Luisa Neubauer spricht auf einer Bühne, im Hintergrund Demonstrierende.
Luisa Neubauer, das Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung, beim Berliner Klimastreik am 15. März. (Foto: Friederike Meier)

Klimareporter°: Frau Neubauer, die Bewegung Fridays for Future hat in Deutschland hunderttausende Jugendliche für den Klimaschutz mobilisiert. Hat Sie der Erfolg selbst überrascht?

Luisa Neubauer: Ja und Nein. Überrascht hat mich, dass wir fast aus dem Stand an den Freitagen bis zu 300.000 junge Menschen für die Klimastreiks mobilisieren konnten – ganz ohne Erfahrung, wie man so etwas organisiert. Ich bin aber nicht davon überrascht, dass sich so viele aus unserer Generation Sorgen um ihre Zukunft machen und das ausdrücken wollen. Sie ist durch die Klimakrise bedroht, das liegt doch auf der Hand.

Die Schüler-Demos gibt es seit gut einem Vierteljahr. Wie lange lässt sich das noch durchhalten?

Die Frage ist merkwürdig. Richtig wäre es doch, nicht uns, sondern die Bundesregierung zu fragen – nämlich, wie lange sie die existenzielle Krise noch ignorieren will, die sich vor unserer Haustür abspielt, und damit unsere Zukunft auf ganz massive Weise gefährdet.

Wir jungen Leute werden ein Leben lang mit den Konsequenzen des Nichtstuns dieser Regierung konfrontiert sein. Dem verleihen wir Ausdruck. Ob das dauerhaft in Form der Freitagsstreiks sein wird, werden wir sehen.

Also, erstmal geht es weiter damit?

Ja, für diesen Freitag sind bundesweit schon rund 70 Streiks angemeldet.

Wie heftig sind die Sanktionen wegen Schuleschwänzen?

Keine Schulleitung ist begeistert, wenn die Leute freitags wegbleiben. Das wäre ich, wenn ich Lehrerin wäre, auch nicht. Junge Menschen sollen schon in die Schule gehen. Solange die Regierung allerdings ihre Aufgaben in so krasser Form verletzt, indem sie keine ausreichende Klimapolitik macht, gelten andere Maßstäbe.

Man kann doch nicht in aller Ruhe seine Schullaufbahn abspulen, wohl wissend, dass gerade die eigene Zukunft verschleudert wird. Das sehen viele so.

Es drohen immerhin Bußgelder, wenn der Schulpflicht nicht nachgekommen wird.

Der Druck wird steigen. Wir haben bereits eine Spendenkampagne gestartet, um Geld für Schüler zu sammeln, die es trifft. Idealerweise sollten die Schulleitungen den Druck aber nicht auf die Schüler machen, sondern in Richtung Bundesregierung umleiten. Wenn die die richtige Klimapolitik macht, braucht es keine Streiks mehr. Das wäre ein konstruktiver Ansatz.

Glauben Sie, die Regierung lässt sich von den Streiks denn wirklich beeindrucken? Die Bundeskanzlerin hat das Engagement gelobt, aber was folgt daraus?

Bisher nichts. Und das ist absurd. Denn wir gehen auf die Straße, um durchzusetzen, was die Regierung selbst unterschrieben hat, nämlich die Umsetzung des Weltklimavertrags von Paris. Wir sind da in keiner Weise radikal.

Aber wir erleben gerade zusätzlich enormen Rückhalt aus der Gesellschaft – von vielen Bürgern, Wissenschaftlern und Unternehmen. Ich hoffe, dass das die Regierung eher beeindrucken wird als nur unsere Bewegung alleine.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat Ihre Bewegung immerhin zum einem Gespräch ins Adenauer-Haus eingeladen. Gehen Sie hin? Er scheint umgedacht zu haben, er hatte Ihnen vorher einen "Ausstiegswahn" vorgeworfen.

Was für ein liebevolles Framing von ihm. Falls Herr Ziemiak über die Versäumnisse der Union beim Klimaschutz oder das nun anstehende Klimaschutzgesetz sprechen möchte, könnte ich mir vorstellen, dazu zu kommen.

Fridays for Future ist jetzt mit harten Forderungen in die Debatte gegangen: Kohleausstieg bis 2030, CO2-Preis von 180 Euro pro Tonne, 100 Prozent erneuerbare Energien schon 2035. Mit wem wollen Sie das durchsetzen? Das ist selbst den Grünen zu radikal ...

Luisa Neubauer läuft bei Fridays for Future in der ersten Reihe mit.
Foto: Jörg Farys

Zur Person

Luisa Neubauer ist eine Haupt-Organisatorin der "Fridays for Future"-Bewegung, die die Schülerstreiks für mehr Klimaschutz in ganz Deutschland organisiert. Die Geografie-Studentin aus Göttingen ist Grünen-Mitglied und Jugendbotschafterin der Entwicklungsorganisation ONE. Unter anderem hat sie sich für die Nichtregierungsorganisation "Das Hunger Projekt", die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und die Klimakampagne "Fossil Free" eingesetzt.

Wir haben kein politisches Programm geschrieben, sondern die Mindestanforderungen benannt, die sich nach Berechnung von Klimaforschern aus den Paris-Zielen ergeben. Da müssten eigentlich alle Parteien zustimmen, denn alle haben Paris in ihrem Programm, abgesehen von der AfD.

Aber wenn selbst die Ökopartei nicht mitzieht, ist das offenbar nicht durchsetzbar. Sie sind ja selbst Grünen-Mitglied.

Trotzdem sind das die Schritte, damit überhaupt noch von 1,5- oder Zwei-Grad-Erwärmungslimit gesprochen werden kann. Wenn sie das mit dem Klimaschutz ernst meinen, werden sich früher oder später alle Parteien diesen oder vergleichbaren  Maßnahmen öffnen müssen.

Sind Ihnen die Jobs der Kohlekumpel egal?

Ist das eine rhetorische Frage?

Nein, eine kritische.

Natürlich sind mir die 20.000 Kumpel in der Braunkohle nicht egal. Genauso, wie mir die 80.000 Ex-Mitarbeiter der Solarbranche nicht egal sind, die in Deutschland durch eine unzureichende Klimapolitik ihren Job verloren haben, ebenso wie die Tausende, die es demnächst in der Windbranche treffen wird, wenn Wirtschaftsminister Altmaier so weiter macht wie bisher.

Das Jobproblem in den Kohleregionen ist eine Aufgabe, die gelöst werden muss. Zumal es genügend Konzepte gibt, wie man dort neue Arbeitsplätze schaffen kann – etwa durch erneuerbare Energien. Es ist generell eine Herausforderung, einen sozial gerechten Klimaschutz zu machen. Aber dafür sind die Politiker ja gewählt worden. Das ist ihr Job.

Was müsste eine Regierung, die die Klimakrise ernst nimmt, denn tun?

Zuerst die Experten zusammenholen, die längst Lösungen entwickelt haben, wie die Wirtschaft umzubauen ist, ihnen zuhören und Konsequenzen ziehen. Dann kämen Sofortmaßnahmen in den wichtigsten Sektoren. Die Regierung müsste noch 2019 ein Viertel der Kohlekraftwerke schließen, die Strom nur für den Export produzieren.

Am schwierigsten ist es, im Verkehrsbereich umzusteuern. Was stellen Sie sich da vor?

Ein entscheidender Schritt wäre es, Bahnfahren billiger zu machen – Bahntickets sollten maximal 20 Euro kosten – und zeitgleich das Schienennetz auszubauen. In den Innenstädten könnte man eine Pkw-Maut nach Londoner Muster einführen und mit dem Geld daraus öffentlichen Nahverkehr und Fahrradwege ausbauen.

Und Inlandsflüge verbieten?

Ich habe auf diese Frage gewartet. Aber sorry – ich habe den Eindruck, diese Forderungen führen in keine Weise zu konstruktiven Debatten. Es bilden sich Lager von Befürwortern und Gegnern, und am Ende passiert gar nichts. Für solche Scheindebatten haben wir keine Zeit mehr. Wie wäre es, Inlandsflüge schnell durch eine verlässliche, preiswerte Bahn überflüssig zu machen?

Sie persönlich sind in den sozialen Medien zum Teil heftig angefeindet worden, Stichwort #Langstreckenluisa – wegen Flugreisen, die Sie gemacht haben. Lässt Sie das kalt?

Nein. So wie dieser Hate im Netz abläuft, lässt so etwas niemanden kalt. Aber klar ist doch: Die Diskussion über meine Flugreisen soll ablenken von dem, um was es uns eigentlich geht. Ich will ja niemandem verbieten, irgendwo hinzufliegen.

Das Fliegen insgesamt muss sich aber einpassen in das CO2-Budget, das die Staaten noch zur Verfügung haben. Deswegen fordern wir zum Beispiel eine CO2-Steuer, die würde das Fliegen deutlich teurer machen. Dann kann sich jeder entscheiden, ist es mir diese Reise so viel Geld wert – oder nicht.

Sie machen weiter, trotz des Hasses im Netz?

Natürlich. Ich habe festgestellt, dass es immer Menschen geben wird, die mich kritisieren, egal was ich tue oder sage. Mein Eindruck ist, dass ich zumindest einige davon nicht mehr erreichen werde. Auch okay. Aber es gibt viele, die ernsthaft an kritischen Debatten interessiert sind und mit denen man Argumente austauschen kann. Und das ist das Entscheidende.

Wie verbreitet ist ökologisches Bewusstsein denn generell in der Jugend? Sind die Fridays-for-Future-Aktivisten schon der Mainstream – oder doch nur eine Minderheit, wie auch bei den Älteren?

Diejenigen, die streiken, bemühen sich mehrheitlich auch im normalen Leben um ökologisches Verhalten, um nachhaltigen Konsum, soweit es geht. Das zeigen Studien, die über die Bewegung gemacht wurden. Aber wir sind nicht die Mehrheit. Es ist bei uns so wie in den anderen Generationen auch. Tendenziell sogar etwas schlechter.

Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft? In der Politik?

Nein, kurzfristig sicherlich nicht. Ich hab das Studium für Fridays for Future eher stiefmütterlich behandelt die letzten Monate. Aber ich werde es natürlich noch abschließen. Das ist der nächste Schritt. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Aber ich werde mich sicherlich noch lange mit der Klimakrise beschäftigen. Wie, das wird sich zeigen.

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