Als Klimaschutzpartei ist die FDP bislang nicht bekannt. Forsche Äußerungen ihres Parteichefs Christian Lindner über die "Fridays for Future"-Bewegung, denen er die Kompetenz absprach, die "globalen Zusammenhänge" beim Klima sehen zu können, verstärkten in jüngster Zeit den Eindruck nur noch weiter, die Liberalen hätten umweltpolitisch wenig zu bieten – und auch kein gesteigertes Interesse daran.
Mit ihrem Bundesparteitag an diesem Wochenende in Berlin will die FDP das nun ändern. Zur Abstimmung liegt den Delegierten ein achtseitiger Antrag für eine "liberale Klimapolitik" vor. Kurz vor den Europawahlen – und angesichts eines anhaltenden Umfragehochs für die Grünen – soll das Thema Klimaschutz für die Liberalen reklamiert und mit einem FDP-typischen Dreh versehen werden.
Auf ihrem Twitterkanal formuliert die Partei denn auch programmatisch: "Nicht die FDP muss grüner, sondern die Energie- und Klimapolitik in Deutschland muss vernünftiger, muss liberaler werden."
Im FDP-Kosmos heißt das vor allem: keine Verbote, mehr Marktwirtschaft, Technologieförderung und Technologieneutralität. Die Klimaziele des Paris-Abkommens, zu denen sich das Liberalen-Papier ausdrücklich bekennt, sollen erreicht werden durch "die intelligente Verzahnung von Ökologie und Ökonomie" und indem "das Wirtschaftswachstum vom Treibhausgas-Ausstoß entkoppelt" wird.
Derzeit werde die klimapolitische Debatte in Deutschland von einer "pessimistischen, fortschritts- und wachstumsfeindlichen Erzählung beherrscht", heißt es in dem Papier. Dem wolle die FDP eine Politik entgegensetzen, die "Klimaschutz durch das Vertrauen auf technologischen Fortschritt mit einer modernen Industriegesellschaft und steigendem Wohlstand in Einklang bringt".
Faktencheck: Umfang des Emissionshandels
In ihrem Papier zu einer "liberalen Klimapolitik" schreibt die FDP zum Europäischen Emissionshandelssystem (ETS): "Momentan fallen jedoch nur rund 45 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen unter das EU-ETS, da an diesem lediglich die Energiewirtschaft und Teile der Industrie teilnehmen."
Die Zahl von 45 Prozent ist nicht richtig. So groß war der Anteil, als der Emissionshandel 2005 startete. Inzwischen liegt er nur noch bei höchstens 40 Prozent. Denn während der Emissionshandel – wie die FDP zutreffend vermerkt – zu einer CO2-Einsparung in den beteiligten Sektoren geführt hat, sind die Emissionen vor allem im Verkehrssektor gestiegen, sodass deren Anteil an den Gesamtemissionen der EU ebenfalls gestiegen ist.
Als wichtigste Maßnahme hat die FDP dabei die Ausweitung des europäischen Emissionshandels im Sinn. Statt – wie derzeit breit diskutiert – einen allgemeinen CO2-Preis einzuführen, sollen auch die Sektoren Verkehr und Gebäude/Wärme in den Zertifikatehandel integriert werden, dem bislang nur die Energiewirtschaft und größere Industrieanlagen unterliegen (siehe Kasten).
"Nur der Emissionshandel", ist sich das FDP-Papier sicher, "vereint effektiven Klimaschutz mit ökonomischer Effizienz" – und kann damit das leisten, was der Partei vorschwebt: "Mehr Klimaschutz für weniger Geld".
"Nationale Alleingänge wie eine CO2-Steuer" lehnen die Liberalen hingegen ausdrücklich ab. Während Forscher und Thinktanks argumentieren, dass es einen Mindestpreis für CO2 braucht, der vor Spekulation schützt und das Emissionshandelssystem stabilisiert, argumentiert die FDP genau andersherum. Aus ihrer Sicht wäre eine CO2-Steuer "in ihrer Wirkung aufgrund der fehlenden Mengensteuerung höchst spekulativ".
Auch generell lehnt die Partei klimapolitische Vorgaben ab, etwa die Sektorziele, die im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung festgeschrieben sind. "Detaillierte CO2-Einsparziele für einzelne Wirtschaftsbereiche machen Klimaschutz dagegen unnötig teuer", heißt es. Und: "Keinesfalls dürfen derartige Ziele gesetzlich vorgeschrieben oder gar einklagbar werden."
"Mut zum Geoengineering"
Das zielt auch auf den Nicht-ETS-Bereich, die sogenannte Lastenteilung. Gemeint sind die Sektoren, die nicht am Emissionshandel beteiligt sind. Für sie gibt es verpflichtende Ziele – die Deutschland zu verfehlen droht. Deswegen kommen hohe Strafzahlungen auf die Bundesregierung zu.
"Bis 2030 droht somit ein unkalkulierbares Haushaltsrisiko", stellt das Papier fest. Derzeitige Schätzungen gehen von bis zu 60 Milliarden Euro aus. Auch mit diesem Argument plädiert die FDP für ein Ende der Lastenteilung – eben indem der Emissionshandel auf alle Sektoren ausgeweitet wird.
Ob es damit tatsächlich so viel billiger würde, CO2-Emissionen einzusparen, wie die Liberalen hoffen, ist mehr als unwahrscheinlich. Denn die low hanging fruits sind längst geerntet – also die CO2-Einsparungen, die auf preisgünstige Weise zu schaffen waren. Derzeit liegt der Preis für die europäischen Emissionszertifikate übrigens jenseits der 25 Euro für die Tonne CO2. Es ist ziemlich fraglich, ob sich FDP-Politiker dafür aussprechen, ein solches Preisniveau für alle gelten zu lassen.
Um mehr einzusparen als bislang, müsste nun richtig investiert werden. Bestehende Infrastrukturen müssen nicht nur optimiert, sondern umgebaut werden. Als wirtschaftsorientierte Partei müsste das der FDP klar sein – und sie müsste genau diese Investitionen fordern. Weil damit hohe zukünftige Kosten vermieden werden können, die andernfalls für die Wirtschaft und für die ganze Gesellschaft zu einem Problem werden.
Was die Partei fordert, ist etwas anderes. Nämlich mehr Forschung dazu, wie man CO2 "als Rohstoff in einer Kreislaufwirtschaft" nutzen kann. Oder auch die Förderung von Forschung und Entwicklung der Abscheidung und unterirdischen Verpressung von CO2, kurz CCS – um mit den "scheinrationalen Bedenken" der Vergangenheit Schluss zu machen. Sowie "Mut zum Geo-Engineering".
Die Klimadebatte brauche "mehr Nüchternheit", forderte FDP-Chef Lindner auf dem Parteitag. Der Vorstands-Antrag zur "liberalen Klimapolitik" erfüllt diesen Anspruch nur eingeschränkt.
Ergänzung am 9. Mai: Bundesumweltministerium warnt: Ausweitung des Emissionshandels gefährdet Klimaschutz