun.
Und wie gesagt: Der Schritt in die Parteienpolitik ist für viele bei Fridays for Future gar nicht so groß. Es wäre natürlich sonderbar, wenn das plötzlich alle versuchen würden.
Was passiert mit einer Großbewegung, wenn die strategischen Ansichten so auseinanderdriften?
Es ist eigentlich Standard in Bewegungen, dass es moderatere und radikalere Teile gibt. Ich finde, dass sich die unterschiedlichen Perspektiven eigentlich gut ergänzen. Das eine zu machen, heißt ja nicht, das andere zu lassen. Ich glaube nicht, dass man allein mit einer konsequenten außerparlamentarischen Strategie auf der Ebene politischer Entscheidungen Erfolg haben wird.
Das heißt, Fridays for Future braucht keine gemeinsame Linie?
Ich würde sagen, es ist sogar eine Erfolgsvoraussetzung, dass man mehr als eine Strategie hat. Es kann natürlich sein, dass es irgendwann anfängt zu knirschen. Nur als Gedankenexperiment, das steht nicht wirklich im Raum: Wenn ein Teil anfängt, bei seinen Protesten Gewalt anzuwenden, kommen die Vertreter:innen im Parlament natürlich unter Rechtfertigungsdruck.
Was aber schon im Raum steht, ist friedlicher ziviler Ungehorsam, der über das Schulstreiken hinausgeht. Kann das immer noch funktionieren: Manche im Bundestag, manche bei der Straßenblockade?
Auch wenn immer mal wieder probiert wird, zivilen Ungehorsam mit Gewalt in Verbindung zu bringen: Wir sind in der Demokratie mittlerweile so weit, dass kaum jemand infrage stellt, dass ziviler Ungehorsam eine legitime Form der demokratischen Auseinandersetzung ist. Ich sehe Fridays for Future an diesen Fragen nicht auseinanderbrechen.