Porträtaufnahme von Tim Meyer.
Tim Meyer. (Foto: Naturstrom)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Tim Meyer, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Meyer, damit 2045 die Nutzung von Kohle, Öl und Gas beendet werden kann, muss der Einsatz ab diesem Zeitpunkt rechtssicher verboten werden, sagt ein Gutachten für die Stiftung Klimaneutralität. Wie sinnvoll finden Sie das – wäre es nicht besser, für eine rasche Vollversorgung mit Erneuerbaren zu sorgen?

Tim Meyer: Ich sehe hier kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Klimaneutralität bedeutet, dass wir die Verbrennung fossiler Energieträger ein für alle Mal beenden. Der Markt kann und wird dabei vieles selbst regeln, wenn wir die erneuerbaren Enrgien dynamisch ausbauen. Er kann das aber nicht vollständig und nicht immer schnell genug leisten.

Der Ausbau der Erneuerbaren wird vor allem im Strombereich stattfinden. Dafür brauchen wir einen klaren Rahmen und weiterhin ein ambitioniertes Erneuerbare-Energien-Gesetz oder Nachfolgegesetz. Dann werden Erneuerbare im Stromsektor fossile Energieträger direkt verdrängen. Der Ausstieg aus den Fossilen wird dann auf der Erzeugerseite zunehmend marktgetrieben funktionieren, also ohne Verbote auskommen.

Im Wärme- und Verkehrssektor muss aber auch ein Ausstieg auf der Verbrauchsseite stattfinden. Hier muss viel erneuerbarer Strom sozusagen durchs Nadelöhr der Sektorenkopplung. Der Markt muss daher mit klaren ordnungspolitischen Vorgaben unterstützt werden.

Denn ein rechtlich festgeschriebenes Nutzungsende fossiler Technologien gerade für die Verbrauchsseite gibt der Wirtschaft und den Verbraucher:innen eine klare und unmissverständliche Entscheidungsgrundlage für künftige Investitionsentscheidungen.

Sagen wir mal so: Ein absehbares und hartes Ende der eigenen Betriebserlaubnis hilft, ausreichend Weitblick bei der Anschaffung einer neuen Gasheizung oder eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor zu entwickeln. Diese Beispiele zeigen übrigens, dass für einige Sektoren ein Enddatum deutlich vor 2045 festgeschrieben werden muss.

Bundesverkehrsminister Scheuer hat diese Woche überraschend den Schienenverkehr entdeckt und für den Ausbau europäischer Schienenverbindungen plädiert. Es soll auch keine Flüge mehr zu Dumpingpreisen geben. Das soll allerdings über Anreize gehen, Verbote will der CSU-Minister nicht. Kann man Scheuer die Klimaschutz-Bemühungen abnehmen?

"Der politische Kipppunkt ist endlich überschritten." Das zu wiederholen macht mir gerade viel Spaß. Und es ist faszinierend zu erleben, was der Umschwung der klimapolitischen Großwetterlage zurzeit alles auslöst.

Sogar Andreas Scheuer wird vom Erkenntnisblitz getroffen, und ganz neue Entdeckungen und Einsichten fahren in ihn wie der Heilige Geist. Sein üblicher Reflex – aber nur über Anreize – zeigt jedoch, dass selbst der Heilige Geist da noch ein hartes Stück Arbeit vor sich hat.

Langsam dämmert es auch größeren Teilen der Union, dass in Sachen Klimaschutz deutlich mehr Engagement nötig ist. Bei vielen scheint das aber noch eher politisches Kalkül zu sein.

Insofern bezweifle ich, dass der Bundesverkehrsminister und andere Aushängeschilder von CDU und CSU die eigenen Klimabeschlüsse in ihrer ganzen Tragweite schon erfasst haben. Ansonsten müsste hier deutlich mehr passieren, auch noch vor dem Ende einer Legislaturperiode.

Vor der Sommerpause will die Regierung noch eine ganze Liste von Gesetzen zu Energie und Klima durchs Parlament bringen. Darunter sind aber auch Vorlagen, die die plötzliche Klimaschutz-Offensive der Koalition konterkarieren. Ist das symptomatisch für die Klima- und Energiepolitik der Groko? 

Leider ja. Es gab zuletzt zwar auch positive Entwicklungen in der Energie- und Klimapolitik der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode. Allerdings weniger aus ureigener Motivation der Koalition als vielmehr durch äußeren Druck aus Wirtschaft und Gesellschaft, besonders natürlich von Fridays for Future.

Und so bessert man eben punktuell nach, ohne wirklich des Pudels Kern und damit die Zusammenhänge zu erfassen und Klimaschutz grundlegend und systemisch anzugehen. Dass das nun kurz vor der Wahl nochmals in erhöhter Betriebshektik geschieht, hilft nicht unbedingt der Qualität. Im Ergebnis entstehen dann noch mehr Brüche und Widersprüche.

Insofern scheint es mir wichtiger, den Blick von den letzten Schnellschüssen der jetzigen Regierung auf die Zeit nach dieser Legislatur zu richten.

Eine neue Bundesregierung muss mit einer energie- und klimapolitischen Generalrevision starten. Die entscheidende Frage wird sein, an welchen Stellen man die bestehende Regulierung mit all ihren historisch gewachsenen Brüchen und Widersprüchen verbessern kann und an welchen Stellen sie grundlegend neu aufgesetzt werden muss.

Eine Herausforderung wird auch hier der immense Zeitdruck sein, unter dem wir nun endlich handeln müssen. Dabei wird sich ein ganz neues, wenn auch nicht unerwartetes Problem zeigen: Die massive Beschleunigung der Energie-, Verkehrs- und Mobilitätswende droht, die Preise in allen dafür erforderlichen Gewerken explodieren zu lassen. Es fehlen Kapazitäten und Strukturen, um das Nötige so schnell zu bewegen.

Diese Beschleunigungsphase klug zu steuern, ist eine echte Herkulesaufgabe. Und sie wird vermutlich viel Geld benötigen, um trotz steigender Preise nicht gleich wieder an Fahrt zu verlieren. Nach wenigen Jahren werden Kapazitäten geschaffen sein und sich die Dinge in dem dann höherem Tempo normalisieren.

Aber ich höre jetzt schon das Geschrei, dass das alles viel zu teuer wird und so viel Veränderung doch nur Unruhe schafft – und die alte Welt viel besser war.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Forderung der Internationalen Energieagentur IEA nach dem Ende des fossilen Zeitalters. Die IEA ist ja bislang eher nicht als Energiewende-Revoluzzer bekannt gewesen.

Im Gegenteil: Die bisherigen IEA-Prognosen haben das Erneuerbaren-Wachstum kontinuierlich und systematisch kleingerechnet und trotz aller Klimaschutz-Rhetorik immer möglichst viel Platz für die Öl- und Gaswirtschaft vorgesehen.

Dass auch eine solche Organisation nun ganz klar sagt, dass ab sofort – und nicht erst später – keine Investitionen mehr in Öl oder Kohle gehen sollten, ist da ein gutes Signal.

Klar, dass diese Studie nicht dazu führt, dass die IEA in der Tiefe ihrer Struktur plötzlich bekehrt ist. Aber die Kapitäne haben das Ruder des Tankers IEA, ihrer Mitgliedsländer und Programme erkennbar gedreht.

Das macht die Aufgabe, weltweit Klimaschutz und Energiewende voranzutreiben, nicht kleiner. Sie bleibt ein Generationenprojekt. Aber die Widerstände schrumpfen und die Chancen auf globale Zusammenarbeit waren nie besser. Jetzt dann eben auch mit der IEA. Darüber freue ich mich!

Fragen: Sandra Kirchner

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