Mehrere Stapel 100-Euro-Scheine liegen nebeneinander.
Bisher war der Emissionshandel für einige Unternehmen eher eine Gelddruckmaschine als ein Klimaschutzinstrument. (Foto: Quince Media/​Pixabay)

Nach der Pandemie sind die Staatskassen leer und selbst für Klimaschutz sind keine neuen Milliarden aufzutreiben? Diese Erzählung geht ziemlich weit an der Realität vorbei. Mit dem Europäischen Emissionshandelssystem ETS, in dem die CO2-Preise dauerhaft hoch bleiben werden, haben die Staaten eine sprudelnde Einnahmequelle.

Bisher verschenken die EU-Länder allerdings die Möglichkeiten des ETS mehr als großzügig. So verzichteten sie in der dritten Handelsperiode, die von 2013 bis 2020 reichte, auf mehr als die Hälfte der möglichen ETS-Einkünfte. Grund: die üppige Versorgung der Industrie mit kostenlosen CO2-Zertifikaten.

So geht es aus einem am Montag veröffentlichten Report der Umweltstiftung WWF hervor, der die Einnahmen und Ausgaben aus dem ETS analysiert.

Danach nahmen die EU-Staaten durch den Verkauf der Zertifikate an der Börse in den acht Handelsjahren insgesamt 49 Milliarden Euro ein. Weitere 54 Milliarden wären möglich gewesen, hätten die EU-Regierungen nicht Millionen Zertifikate kostenlos verteilt, rechnet der WWF-Report vor.

In Deutschland fließen die Einnahmen in den sogenannten Energie- und Klimafonds. Aber sogar das selbsternannte Klimamusterland Deutschland verwendete einen – wenn auch sehr geringen – Teil der Gelder für andere Zwecke. Auf 0,2 Prozent beziffert der Report diesen Anteil für die Bundesrepublik.

Nur sieben EU-Länder verwandten die CO2-Einnahmen laut WWF klimagemäß. Neun Länder nutzten die Mittel ungefähr zur Hälfte oder mehr dafür, um Haushaltslöcher zu stopfen.

Von den eingenommenen 49 Milliarden flossen 13,3 Milliarden, also rund ein Viertel, "nicht unmittelbar" in den Klimaschutz, bemängelt der WWF-Report.

"Viele EU-Staaten setzen die Erlöse kontraproduktiv ein"

Der Einsatz der öffentlichen Mittel sei widersprüchlich, sagt WWF-Klimaexpertin Viviane Raddatz gegenüber Klimareporter°. "Unser Report zeigt, dass die Erlöse in vielen Mitgliedsstaaten sogar kontraproduktiv eingesetzt werden."

Raddatz zieht eine kritische Bilanz der letzten Jahre. "Der Emissionshandel ist wie ein löchriger Schwimmreifen: Potenzielle Fördermittel für den sauberen Umbau unserer Wirtschaft entweichen in großen Mengen." Es sei "ungemein wichtig", die Einnahmen endlich vollständig für den Wandel zu einem klimafreundlichen Europa zu verwenden.

Die EU-Kommission arbeitet derzeit an einer Reform des ETS. Wenn der Emissionshandel nicht wirksamer wird, ist nach Einschätzung aller Fachleute das neue EU-Klimaziel von 55 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 gegenüber 1990 nicht zu erreichen.

Für Raddatz muss damit die Zeit kostenloser Zuteilungen vorbei sein. Zertifikate umsonst zu vergeben biete keinen Anreiz zur Emissionsreduzierung. "Eine vollständige Versteigerung von Emissionszertifikaten wird dagegen zu einem stabileren CO2-Preis und höheren Einnahmen aus dem ETS beitragen. Diese wiederum können für das Ziel Klimaneutralität eingesetzt werden", betont die WWF-Expertin.

Als Zieljahr für die vollständige Versteigerung fordert sie 2023 – vor allem, wenn die EU-Politik weitere Carbon-Leakage-Maßnahmen ergreifen sollte, um die tatsächlich oder vermeintlich drohende Abwanderung energieintensiver Unternehmen ins Ausland zu verhindern, wo die CO2-Emissionen dann möglicherweise noch höher wären.

WWF sieht keine Abwanderungsgefahr

Aus Sicht des WWF sind bisher keine Carbon-Leakage-Effekte durch den EU-Emissionshandel nachgewiesen. Im Gegenteil habe die europäische Industrie dadurch von 2008 bis 2019 rund 50 Milliarden Euro an zusätzlichen Gewinnen erzielt, erklärt Raddatz mit Verweis auf eine neue Studie des niederländischen Forschungsinstituts CE Delft.

Damit ETS-Einnahmen künftig klimagerecht eingesetzt werden, will der WWF die Ausgaben an Kriterien binden, wie sie bereits in der EU-Taxonomie und anderen Regelwerken niedergelegt sind. Der Mitteleinsatz soll sich weiter nach den Nationalen Energie- und Klimaplänen richten.

"Die EU kann sich nicht länger leisten, Geschenke an Verschmutzer zu verteilen und den Mitgliedsstaaten lediglich schwache Empfehlungen an die Hand zu geben, möglichst viel Geld in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren", sagt Raddatz. Sie fordert eine 100-prozentige Klimabindung für die Ausgaben und eine deutlich bessere Berichterstattung der Mitgliedsstaaten.

Auch für die Finanzinvestoren, die sich im ETS tummeln, sollen nach dem Willen des WWF weniger rosige Zeiten anbrechen. Die Stiftung will die Überschüsse an Emissionszertifikaten im Markt viel stärker begrenzen als bisher von der EU geplant.

Das soll die Gefahr eines plötzlichen Preis- und Markteinbruchs eindämmen, betont Raddatz. Wenn die EU – auch mit Blick auf das schärfere Klimaziel für 2030 – den Überschuss an Zertifikaten einenge, verringere sich das Risiko, dass große Mengen kurzfristig auf den Markt gebracht werden.

Anzeige