Vier junge Frauen singen und musizieren, hinter ihnen steht ein Polizist in schwarzer Einsatzuniform mit Vollhelm.
Gewaltfreiheit und Ausdauer – für Franz Alt das Erfolgsrezept gegen die Apokalypseblindheit des Patriarchats: Klimaaktivistinnen bei einer Tagebaubesetzung in Tschechien 2018. (Foto: Limity jsme my)

Das ist symbolisch: Im Kanzleramt reden fünf Frauen über Klimaschutz. Die Bundeskanzlerin empfängt im internationalen Konferenz-Saal ihres Amtes vier Klimaaktivistinnen der Fridays-for-Future-Bewegung, die Schwedin Greta Thunberg, die beiden Belgierinnen Anuna De Wever und Adélaïde Charlier sowie die Deutsche Luisa Neubauer.

Thema ist die "Überlebensfrage der Menschheit", wie es Angela Merkel schon 2007 in Grönland vor einem schmelzenden Gletscher ausdrückte.

Das Grönlandeis schmilzt inzwischen dreimal schneller als damals. Ist das Thema jetzt auch dreimal so wichtig wie damals, als die deutsche Kanzlerin noch als Klimakanzlerin galt?

Den Anstoß zu dem außergewöhnlichen Treffen in Berlin gab im Juli ein Brief, den die vier Klimaaktivistinnen an die Regierenden Europas geschrieben hatten. "Wir befinden uns in einer existenziellen Krise", schrieben sie, "und aus dieser Krise können wir uns nicht herauskaufen, -bauen oder -investieren."

Das bestehende System lasse sich nicht reparieren. "Wir brauchen ein neues System". Beinahe 125.000 Menschen haben diesen Brief unterschrieben, darunter viele Prominente. Das gab den Anstoß zum jetzigen Treffen.

Sollen jetzt junge Frauen die Welt retten?

Nun also die fünf Frauen unter sich. Das Patriarchat hat im Industriezeitalter die Klimaerhitzung bewirkt. Wir verbrennen heute an einem Tag so viel Kohle, Gas und Öl, wie die Natur in einer Million Tagen angesammelt hat. Jedes Kind lernt in der Schule, dass diese Energiepolitik seine Zukunft infrage stellen wird.

Und nun sitzen die Vertreterinnen dieser "Greta-Generation" der Kanzlerin gegenüber. Können und müssen jetzt junge Frauen die Welt retten? Zusammen mit der deutschen Bundeskanzlerin?

In den letzten 14 Jahren hat sich die Kanzlerin 14-mal in ihren Samstags-Videobotschaften mit dem Klimawandel beschäftigt. So hat es die Süddeutsche Zeitung recherchiert.

Allein dreimal im Jahr 2015, als der Pariser Klimagipfel forderte, dass das globale Klima höchstens um zwei Grad, besser nur um 1,5 Grad ansteigen darf, gemessen an 1870. Ein schönes Ziel, aber nichts Entsprechendes ist passiert. Keine Regierung der Welt handelt bisher danach.

Im letzten Jahr hat die Kanzlerin gar fünfmal am Samstag über Klimaschutz gesprochen. Aber auch Deutschland bleibt weit hinter seinen Versprechungen von Paris zurück. Wissenschaftler sagen, die erneuerbaren Energien müssten viermal so rasch ausgebaut werden. Und Fridays for Future fordert, dass die Politik endlich auf die Klimawissenschaft hört.

Was bringt das Treffen im Kanzleramt?

Diese neue Bewegung brachte 2019 Millionen junger Menschen für das Klima auf die Straße. Eine Hilfe für das spektakuläre Treffen im Kanzleramt?

Auf die Forderung nach einem "neuen System" sagt die pragmatische Kanzlerin nur: "Politik ist das, was möglich ist." Und nun? Bleibt alles beim Alten? Ist auch im alten System mehr möglich als bisher? Es ist die Frage aller Fragen.

Franz Alt

ist Journalist und Buchautor. Er leitete 20 Jahre das politische Magazin "Report" beim Südwest­rundfunk, danach bis 2003 die Zukunfts­redaktion des SWR. Als einer der ersten deutsch­sprachigen Journalisten informierte er über den Klima­wandel und die nötige Energie­wende.

Angela Merkel versprach den vier jungen Frauen, "alles zu versuchen, mutiger zu sein". Na ja! Was aber könnte das konkret und praktisch heißen?

Der Bundestag wird in wenigen Wochen ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschieden:

Niemand hindert die Abgeordneten daran, mutig zu sein und die Erneuerbaren endlich wieder auf Trab zu bringen, statt sie auszubremsen, wie es Regierung und Parlament in Berlin seit 2012 getan haben.

Niemand hindert den Bundestag daran, endlich klimaschädliche Subventionen zu streichen.

Niemand hindert den Bundestag daran, den Kohleausstieg, statt ihn auf 2038 zu verschieben, für 2028 festzulegen und mit dem Ausstieg sofort zu beginnen, was bei einem zügigen Ausbau der Erneuerbaren überhaupt kein Problem wäre.

Das alles ist überhaupt keine Frage des Systems, es ist schlicht eine Frage von Mut oder Feigheit. Die Systemfrage muss wieder mal als Feigenblatt herhalten.

Es fehlt der Mut

Es fehlt bisher allein das, was die Kanzlerin jetzt versprochen hat: Mut. Doch im Bundestag sitzen mehr als zwei Drittel Männer und nur ein Drittel Frauen. Vielleicht liegt hier das eigentliche Problem. Das "starke" Geschlecht war bisher einfach zu schwach und zu feige gegenüber den Interessen der alten fossilen Energiewirtschaft.

Wir brauchen in der gesamten Politik mehr starke, weibliche Energie, so wie sie in diesen Tagen in Belarus sichtbar wird. Weibliche Energie heißt: gewaltfrei, ausdauernd und deshalb erfolgreich. Vielleicht schafft das die "Generation Greta".

Die alte Männerherrschaft erweist sich immer mehr als "apokalypseblind" (Günther Anders). Diese Männer wollen sich einfach nicht mehr vorstellen, was sie anstellen. Das gilt 75 Jahre nach Hiroshima beim atomaren Wettrüsten ebenso wie bei der anderen existenziellen Überlebensfrage der Menschheit, der Klimaerhitzung.

Greta Thunberg sagte nach dem Treffen mit Angela Merkel: "Wir drehen uns im Kreis. Solange die Klimakrise nicht wie eine Krise behandelt wird, werden wir nicht den nötigen Wandel schaffen."

Lesen Sie dazu auch unseren Kommentar: Merkels Mut beim Tempolimit

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