Schon mehr als fünf Millionen Mal ist das Video des Youtubers Rezo inzwischen geklickt worden, in dem er die CDU verantwortlich macht für viele Fehlentwicklungen in Deutschland – unter anderem für die völlig unzureichende Klimapolitik im einstigen Energiewende-Vorreiterland. "Die CDU", sagt Rezo, "zerstört unser Leben und unsere Zukunft."
So frontal ist die erfolgsverwöhnte CDU wohl noch nie angegriffen worden, und schon gar nicht mit so viel Resonanz.
Rezos Kritik mag sehr zugespitzt daherkommen, doch er trifft damit den Punkt. Schließlich führt die CDU seit vielen Jahren die Regierung – und bestimmt somit von allen Parteien am meisten, was in der deutschen Politik geht und was nicht.
Seitdem Rezo, der sonst eher für Musik und Unterhaltung bekannt ist, seinen 55-minütigen Clip am letzten Samstag veröffentlicht hat, brennt regelrecht die Hütte. Auf allen Kanälen wird berichtet und diskutiert, die Klickzahlen steigen und steigen. Die CDU reagiert kopflos, sie findet kein Mittel, um den Brand zu löschen.
Zuerst kanzeln einige in der Partei das Video als "Pseudofakten", "Fake News" und sogar "Meinungsdiktatur" ab und heizen die Debatte damit nur noch mehr an. Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor – auch er, so wie Rezo, 26 Jahre alt – wird beauftragt, ein Gegen-Video zu drehen, doch seine Partei traut sich nicht, es online zu stellen.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, mit 33 nur wenig älter als Rezo, flutet seinen Twitterkanal mit Tweets, mit denen er die Diskurshohheit zurückzugewinnen versucht. Er räumt ein, beim Klimaschutz könne man "mehr tun" ("mit besseren Technologien und guten Ideen"), lädt Rezo "zum persönlichen Gespräch, zum Austausch" ein und verkündet pastoral, man müsse miteinander reden und einander zuhören.
Ratlose Kommunikationsprofis
Auf der Webseite der CDU erscheint eine "offene Antwort an Rezo", in der sie sich, gespickt mit Phrasen und Floskeln, gegen die Vorwürfe verteidigt und Rezo vorwirft, er verkürze, um zu provozieren.
Kleine Kostprobe: "Auf eine steile These folgt bei uns nicht die hastige Antwort, auf eine kühne Interpretation von Statistiken reagieren wir unsererseits nicht mit vereinfachenden Schlüssen. Antworten zu geben, die über den Tag hinaus tragen, das erfordert Zeit, das erfordert Maß und Mitte. Die Währung von Youtubern sind Klickraten. Die Währung einer Volkspartei wie der CDU ist Vertrauen."
Zusätzlich gibt es noch ein elfseitiges PDF, in dem die Partei ihre Sicht der Dinge auflistet, auch zur Klimapolitik. ("Das Klimaziel für 2020 von 40 Prozent weniger Treibhausgasen als 1990 wird zwar verfehlt, wir sind mit der Verringerung der Emissionen in Höhe von 32 Prozent aber nicht weit davon entfernt.")
Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer schaltet sich ebenfalls ein und wirft die rhetorische Frage auf, ob die CDU nun auch "für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab" verantwortlich sei. Sie erntet einen Shitstorm, da sie bei der in der Bibel erwähnten Anzahl der Plagen daneben liegt.
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Was ist da los? Wie kann es sein, dass die routinierten Kommunikationsprofis der Christdemokratie, die sonst jede unliebsame Debatte mehr oder weniger im Handumdrehen abmoderieren, die Sache mit Rezo auch nach fast einer Woche nicht in den Griff bekommen?
Was die Klimapolitik betrifft, liegt die Antwort einigermaßen auf der Hand. Die Zeiten haben sich geändert. Die Debatte über viele wichtige Themen – und eben auch das Klimathema – hat sich gedreht.
Sie funktioniert nicht mehr nach dem eingespielten Skript, das in den letzten Jahren prächtig funktioniert hat und für die Bundesregierung, vor allem für die Kanzlerpartei CDU, wunderbar bequem war.
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die mehr Tempo und Ambition beim Klimaschutz fordern und auf wissenschaftliche Studien, den Pariser Klimavertrag und die zunehmend sichtbar werdenden Folgen der Klimakrise verweisen.
Auf der anderen Seite stehen die "Ja, aber"-Vertreter. Sie sagen: "Natürlich sind wir auch für Klimaschutz, aber bitteschön mit Augenmaß." Übersetzt heißt das, es soll langsamer gehen, nicht "überstürzt", sondern "durchdacht" und "mit Hand und Fuß".
Ihr argumentativer Werkzeugkasten aus Bedenken und Einwänden ist gut gefüllt. Sie warnen mantraartig vor "Verboten", vor "Planwirtschaft", vor "zusätzlichen Belastungen für Unternehmen und Bürger". Sie fordern "Vernunft" und "Realismus" und immer wieder "Maß und Mitte".
Zwei Entwicklungen hat die CDU verpasst
In der Regel setzen sich die Bremser durch. Jeder Vorschlag für wirksame Maßnahmen – wie beispielsweise ein CO2-Preis – wird bis zur Erschöpfung zerredet, bis kaum mehr etwas davon übrig bleibt. Außer ein paar Modellprojekten hier und ein paar Fördermillionen da geschieht so gut wie nichts.
Klimaschutz wird so auf die lange Bank geschoben, als wäre noch unendlich viel Zeit, um irgendwann in der fernen Zukunft dann doch vielleicht irgendwie zu handeln – falls nicht, oh Wunder, zwischenzeitlich eine tolle neue Technologie erfunden wurde, die das Handeln praktischerweise überflüssig macht.
Doch das Skript läuft nicht mehr rund, es hakt mittlerweile an allen Ecken. Das hat zwei Gründe.
Erstens: Seitdem der Weltklimarat im letzten Oktober seinen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel veröffentlicht hat, ist die bisherige Definition, was "Maß und Mitte" bedeutet, hinfällig.
Bis 2030 muss der globale Ausstoß von Treibhausgasen praktisch halbiert werden (minus 45 Prozent gegenüber 2010), wenn der Planet nicht um mehr als 1,5 Grad aufgeheizt werden soll. So steht es in dem Bericht, den alle UN-Staaten übrigens Wort für Wort abgesegnet haben.
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Eine vorsorgende Zukunftspolitik, die im Interesse aller eine weitere Zuspitzung der Klimakrise abwendet, kann nun nicht mehr in einem "Ja, aber" bestehen. Die Haltung des Zögerns und Bremens hat jede Legitimität verloren.
Zweitens: Mit den streikenden Schülerinnen und Schülern von "Fridays for Future" gibt es nun eine Bewegung für wirksamen Klimaschutz, die nicht so einfach abgebügelt werden kann, wie das in der Vergangenheit mit anderen Protestierenden oft der Fall war.
Die jungen Leute verfügen über ein Argument, das sich nicht entkräften lässt: Es geht um ihre Zukunft.
Um ihren berechtigten Anspruch, eine Zukunft zu haben, die man noch irgendwie als gut bezeichnen kann. Mit der altväterlichen Worthülse, man brauche eine "Klimapolitik mit Augenmaß" beziehungsweise "mit Vernunft" (wessen Vernunft denn?), sind die Forderungen der Jüngeren jedenfalls nicht abzubügeln.
Im klimapolitischen Dornröschenschlaf
Falls die CDU bei der jungen Generation noch ein Bein auf den Boden bekommen will, wird sie aus ihrem klimapolitischen Dornröschenschlaf aufwachen müssen.
Bislang versteckt sich die Partei hinter ihrer Kanzlerin. Angela Merkel tritt vor allem auf internationalem Parkett als "Klimakanzlerin" auf. Ihre Partei agiert so, als wäre damit das Thema abgehakt, man hat es ja mit Merkel prominent besetzt.
Das ist falsch, und es wird Zeit, dass die CDU das begreift. Schließlich ist sie – um es nochmal zu sagen – die stärkste Partei in Deutschland. Ohne sie wird es schwer mit dem Klimaschutz in der Bundesrepublik.
Allerdings stehen die Chancen dafür nicht gut.
Man darf zwar annehmen, dass Frau Merkel die veränderte Lage erkannt hat. Beim Petersberger Klimadialog vergangene Woche sagte sie mit Verweis auf die "Fridays for Future"-Proteste: "Gegenüber den vergangenen Jahren hat sich etwas verändert."
Doch Merkel ist nicht mehr CDU-Chefin. Sie gibt nicht mehr vor, wohin ihre Partei sich bewegt. Ihre Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer jedenfalls hat seit ihrem Amtsantritt als CDU-Vorsitzende noch nicht erkennen lassen, dass sie den Schuss schon gehört hat.
Vermutlich müssen die Proteste gegen die Klima-Brems-Politik der CDU noch viel lauter werden.
Ergänzung am 25. Mai: Rezo legt nach