Das Programm liest sich wie immer: Unterteilt in Dutzende "Halte", "Break-outs" und Workshops befasst sich der Stadtwerkekongress zwei Tage lang mit einer innovativen Wärmewende, mit proaktiver kommunale Wärmeplanung oder mit Wasserstoff und Netzen. Es sei das "Familientreffen" der kommunalen Wirtschaft, lobt Ingbert Liebing, Chef des veranstaltenden Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), am Montag bei einem Medientermin.
2023 sieht sich das "Familientreffen" allerdings mit ungewöhnlichen Aktionen konfrontiert. Denn am Montag vor den Geschäftsstellen einiger Stadtwerke sowie heute vor dem Kongressort fordern Aktivist:innen von Umweltorganisationen und Klimagruppen, "ihre" Stadtwerke sollten der Gaslobby den Rücken kehren.
Der Hintergrund: Noch etwa 80 kommunale Unternehmen sollen Mitglied bei "Zukunft Gas" sein. Mitgliedsbeiträge für den fossilen Lobbyverband widersprächen dem Gemeinwohlauftrag der Stadtwerke, kritisieren Aktivist:innen. "Zukunft Gas" setze sich einseitig für Interessen großer Gaskonzerne ein, sagen sie.
Mitinitiator der Proteste ist das Umweltinstitut München. Man begrüße, dass Stadtwerke sich aktiv in die Politik einbringen, meint Henning Peters vom Umweltinstitut. Es sei aber nicht in Ordnung, wenn über Mitgliedsbeiträge ein Lobbyverband finanziert werde, der mit realitätsfernen Versprechungen den Ausstieg aus den fossilen Energien verzögern möchte.
VKU-Chef weist Lobby-Vorwürfe zurück
Bisher sollen – auch aufgrund der seit Monaten anhaltenden Kritik – mehr als 25 kommunale Unternehmen aus "Zukunft Gas" ausgetreten sein. Offizielle Zahlen sind nicht bekannt. Wie zu hören ist, soll die Lobbyorganisation auch Mitgliedschaften ermöglichen, die nicht öffentlich mitgeteilt werden. Insgesamt gibt es in Deutschland mehr als 500 kleinere und größere Stadtwerke, andere Quellen sprechen von bis zu 1.000 kommunalen Unternehmen in dem Bereich.
VKU-Chef Ingbert Liebing kann dem Gaslobby-Protest nichts abgewinnen. Die Gasverteilnetzbetreiber arbeiteten daran, dort auf Wasserstoff umzustellen, wo es Sinn ergebe und die kommunale Wärmeplanung es vorsehe, erläutert er.
"Das ist die Aufgabe, die wir in Konsequenz der geltenden Rechtslage – Klimaneutralität 2045 – haben. Und da arbeiten wir auch mit Zukunft Gas zusammen", betont der VKU-Chef auf Nachfrage. Der Gas-Verband organisiere die Umstellung auf Wasserstoff mit, deswegen seien viele Stadtwerke dort Mitglied, so Liebing weiter. Der Vorwurf an diese Stadtwerke sowie an "Zukunft Gas", sie würden nur an der fossilen Gaswirtschaft festhalten, ist für ihn "schlichtweg falsch".
Die Debatte um Wasserstoff ist ein Thema der Wärmewende, des Schwerpunkts des Kongresses. Die Wärmewende ist für Andreas Feicht dabei vor allem eine Frage kommender Infrastrukturplanung. Der Vorstandschef des gastgebenden Kölner Unternehmens Rheinenergie stellte dazu am Montag vier Fragen.
Fernwärme kann Sanierung der Gebäude nicht ersetzen
Erstens: Wo wollen wir künftig Fernwärme haben – auch in Gebieten, wo sie noch nicht ist? Zweitens: Wo sollen, abhängig vom Zustand des Stromnetzes, Wärmepumpen hin? Drittens: Wo können sogenannte Inselnetze entstehen, in denen Wohn- und Stadtquartiere ihre Wärmeversorgung selbst sichern?
Fernwärme könne dabei eine Sanierung der Gebäude nicht ersetzen, betonte der Rheinenergie-Chef. "Die Einschätzung, dass diejenigen, die sich an die Fernwärme anschließen, ihre Gebäude nicht mehr sanieren müssen, ist falsch." Fernwärme könne Sanierungskosten nur senken.
Derzeit liefert Rheinenergie in Köln jährlich eine Milliarde Kilowattstunden Fernwärme, rechnete Feicht vor. Künftig gehe das Unternehmen von 1,4 Milliarden Kilowattstunden aus. Würden aber die Gebäude, die man für Fernwärme im Blick habe, nicht energetisch saniert, würden dann 1,8 Milliarden Kilowattstunden Wärmeenergie benötigt, warnte Feicht. Das würde zu erheblichen Mehrkosten führen, die dann über Heizungskosten zu bezahlen wären.
Alles in allem will Rheinenergie in den nächsten Jahren das Kölner Fernwärmenetz von 370 Kilometern um 200 Kilometer erweitern. Die klimaneutrale Wärmeeinspeisung werde dabei vor allem durch Großwärmepumpen gesichert, sagte Feicht.
Dafür müsse wiederum das Stromnetz ertüchtigt werden, darunter mit einem 110-Kilovolt-Netz in der Stadt. Das werde für Wärmepumpen wie für E-Autos gebraucht. "Es gibt aber Gebiete in einer Stadt, wo weder Fernwärme noch Wärmepumpen eine Rolle spielen werden", betonte der Stadtwerke-Chef.
Gebäudeenergiegesetz könnte noch teilweise auseinanderfliegen
Für Feicht stellt sich deswegen eine vierte und, wie er sagte, für ihn am schwierigsten zu beantwortende Frage: Soll auch Wasserstoff im Heizungskeller und Gasverteilnetz eine Rolle spielen?
Gerade beim Thema Wasserstoff und Wärme hadert VKU-Chef Liebing mit dem frisch beschlossenen Gebäudeenergiegesetz (GEG). In diesem haben bekanntlich die Gasverteilnetzbetreiber – in Kooperation mit der Kommune – verbindliche Fahrpläne zur Umstellung des Gasnetzes auf Wasserstoff vorzulegen, spätestens bis Ende 2028.
Für den VKU-Chef stellt das einen gewissen "Systembruch" dar. Ein Netzbetreiber solle Liefergarantien geben, das könne er nicht und dürfe es rechtlich auch nicht, sagte Liebing.
Zudem werde auf europäischer Ebene gegenwärtig die Vorschrift diskutiert, dass Betreiber von Gasnetzen keine Netze für Wasserstoff betreiben dürfen. "Das ist die Zielsetzung der EU-Kommission", erklärte Liebing.
Dieses Ziel halte zwar der VKU wie auch das Europäische Parlament für falsch. Sollte sich aber die EU-Kommission in den laufenden Trilog-Verhandlungen durchsetzen, würde die entsprechende Konstruktion im Gebäudeenergiegesetz "auseinanderfliegen", warnte Liebing. Dann seien verbindliche Wasserstoff-Fahrpläne von den Netzbetreibern nicht mehr erstellbar.
Mit Wasserstoff haben auch die Aktivist:innen ein Problem, auch wenn das eher genereller Natur ist. So erwecke "Zukunft Gas" den Eindruck, Erdgasheizungen seien quasi schon fast klimaneutral, weil sie in Zukunft theoretisch auch grünen Wasserstoff oder Biomethan verbrennen könnten, kritisiert das Umweltinstitut München.
Anerkannte Studien sähen jedoch keine Nutzung von Wasserstoff für Raumwärme in Einzelhaushalten vor. Für fehlinformierte Hausbesitzer:innen könne die Investition in eine sogenannte "H2-ready-Gasheizung" so schnell zur Kostenfalle werden.
Ob das Stadtwerke ähnlich sehen? Die Frage diskutiert der Kongress ja vielleicht noch.