Oliver Hummel. (Bild: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Einkommensschwache Haushalte werden durch höhere Energiepreise stärker belastet und sind auch viel weniger in der Lage, Energie zu sparen oder zu günstigeren Heizungen zu wechseln. Das ergab eine Untersuchung des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen.

Die Bundesregierung verlängert die Preisbremse für Strom und Gas bis zum Frühjahr. Herr Hummel, reicht das, um ärmeren Haushalten zu helfen?

Oliver Hummel: Dass die Preisbremsen verlängert werden und somit über den gesamten Winter hinweg gelten, ist richtig, allein schon aus psychologischen Erwägungen.

Ihre Bedeutung ist aber mittlerweile stark gesunken – und das ist eine gute Nachricht. Der Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt ist längst wieder sehr intensiv. Angesichts dieses Drucks und der gesunkenen Großhandelspreise liegen viele Tarife besonders für Neukund:innen unterhalb der gesetzlich gedeckelten Beträge.

Kund:innen, die noch in teuren Bestandstarifen stecken und nicht durch eine Mindestvertragslaufzeit gebunden sind, sollten sich daher über einen Wechsel informieren. Es lohnt sich wieder. Es gibt viele Anbieter, egal ob reine Ökostromer oder Stadtwerke, die derzeit gute Angebote machen.

Vorsicht geboten ist aber bei den Discountern, die nun wieder mit den alten Geschäftsmodellen auf Kund:innenfang gehen und wahrscheinlich bei nächster Gelegenheit, wie bei der letzten Energiepreiskrise, wieder einmal ihre Kund:innen im Regen stehen lassen würden.

Diese Woche gibt es im Bundestag eine Anhörung zum Solarpaket. Damit sollen auch dezentrale Versorgungskonzepte gestärkt werden. So soll die Weitergabe von Solarstrom an Wohn- oder Gewerbemieter oder Wohnungseigentümer weitestgehend von Lieferantenpflichten ausgenommen und der Anlagenbetreiber von der Pflicht zur Reststromlieferung befreit werden. Bringt das den Durchbruch für die gemeinschaftliche Stromversorgung?

Das hoffe ich sehr und die Voraussetzungen sind so gut wie noch nie. Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung, die mit dem Solarpaket neu eingeführt werden soll, ist hierfür ein gutes Beispiel.

 

Interessant ist sie besonders für kleinere Mehrparteienhäuser, in denen Vermieter:innen und Mieter:innen gemeinsam unkomplizierte Regelungen finden können. Das Modell ist grundsätzlich gut, es müssen aber noch Detailfragen rund um das Mess- und Abrechnungswesen geklärt werden.

Und natürlich müssen sich weiterhin Energiehändler finden, die auch die Reststrommengen liefern. Deren Rolle bleibt also weiterhin wichtig.

Für größere Häuser oder ganze Quartiere werden Mieterstrommodelle, wie es sie seit etwa zehn Jahren von uns und nach wie vor recht wenigen Spezialisten gibt, weiterhin sinnvoll und relevant bleiben. Und auch hierfür sind deutliche Verbesserungen geplant, nachdem bereits das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende wichtige Vereinfachungen bei der zu verbauenden Messtechnik gebracht hatte.

Nun hoffen wir sehr auf standardisierte Mess- und Abrechnungsmodelle. Denn noch immer kocht jeder Verteilnetzbetreiber sein eigenes Süppchen, was für überregional aktive Anbieter wie uns enormen administrativen Aufwand bedeutet.

Fast 60 Prozent der Menschen in Deutschland wohnen zur Miete. Es wird Zeit, dass diese riesige Bevölkerungsgruppe bei der Energiewende endlich angemessen beteiligt wird.

Eine Abkehr von der bisherigen Energiewende fordert der Chef der FDP-Bundestagsfraktion. Christian Dürr lehnt eine breite Elektrifizierung ab, spricht von "erzwungener Energieeinsparung" und setzt auf den massiven Import von Wasserstoff. CO2-Emissionen sollen besser per CCS beseitigt statt vermieden werden. Können solche Positionen Regierungspolitik werden oder sind sie es sogar schon?

Das kann ich mir schwer vorstellen. Wenn sie es wären, würden wir hier ja nicht über Vorhaben wie das Solarpaket sprechen.

Anders gesagt: Es gibt in allen drei Ampelfraktionen kluge und erfahrene Energie- und Klimapolitiker:innen, unabhängig davon, ob ich im Einzelfall ihre Positionen teile.

Auch Christian Dürr ist sicherlich ein kluger Kopf, als Energiefachpolitiker habe ich ihn bisher aber nicht wahrgenommen.

In Deutschland werden so viel neue Photovoltaik-Anlagen gebaut wie noch nie. In diesem Jahr könnten insgesamt 13.000 Megawatt hinzukommen. Grund für den Boom sind aber auch Dumpingpreise chinesischer Anbieter, die laut Fraunhofer ISE zurzeit unter den Selbstkosten liegen. Schaut die Naturstrom AG bei ihren Solarprojekten auf die Hersteller der Module?

Ich warne davor, wieder in die alten Abwehrreflexe zu verfallen und Schutzzölle auf chinesische Module zu fordern. Das hat die europäische Solarindustrie vor zehn Jahren auch nicht gerettet, sondern eher noch ungewollt die Auswirkungen der ruinösen Energiepolitik der damaligen Bundesregierung verstärkt.

Die europäischen Lager der chinesischen Modulhersteller sind prallvoll, nachdem sich endlich die Lieferketten normalisiert haben. Nun muss wieder Platz in den Lagern geschaffen werden, das trägt seinen Teil zum aktuellen Preisverfall bei. Der kommt übrigens allen zugute, die derzeit eine Photovoltaikanlage planen, egal ob Eigenheimbesitzerin, Bürgerenergiegesellschaft oder professioneller Projektentwickler.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir wieder eine signifikante Photovoltaik-Produktion in Deutschland und Europa aufbauen müssen. Aber das geht nicht über protektionistische Abwehrmaßnahmen, die die Energiewende letztlich verteuern und abbremsen, sondern über gute Investitionsbedingungen und eine aktive Industriepolitik.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das Leck in der finnisch-estnischen Ostseepipeline Balticconnector hat mich und sicherlich auch viele andere in dieser Woche wieder einmal schmerzlich daran erinnert, wie verwundbar die zentralistischen, konventionellen Energiestrukturen sind.

Deren angeblich so hohe Versorgungssicherheit hat sich im Krisenfall als trügerisch erwiesen. Das ist für mich ein weiterer wichtiger Aspekt bei dem Bestreben, unabhängiger von großen Gaslieferungen und -leitungen zu werden.

Fragen: Jörg Staude