Was ist das Wesen des Kompromisses? Am Ende ist keiner so richtig zufrieden damit, aber die Kontrahenten können damit leben. So ist das auch bei der Blaupause für den Kohleausstieg, die die damit beauftragte Regierungskommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" nach einer turbulenten Nachsitzung verabschiedet hat.
Die vier Kohle-Bundesländer haben beim Bund Strukturhilfen herausgeholt, die sich sehen lassen können, und bekommen diese über 20 Jahre lang garantiert. Die Kohlekumpel fallen nicht ins Bergfreie, sondern werden gut abgesichert, sofern sie in den nächsten Jahren nicht ohnehin ganz normal in Rente gehen.
Und die Umweltschützer können sich zugutehalten, dass das Ende der Kohlenutzung nun tatsächlich fixiert ist und ein nicht unerheblicher Teil der Kraftwerke bereits in den nächsten vier Jahren abgeschaltet wird.
So weit, so gut. Es ist ein Signal, dass in der Bundesrepublik gesellschaftliche Großkonflikte immer noch durch Interessenausgleich gelöst werden können. Insofern ist die aus der Not geborene Strategie der schwarz-roten Koalition aufgegangen, die Entscheidung über den richtigen Ausstiegspfad in eine Kommission mit allen relevanten Gruppen – von Industrie bis Umweltverbänden – auszulagern.
Die letzten Bundesregierungen waren ja nicht in der Lage gewesen, diesen Plan aufzustellen. Auch deswegen wuchsen die Zukunftssorgen in den Kohleländern, vor allem im Osten, so enorm.
2038 ist viel zu spät für das 1,5-Grad-Limit
Und auch deswegen verlor Deutschland sein gutes Image als Vorreiter in der Klimaschutz-Politik. International versuchte die Regierung, mit ihrer ambitionierten Klima-Langfristvision für 2050 zu glänzen, doch bei der Umsetzung gab es vor allem eines – eine gigantische Leerstelle.
Das ist nun anders, zumindest, wenn das Merkel-Kabinett die Blaupause der Kommission so übernimmt – wovon auszugehen ist. Nicht nur, weil der Kanzlerinnen-Vertraute Ronald Pofalla die letzte Sitzung geleitet hat, sondern auch, weil alles andere ein Affront gegen den fast einstimmigen Beschluss des Gremiums wäre.
In die Erleichterung, dass die Kuh endlich vom Eis gebracht wurde, mischt sich jedoch eine große Sorge. Ein Kohleausstieg mit Enddatum 2038 entspricht nicht den Vorgaben des Pariser Weltklimavertrags, nach denen die globale Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden soll.
Um kompatibel damit zu sein, hätte 2030 als Schlusspunkt fixiert werden müssen – die Forderung, mit der die Vertreter der Umweltverbände in die Diskussion eingetreten sind und die sie lange als nicht verhandelbar bezeichnet haben.
Dass sie nun nicht nur zwei, sondern acht Jahre zugegeben haben, ist hart – und zwar nicht nur für sie, die das ihren Mitgliedern "verkaufen" müssen, sondern besonders für den Klimaschutz. Dass das Enddatum laut dem Plan bei einer Überprüfung im Jahr 2032 auf 2035 vorgezogen werden kann, und zwar ausdrücklich im Einvernehmen mit den Betreibern, dient eher ihrer Gesichtswahrung.
Die Tatsache, dass das Klima nicht mit sich verhandelt lässt, kann keine noch so hochkarätige Kommission außer Kraft setzen.
Die ökonomische Dynamik könnte den Ausstiegsplan überholen
Eine Hoffnung bleibt. Nämlich die, dass der Umstieg auf die erneuerbaren Energien nun, da der Ausstiegspfad da ist, tatsächlich schneller laufen wird als vorgesehen.
So etwas hat Deutschland schon einmal erlebt – nach der Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) anno 2000. Wind- und Solarstrom wurden durch die beschleunigte Markteinführung so schnell billiger, dass selbst die kühnsten Prognosen von damals übertroffen wurden.
Heute sind bundesweit bereits fast 40 Prozent Erneuerbaren-Anteil erreicht. Einen solchen Turbo braucht es nun erneut. Um ihn anzuschalten, sind Investitionen und andere Maßnahmen nötig, um die Ökostrom-Speicherung und die Flexibilisierung des Strommarktes durch Digitalisierung voranzubringen.
Nicht auszuschließen, dass die schwerfälligen Kohle-Dinosaurier dann schneller vom Netz genommen werden können als bisher vorgesehen. Mit anderen Worten: Der Job, vom fossilen auf das solare Energiesystem umzustellen, beginnt nun erst.