Aral-Tankstelle mit Preistafel, wonach der Liter Sprit 2,50 Euro kostet.
"Benzinwut"-Politik ist kein Klimaschutz, das weiß auch die FDP. (Foto: Jan von Nebenan/​Shutterstock)

Die FDP will alles auf eine Karte setzen: Der Emissionshandel soll die Energiewende auch im Verkehr und im Gebäudebereich entscheidend voranbringen. Diesen Vorschlag hatten FDP-Vize Johannes Vogel und Fraktionsvize Lukas Köhler schon Mitte März vorgelegt und damit eine Idee der Liberalen aus der vergangenen Legislaturperiode reaktiviert.

Verkehr und Gebäude gelten als Sorgenkinder beim Klimaschutz, weil hier noch immer zu viele fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Wenig überraschend haben beide Sektoren in den vergangenen zwei Jahren ihr Klimaziel gerissen.

Damit die Sektoren auf Kurs kommen, will die FDP nun den Emissionshandel vorziehen. Seit 2021 gibt es in Deutschland in beiden Bereichen einen festen CO2-Preis. Unternehmen, die Benzin, Diesel, Erdgas oder Heizöl in Umlauf bringen, müssen dafür CO2-Zertifikate erwerben – zu einem gesetzlich festgelegten Preis.

Ein Zertifikat berechtigt zum Ausstoß einer Tonne CO2 und kostet derzeit 30 Euro. Viel zu wenig, um den Marktteilnehmern und Verbraucher:innen zu signalisieren, dass sie fossile Brennstoffe vermeiden sollen.

Deshalb soll nach dem Willen der FDP der nationale CO2-Preis schon ab dem nächsten Jahr in einen echten Emissionshandel überführt werden. Dabei soll sich der Preis für CO2 frei nach Angebot und Nachfrage bilden und so den Marktteilnehmern Anreiz zur Emissionsminderung geben.

Anders als vor ein paar Jahren können Fachleute dem Vorschlag einiges abgewinnen. "Der Emissionshandel ist generell ein sehr sinnvolles Instrument, um vorgegebene Emissionsziele effizient zu erreichen, und vermeidet es, an den verschiedensten Stellen ein fehleranfälliges Mikromanagement zu betreiben", sagt Sonja Peterson, Klimaökonomin am Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Widerspruch zum Verfassungsgerichtsurteil?

Damit der CO2-Preis in dem neuen Emissionshandel nach seiner Einführung nicht sofort durch die Decke geht, schlagen Vogel und Köhler preisdämpfende Maßnahmen vor. Diese sollen sich an der Lastenteilungsverordnung der EU orientieren.

Darin ist festgeschrieben, wie stark die Mitgliedsländer ihre Emissionen bis 2030 in Sektoren mindern müssen, die bislang noch nicht vom EU-Emissionshandel erfasst sind – also auch Verkehr und Gebäude. So soll Deutschland diese Emissionen bis 2030 um 50 Prozent im Vergleich zu 2005 senken.

Würde Deutschland dann beim vorgezogenen Emissionshandel, wie ihn die FDP vorschlägt, sein Klimaziel in den kommenden Jahren verfehlen, könnte das Land – gemäß der Lastenverteilungsverordnung – Zertifikate aus den Folgejahren vorziehen oder anderen Mitgliedsstaaten ungenutzte Emissionsrechte abkaufen. Für Klimaschutz müsste dann also zusätzlich Geld in die Hand genommen werden.

Aus Sicht der Umweltorganisation Germanwatch steht dieses Verschieben aber im Widerspruch zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021, wonach Treibhausgasminderungen, die einseitig auf die Zukunft verlagert werden, die Grundrechte künftiger Generationen einschränken.

Weniger kritisch sieht Sonja Peterson den Vorschlag. "Die angedachten Flexibilitätsoptionen sind ein Vorgriff auf das europäische Emissionshandelssystem in diesen Sektoren, das in Abhängigkeit von den Energiepreisen 2027 oder 2028 eingeführt werden soll", sagt die Klimaökonomin. Das sei sinnvoll und ein richtiger Zwischenschritt zu einer mittelfristig einheitlichen CO2-Bepreisung in Europa.

Hoher CO2-Preis könnte Reaktion à la Tankrabatt provozieren

Auch in diesem EU-Emissionshandel für Verkehr und Gebäude, dem sogenannten ETS 2, sind preisdämpfende Maßnahmen vorgesehen. Hier sollen 20 Millionen CO2-Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve freigegeben werden, sobald der Preis 45 Euro überschreitet. Zudem will die EU die Gesamtmenge der Zertifikate im ersten Jahr um 30 Prozent aufstocken, was einen weicheren Einstieg in das neue System ermöglichen soll. 

Dennoch lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wie sich die Preise im künftigen Emissionshandel entwickeln werden. "Im ETS 2 sind keine festen Höchstpreise vorgesehen, die beschlossenen preisdämpfenden Maßnahmen über die Marktstabilitätsreserve können nach unserer Einschätzung nicht als Preisdeckel verstanden werden", erläutert das Umweltbundesamt auf Anfrage. Das sei aus Sicht des Klimaschutzes zu begrüßen. 

Das heißt aber auch, dass der CO2-Preis auf ein hohes Niveau ansteigen könnte. Im schlimmsten Fall könnten hohe CO2-Preise Privathaushalte und Unternehmen überfordern, was die Akzeptanz des Emissionshandels untergraben würde.

Germanwatch bezweifelt, ob hohe CO2-Preise, die beispielsweise Benzinpreise von 3,50 Euro pro Liter zur Folge hätten, politisch durchzuhalten wären oder ob der Druck auf die Politik stark steigen würde, dann wieder mit ineffizienten und teuren Instrumenten gegenzusteuern – wie beim Tankrabatt, den die FDP im vergangenen Sommer wegen hoher Spritpreise durchgesetzt hatte. 

Um hohe CO2-Preise sozial abzufedern, fordert das Umweltbundesamt die Einführung einer Klimaprämie – falls der erweiterte Emissionshandel gemäß dem FDP-Vorschlag ab 2024 in Deutschland eingeführt wird.

Umweltbundesamt befürchtet Schwächung des Klimaschutzes

Ausgeschlossen ist die schnelle Einführung nicht. Ein entsprechender Hinweis findet sich im Beschlusspapier des Koalitionsausschusses vom vergangenen Dienstag. Demnach soll die Bundesregierung einen Vorschlag für den Übergang vom nationalen zum europäischen CO2-Preis vorlegen. Ein Klimageld wird in den Koalitionsbeschlüssen jedoch nicht erwähnt.

Zwar sprechen sich Vogel und Köhler in ihrem Papier für die Einführung der Klimaprämie aus, aber ob das so schnell möglich wäre, bezweifelt das Umweltbundesamt. Insgesamt bewertet die Behörde den FDP-Vorschlag als "ambivalent". Entscheidend sei, dass die preisdämpfenden Maßnahmen nicht zum Aufweichen der Klimaziele führen. In diesem Punkt bleibe das FDP-Papier sehr vage.

Kritisch sieht das Amt auch die gleichzeitig geplante Aufweichung der Sektorenziele. Schon länger arbeitet die FDP darauf hin, dass die Klimaziele für die einzelnen Sektoren wie eben Verkehr oder Gebäude abgeschafft oder entschärft werden. Gemäß den Koalitionsbeschlüssen soll das jetzt geschehen. Das könnte zu einer "erheblichen Schwächung sektorspezifischer Instrumente und Maßnahmen im Gebäude- und Verkehrsbereich führen", warnt das Umweltbundesamt.

Was es braucht, um die Emissionen bei den Gebäuden und im Verkehr zu senken, hat die Behörde analysiert. Ergebnis: Ein hoher CO2-Preis allein bringt keine Energiewende. Er kann zwar die Elektrifizierung des Verkehrssektors vorantreiben, aber für die Wende braucht auch es auch Investitionen in Alternativen.

Viele weitere Maßnahmen müssten allein beim Verkehr hinzukommen, so die Analyse: Abbau von klimaschädlichen Subventionen wie dem Dienstwagenprivileg, Tempolimit, Effizienzsteigerung, Elektrifizierung von Autos und Lkws, Ausbau der Schieneninfrastruktur, Förderung von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr.

Auch Klimaökonomin Peterson empfiehlt, die CO2-Bepreisung durch diese Maßnahmen zu unterstützen. Doch im FDP-Papier steht dazu nichts.

"Die Idee ist vollkommen überfrachtet"

Der Volkswirt Uwe Leprich von der Hochschule Saar bezweifelt ebenfalls, dass die Verkehrs- und Wärmewende allein durch den CO2-Preis ankurbelt werden kann. "Im Verkehrsbereich müsste der CO2-Preis exorbitant hoch sein, um überhaupt eine Lenkungswirkung zu entfalten", sagt er. Das sei mit anderen Sektoren wie dem Wärmebereich nur schwer vereinbar.

"Der Preis kann nur ein Kleinstinstrument in einem wirklich breiten Policy-Mix sein", betont Leprich. Im Wärmesektor müssten die Öl- und Gasheizungen ausgetauscht werden. Dabei sei es nicht sinnvoll, dass jeder einzelne Hausbesitzer Wärmepumpen installiere, stattdessen müssten Stadtwerke und Kommunen zu einer kommunalen Wärmeplanung verpflichtet werden, um Synergien im Quartier zu nutzen und den Anschluss an Wärmenetze voranzubringen. Der CO2-Preis allein könne solche Infrastrukturentscheidungen nicht befördern.

"Die Idee ist vollkommen überfrachtet", kritisiert Leprich. In der Industrie habe es Jahre gedauert, bis ausreichend Erfahrungen mit dem Emissionshandel gesammelt wurden und das Instrument eingespielt war. Durch Lobbyismus sei das System bis zur Unkenntlichkeit verwässert worden, Stahlindustrie und Stromerzeuger hätten durch Zuteilung kostenloser Zertifikate enorme Profite eingefahren.

Nun bestehe die Gefahr, dass ein bürokratisches Monstrum geschaffen werde, warnt der Ökonom. Allein in Deutschland müssten mit dem Emissionshandel für Gebäude und Verkehr 4.000 Unternehmen, die fossile Brennstoffe in Umlauf bringen, angesprochen werden. 

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