Windräder unter dunklen Regenwolken
Sehr viel mehr Windräder und Solaranlagen müssen in den nächsten zehn Jahren hinzukommen, damit die Welt 2050 klimaneutral ist. (Foto: Dorothe Wouters/​Pixabay)

Zum ersten Mal überhaupt hat die einflussreiche Internationale Energieagentur IEA ausbuchstabiert, was passieren muss, damit die Welt bis 2050 CO2-neutral wird.

Schon in den nächsten zehn Jahren sind demnach tiefgreifende Veränderungen erforderlich, nicht nur beim Energiesystem, sondern auch beim Verhalten der Bürger:innen.

Bis 2030 müssen die weltweiten CO2-Emissionen laut dem World Energy Outlook 2020 der IEA um 40 Prozent sinken. Der Anteil sauberer Energien muss sich annähernd verdoppeln, die Zahl der Elektroautos um das 20-Fache anwachsen.

Dafür hat die Agentur ihren jährlichen Weltenergiebericht erstmals um ein Szenario für "Net Zero Emissions by 2050" ergänzt, das die bislang klimapolitisch ehrgeizigste Variante, das "Sustainable Development"-Szenario, erweitert.

Für die IEA ist der neue Bericht, der am gestrigen Dienstag  veröffentlicht wurde, ein großer Schritt. Zwar fordert Agenturchef Fatih Birol seit Jahren mehr Klimaschutz. In den Prognosen seiner Organisation zur Entwicklung der Energiebranche schlägt sich dies aber bislang kaum nieder.

Das Wachstum der erneuerbaren Energien wird in den IEA-Berichten regelmäßig unterschätzt, das der fossilen Energien hingegen überschätzt. Expert:innen kritisieren immer wieder, die Berichte könnten zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden und den Ausbau der Erneuerbaren bremsen.

Die Fehlprognosen der Agentur sind keine Bagatelle. Als Organisation der OECD-Staaten hat die IEA in Sachen Energiepolitik eine große Autorität. Michael Liebreich von Bloomberg New Energy Finance (Bnef), einem Thinktank, der ebenfalls Prognosen zur Energiezukunft errechnet, sagt: Wenn die Erneuerbaren systematisch unterschätzt werden, "schreckt das Politiker, Investoren und Geschäftsleute davon ab, sie zu unterstützen".

Noch im letzten Weltenergiebericht von 2019 prognostizierte die IEA bis 2040 eine weiter steigende globale Ölnachfrage, die bis 2025 "robust" bleiben und erst in den 2030er Jahren abflachen werde. Bei den energiebedingten CO2-Emissionen sah der Bericht entsprechend keine Anzeichen für eine Trendwende.

Kohle und Öl auf dem Rückzug

Die Corona-Pandemie verändert nun alles. Aus Sicht der IEA stellt sie einen "Schock" für das Energiesystem dar und kann die Zukunft der Energie neu ordnen.

"Die Covid-19-Krise hat mehr Disruption verursacht als jedes andere Ereignis der jüngsten Vergangenheit", heißt es im Bericht. Der globale Energieverbrauch brach demnach 2020 um fünf Prozent ein, die energiebedingten CO2-Emissionen sanken um sieben Prozent und die Energieinvestitionen gingen um 18 Prozent zurück.

Kohle und Öl sehen die IEA-Expert:innen auf dem Rückzug. Die Nachfrage sinkt nach ihren Schätzungen in diesem Jahr um sieben beziehungsweise acht Prozent. Anders als noch letztes Jahr prognostiziert, sieht IEA-Chef Birol nun die Ära der steigenden Nachfrage nach Erdöl in den nächsten zehn Jahren zu Ende gehen.

Auch beim Erdgas zeichnet sich in diesem Jahr laut Bericht ein Rückgang ab. Die Nachfrage wird um rund drei Prozent sinken.

Beim Stromverbrauch rechnet die IEA mit einem leichten Minus von zwei Prozent.

Gut durch die Krise gekommen sind allein die Erneuerbaren. Sie sieht die Agentur nun in einer "Hauptrolle" in sämtlichen Szenarien ihres Berichts, wobei die Solarenergie besonders hervorsticht.

"Ich sehe Solarenergie als neuen König auf dem weltweiten Strommarkt", sagt Birol. Photovoltaik sei nun in den meisten Ländern billiger als neue Kohle- oder Gaskraftwerke. "Wenn Regierungen und Investoren verstärkt auf saubere Energie setzen, könnte das Wachstum von Sonnen- und Windenergie sogar noch spektakulärer werden", so Birol.

Kosten für Solarstrom "erstmals realistisch"

Um bis 2050 netto null Emissionen zu erreichen, muss der Anteil an sauberem Strom bis 2030 laut IEA-Analyse von derzeit knapp 40 Prozent auf 75 Prozent steigen. Zum sauberen Strom zählt die Agentur aber nicht nur die Erneuerbaren, sondern auch die Atomkraft.

Zudem muss ein Drittel bis die Hälfte der Gebäude energetisch saniert werden. Der Anteil der Elektroautos muss von heute 2,5 Prozent auf 50 Prozent anwachsen.

Auch individuelle Verhaltensänderungen sieht die IEA als notwendig an, etwa weniger zu fliegen und das Auto häufiger stehenzulassen. Gleichwohl seien aber vor allem die Regierungen in der Verantwortung, klimapolitisch entschlossener zu handeln.

Kritik an dem neuen Weltenergiebericht kommt von Hans-Josef Fell von der Energy Watch Group. Zwar gebe es "in Teilbereichen Verbesserungen". Dennoch sei die Prognose "weiterhin unvereinbar mit dem 1,5-Grad-Ziel", sagte Fell. Das geschätzte Wachstum von Photovoltaik und Windenergie sei nach wie vor zu gering.

Obwohl die im Bericht angegebenen Kosten für Photovoltaik "erstmals der Realität entsprechen", so Fell, "werden nicht die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen, dass Photovoltaik heute die kostengünstigste Form der Stromerzeugung ist".

Diese Tatsache werde das Energiesystem aber wesentlich schneller umstrukturieren, als es der Weltenergiebericht 2020 prognostiziere.

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