Dorf mit hinführender Straße, dahinter ein riesiges Kohlekraftwerk.
Kohlekraftwerke abschalten, aber Verbrennungsmotoren laufen lassen, so könnte ein "Ampel-Deal" aussehen. (Foto: Hans-Georg Oed/​BMU)

Will Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreichen und seinen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 65 Prozent reduzieren, führt kein Weg an einem schnelleren Kohleausstieg vorbei, am besten schon zum Ende des Jahrzehnts, sagen so gut wie alle Denkfabriken und Institute.

Die Grünen sind auch dafür. Für Co-Parteichefin und Ex-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist der Kohleausstieg 2030 eine zentrale Forderung in Koalitionsgesprächen. Kohleverstromung nach 2030 ist mit dem 1,5-Grad-Pfad von Paris nicht vereinbar.

Die FDP findet den Kohleausstieg im Prinzip richtig. Das betonte sie in den letzten vier Jahren im Bundestag ein um andere Mal. Sie lehnt nur den, wie sie es nennt, "planwirtschaftlichen" Weg der Abschaltpläne im Kohlebeendigungsgesetz ab.

Aus Sicht der FDP ist der Kohleausstieg im europäischen Emissionshandel bereits angelegt. Dieser müsse als zentrales Klimaschutzinstrument gestärkt und auf alle Sektoren ausgeweitet werden, heißt es in einem früheren Fraktionsbeschluss. Im Gegenzug könne auf die politische Stilllegung einzelner Kraftwerke und die Entschädigungen in Milliardenhöhe aus Steuergeldern verzichtet werden.

Allerdings ist das Gesetz mittlerweile in Kraft. Es sieht Ende 2038 als Abschalttermin für die letzten Kohlekraftwerke vor. Paragraf 47 eröffnet lediglich die Möglichkeit, in den Jahren 2026, 2029 und 2032 zu überprüfen, ob die Stilllegung von Braunkohleanlagen, die bislang für die Zeit nach 2030 vorgesehen ist, jeweils um bis zu drei Jahre vorgezogen werden kann, sodass der letzte Kohleblock frühestens 2035 vom Netz gehen könnte.

Gesetzesänderung nötig

Um schon 2030 die letzten Anlagen vom Netz nehmen zu können, muss offenbar das Gesetz geändert werden. Ohne diese rechtliche Neujustierung ist das klimapolitische Ziel nicht zu erreichen.

So zeigen Berechnungen der Berliner Beratungsfirma Energy Brainpool, dass bei einem CO2-Preis im Emissionshandel von etwa 70 Euro im Jahr 2030, dem Beibehalten des geltenden Kohleausstiegsplans und einem ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien die Energiewirtschaft im Jahr 2030 etwa 160 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Andere Studien kommen für CO2-Preise von 60 Euro auf vergleichbare 169 Millionen Tonnen.

Das 2030er Ziel für die Energiewirtschaft im Klimaschutzgesetz lautet aber: 108 Millionen Tonnen. Diese Lücke lässt sich laut Energy Brainpool eben durch einen früheren Kohleausstieg schließen. Wird ab 2030 kein Strom mehr aus Braun- und Steinkohle erzeugt, könnten die CO2-Emissionen um etwa 56 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich sinken. Das Emissionsziel ist erfüllbar. Voilà!

Aber eigentlich geht da noch viel mehr. In der kürzlich vorgestellten Studie "Klimaneutrales Deutschland 2045" kommen drei Thinktanks zum Ergebnis, dass – inklusive Kohleausstieg 2030 und Erneuerbaren-Turbo – die Emissionen der Energiewirtschaft bis 2030 auf 98 Millionen Tonnen sinken könnten – das sind sogar zehn Millionen Tonnen mehr, als das geltende Klimagesetz für den Zeitpunkt verlangt.

Und auch die notwendige Höhe des CO2-Preises würde sich laut Studie einstellen. Dafür sorge – quasi automatisch – die künftig nötige Anpassung des EU-Emissionshandels an das bereits beschlossene Ziel, die CO2-Emissionen in Europa bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren.

Millionen Autofahrer wiegen schwerer

Zusammengefasst: Ein vorzeitiger Kohleausstieg plus Umsetzung des EU-Klimaziels plus rascher Ausbau der Erneuerbaren – damit lässt sich 2030 nicht nur das Sektorziel in der Energiewirtschaft erfüllen, sondern auch noch ein ordentlicher "Einspar-Überschuss" von einigen Millionen Tonnen CO2 erzielen.

Das würde einer "Ampelkoalition" aus SPD, Grünen und FDP politische Spielräume eröffnen. Beispielsweise im Verkehr, wo die Grünen auf ein Verbrennerverbot ab 2030 verzichten und so der FDP und der von ihr geforderten "Technologieoffenheit" entgegenkommen könnten.

Dass der FDP Millionen Autofahrer wichtiger sind als einige tausend von einem zeitigeren Kohleausstieg betroffene Kohlekumpel, darf als gegeben angesehen werden.

Das könnte letztlich auch die Sozialdemokraten überzeugen. Ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz hielt im Wahlkampf nur noch pflichtgemäß am Kohleausstiegsdatum 2038 fest. Und sein Plan, einen Erneuerbaren-Boom auszulösen, ist im Dreiklang mit früherem Kohleausstieg und wirksamem CO2-Preis ohnehin unverzichtbar.

Ein auf 2030 vorgezogener Kohleausstieg könnte die "Ampel" klimapolitisch zum Leuchten bringen. Bleibt zu hoffen, dass auch den Verhandlern diese Erleuchtung kommt.

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