Greta Thunberg und Luisa Neubauer stehen mit ernstem Gesichtsausdruck und von Kameras umringt uf einer Lichtung.
Nur ein Jahr her – ein ganz anderer Termin. Im August 2019 besuchten Greta Thunberg und Luisa Neubauer die Besetzer:innen im Hambacher Forst. (Foto: Ruben Neugebauer)

Es ist ein symbolischer Tag für Fridays for Future. Vor genau zwei Jahren setzte sich Greta Thunberg im Namen des Klimaschutzes zum ersten Mal allein vor das schwedische Parlament, statt zur Schule zu gehen. Die Schulstreikbewegung war geboren und nahm schnell an Fahrt auf.

Im Vordergrund steht das Jubiläum für die Aktivist:innen heute aber nicht. "Wir sind nicht die Art von Leuten, die damit Zeit verbringen", sagte Thunberg am Vormittag in Berlin. Das gilt zumindest für sie selbst, ihre deutsche Mitstreiterin Luisa Neubauer und zwei weitere Fridays-for-Future-Aktivistinnen aus Belgien.

Die vier haben heute Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) getroffen. Regierungssprecher Steffen Seibert blieb nach dem Treffen vage: "Beide Seiten waren sich einig, dass die Erderwärmung eine globale Herausforderung ist, bei deren Bewältigung den Industriestaaten eine besondere Verantwortung zukommt."

"Wir sind dankbar für den Anlass und die Zeit", sagte Neubauer nach dem Gespräch, das anderthalb Stunden dauerte. "Wir haben klargemacht, dass wir nicht mehr oder weniger fordern als die Übersetzung des Paris-Abkommens in nationale Politik", so die Klimaschützerin.

"Unterschiedliche Perspektiven"

Im Juli hatten die vier Aktivistinnen einen Brief an die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union verfasst, also auch an Merkel. Darin forderten sie einige erste Schritte – etwa einen Stopp fossiler Investitionen und Subventionen, die Berücksichtigung von Treibhausgasemissionen bei der Darstellung von Wirtschaftskennzahlen, die verbindliche Festlegung jährlicher CO2-Budgets oder das Eintreten für den Straftatbestand des Ökozids vor dem Internationalen Strafgerichtshof.

"In diesem Brief fordern wir das absolute Minimum, das nötig wäre", erklärte Thunberg. "Natürlich haben wir über diese Forderungen auch mit Frau Merkel gesprochen."

Über das Ergebnis des Gesprächs äußerten die vier sich aber zurückhaltend. Es sei klar geworden, dass man "von unterschiedlichen Perspektiven" auf das Thema schaue, sagte etwa Neubauer. "Wir fordern, die Zukunft zu priorisieren." Das sei nötig, aber natürlich auch schwierig.

"Wir haben ihr gesagt, dass wir mutige Anführer:innen bräuchten, die auch wirklich tun, was nötig ist", berichtete die Belgierin Adélaïde Charlier aus dem Gespräch. "Sie hat geantwortet, dass sie versuchen wolle, mutiger zu sein."

Deutschland habe zurzeit eine besonders große Verantwortung für den Klimaschutz – als Industrieland wegen der historischen Rolle in der Klimakrise sowieso, aber wegen der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft noch einmal stärker, sagte die Aktivistin.

Kritik aus der Klimabewegung

Teile der Klimabewegung sehen das Treffen kritisch. "Unsere Strategie ist es nicht, auf diese Art an die Politik zu appellieren", sagte Ronja Weil vom Bündnis Ende Gelände gegenüber Klimareporter°. "Politiker:innen wie Angela Merkel zeigen seit Jahrzehnten, dass sie trotz Wissen um die Klimakrise keinen politischen Willen haben, sie zu stoppen. Wir nehmen das deshalb selbst in die Hand."

Weil meint damit symbolische Besetzungen von Infrastruktur, die für fossile oder verbundene Branchen relevant ist. Ende Gelände ist für diese Aktionsform bekannt. Die nächste große Aktion hat das Bündnis für Ende September im Rheinischen Braunkohlerevier angekündigt.

Selbst das geht Tadzio Müller, Klimareferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Vordenker der Klimagerechtigkeitsbewegung, nicht mehr weit genug. "Die Strategie, über symbolische Aktionen die öffentliche Meinung und dadurch die Politik zu beeinflussen, ist gescheitert – ob es nun um Großdemos, Baggerblockaden, insbesondere Gespräche mit Politiker:innen oder eine Kombination aus alldem geht", so Müller gegenüber Klimareporter°

Darauf müsse die Bewegung eine Antwort finden. Müller selbst schlägt vor, den zivilen Ungehorsam nicht nur symbolisch zu leisten, sondern den Alltag in Deutschland zu unterbrechen, um Druck aufzubauen. "Vielleicht sind auch andere Antworten denkbar", räumt der langjährige Aktivist ein. "Nur: An einer gescheiterten Strategie festhalten, ist keine Strategie."

Auch bei Fridays for Future selbst rumort es. Nicht alle Aktivist:innen sind damit zufrieden, dass ihre "Frontfrauen" bei der Bundeskanzlerin vorgesprochen haben. Unter anderem befürchtet man einen Image-Gewinn für Merkel. Außerdem ist der Termin nicht durch den üblichen basisdemokratischen Entscheidungsprozess gegangen.

Letzteres begründete Thunberg damit, dass die vier Aktivist:innen als Einzelpersonen gehandelt hätten. "Wir haben nie gesagt, dass wir für Fridays for Future sprechen", sagte die Schwedin. "Fridays for Future ist eine Graswurzelbewegung, die aus vielen Individuen besteht, keine Organisation mit Vertreter:innen."

Auch der Brief an die EU-Staatschefs sei von ihnen als einzelne Aktivistinnen unterschrieben worden, nicht im Namen von Fridays for Future.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Merkels Mut beim Tempolimit
sowie den Gastbeitrag von Franz Alt: Klimaschutz Frauensache?

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