Kraftwerk Boxberg
Braunkohletagebau und Kraftwerk in der Lausitz, ein Auslaufmodell. Fragt sich nur, wann. (Foto: René Schwietzke/​Flickr)

Was Deutschland beim Klimaschutz tut, orientiert sich bislang am Zwei-Grad-Ziel. Die Erderhitzung, die schon rund ein Grad erreicht hat, soll demnach auf zwei Grad begrenzt werden.

Mit dem Paris-Abkommen, das völkerrechtlich verbindlich ist, gilt nun aber ein ehrgeizigeres Ziel. Die globale Erwärmung soll bei "deutlich unter zwei Grad" gestoppt werden, möglichst bei 1,5 Grad.

Dass dafür ein Kohleausstieg unumgänglich sein wird, hat die Bundesregierung inzwischen erkannt. Für die Frage, wie und wann dies vonstattengehen soll, hat sie eine Kohlekommission eingesetzt, die bis Jahresende Vorschläge auf den Tisch legen soll.

Doch die Frage, was genau geschehen muss, ist noch immer offen. Der Berliner Thinktank Climate Analytics hat nun darauf eine Antwort formuliert. Erstmals wurde ausgerechnet, was die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens für den deutschen Energiesektor bedeuten würde.

Kohleverstromung muss in zwölf Jahren enden

Die Ergebnisse dürften der Bundesregierung, die sich mit Klimaschutz-Großtaten bislang nicht hervorgetan hat, einiges Kopfzerbrechen bereiten. Laut dem Bericht muss Deutschland bis 2030 die Stromerzeugung durch Kohle beenden, um seinen Beitrag für das 1,5-Grad-Ziel zu leisten. Derzeit liefern Braun- und Steinkohle jedoch noch immer knapp 40 Prozent des Stroms hierzulande.

Bis 2020, so rechnet der Bericht weiter vor, müssen rund 16.000 Megawatt Kohlekraftwerksleistung stillgelegt werden – und zwar zusätzlich zu den bereits beschlossenen Stilllegungen, bei denen Kohleblöcke in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft geschickt werden, so wie Anfang Oktober zwei Blöcke des RWE-Braunkohlekraftwerks Niederaußem und ein Block des Leag-Kraftwerks Jänschwalde.

Das würde, sagen die Studienautoren, die Emissionslücke bis 2020 zur Erreichung des deutschen Klimaziels zu einem wesentlichen Teil schließen. Diese Lücke beträgt nach aktuellen Regierungsschätzungen rund 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.

Dafür müssten die CO2-Emissionen aus der Kohleverstromung bis 2020 um 42 Prozent im Vergleich zu 2017 reduziert werden, also um 60 Prozent im Vergleich zu 1990, heißt es in der Analyse.

Allerdings hat die schwarz-rote Koalition das Klimaziel für 2020 in ihrem Koalitionsvertrag praktisch beerdigt. Bei den Jamaika-Verhandlungen war immerhin noch von einer Stilllegung von 7.000 Megawatt Kohlekraftwerksleistung die Rede gewesen. Nicht einmal das hat sich die Koalition auf ihre Fahnen geschrieben.

Gesundheitliche Folgen würden sich halbieren

Dass 16.000 Megawatt eine sehr deutliche Hausnummer sind, ist auch den Studienautoren bewusst. Sie verweisen deshalb auf die zahlreichen Vorzüge, die ein schneller Kohleausstieg mit sich bringen würde – vor allem für die Gesundheit der Bürger.

"Mehr als die Hälfte der Luftschadstoffemissionen von Stickoxiden, Schwefeloxiden, Feinstaub und Quecksilber aus deutschen Kohlekraftwerken bis 2030 könnten vermieden werden", sagt Carl-Friedrich Schleußner von Climate Analytics. "Ebenso wären alle damit verbundenen gesundheitlichen Folgen, die wir untersucht haben, mehr als halbiert gegenüber der sonst zu erwartenden Entwicklung."

Auch finanziell wäre dies eine gute Investition. Zwischen 18 und 52 Milliarden Euro an Gesundheitskosten könnten bis 2030 eingespart werden, wenn mit der Kohleverstromung zügig Schluss gemacht wird.

Und es gibt noch einen weiteren Aspekt: Eine Verzögerung des Kohleausstiegs über das Jahr 2030 hinaus würde zu deutlich abrupteren Veränderungen mit entsprechenden negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen führen, die besser vermieden werden sollten.

"Eine Verzögerung des Kohleausstiegs", sagt Bill Hare von Climate Analytics, "würde zu viel drastischeren und möglicherweise umbruchsartigen Kraftwerksschließungen führen, um wieder auf den Weg für die 1,5-Grad-Grenze zu kommen, der Deutschland mit der Unterzeichnung des Paris-Abkommens zugestimmt hat."

Anzeige