Greta Thunberg hält ein weißes Schild mit der schwarzen Aufschrift
Greta Thunberg vor dem schwedischen Reichstag mit ihrem Schild "Schulstreik fürs Klima". (Foto: Per Grunditz/​Shutterstock)

Auf der einen Seite Shirt und Turnschuhe, auf der anderen Hosenanzug – und überall fröhliche Gesichter. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat ein Foto von einem Gespräch mit Greta Thunberg, Luisa Neubauer und zwei weiteren Fridays-for-Future-Aktivistinnen genutzt, um auf Twitter für ihr 750 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket "Next Generation EU" zu werben. Es sei inspirierend, junge Aktivistinnen zu treffen, schrieb von der Leyen.

Der Eindruck dürfte nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. Denn die vier jungen Frauen sind nicht als Postergirls gekommen, sondern um Druck für mehr Klimaschutz zu machen. Aber mit den "Fridays" wollen eben alle Spitzenpolitiker:innen gern ein Foto haben.

Das war nicht immer so. Am 20. August 2018 begann Thunberg mit ihren Klimastreiks – vor genau 100 Wochen. Damals saß sie allein vor dem schwedischen Parlament, neben sich ihr Schild mit der Aufschrift "Skolstrejk för klimatet", Schulstreik fürs Klima. Der Rest ist Geschichte. Greta Thunberg hat mit Fridays for Future eine globale Bewegung inspiriert, die Millionen Menschen auf die Straße brachte.

"Seit damals ist eine Menge passiert", resümierte die Klimaaktivistin heute auf Twitter. Viele Menschen würden nun für Klimaschutz demonstrieren, auf der anderen Seite habe die Welt aber auch mehr als 80 Milliarden Tonnen CO2 emittiert.

"Wir haben zwei weitere entscheidende Jahre durch Untätigkeit verloren, und die Klima- und Umweltkrise wurde kein einziges Mal als Krise behandelt", schrieb Thunberg weiter. "Wir müssen alle unsere Rolle spielen, aber je größer deine Bühne ist, desto größer ist auch deine Verantwortung. Und je größer dein CO2-Fußabdruck ist, desto größer ist deine moralische Pflicht."

In diesem Sinne haben Thunberg und ihre drei Mitstreiterinnen in Brüssel einen offenen Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union geschrieben. Die wollen auf ihrem seit Freitagvormittag laufenden Sondergipfel über das Konjunkturpaket für die Zeit nach der Coronakrise und auch den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der EU verhandeln, der rund 1,1 Billionen Euro umfasst.

"Klimaneutralität 2050 heißt Kapitulation"

"Über ein Investitionsprogramm für eine 'Next Generation EU' zu reden, während man weiter die Klimakrise und das vollständige wissenschaftliche Bild ignoriert, ist ein Verrat an allen 'nächsten Generationen'", kritisieren die Aktivistinnen.

Unterzeichnet haben auch Prominente wie die Sängerin Billie Eilish, der Schauspieler Leonardo DiCaprio und die Band Coldplay sowie zahlreiche Klimawissenschaftler:innen.

Das im Dezember beschlossene Ziel, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, finden sie nicht ausreichend. Der Brief verweist darauf, dass die Erderwärmung so nur mit einer Fifty-fifty-Chance bei 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Zeiten gestoppt wird.

Das 1,5-Grad-Ziel ist eines der Ziele des Pariser Weltklimaabkommens. Inzwischen ist klar, dass jenseits der 1,5 Grad die Aktivierung sogenannter Kippelemente im Erdsystem droht.

Hinzu kommt, dass der Klimavertrag eigentlich vorsieht, dass manche Staaten etwas mehr Zeit für die Dekarbonisierung bekommen als andere, wenn sie etwa auch gegen Armut und Ernährungsunsicherheit zu kämpfen haben. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass andere Staaten früher bei null sein müssen.

Keine Wirtschaftskennzahl der Welt würde darauf hindeuten, dass die EU als Staatenbund in die erste Kategorie fällt – auch wenn es keine strikte Unterteilung in Industrie- und Entwicklungsländer mehr gibt wie noch im Kyoto-Protokoll. "Für die EU – wie auch für andere finanziell gut gestellte Teile der Welt – entspricht ein Klimaneutralitätsziel für 2050 der Kapitulation", schreiben denn auch die Briefautorinnen.

Sie fordern zudem einige erste Schritte – etwa einen Stopp fossiler Investitionen und Subventionen, die Berücksichtigung von Emissionen bei der Darstellung von Wirtschaftskennzahlen, die verbindliche Festlegung jährlicher CO2-Budgets oder das Eintreten für den Straftatbestand des Ökozids von dem Internationalen Strafgerichtshof.

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