Ein riesiges Kraftwerk mit zwei dampfenden Kühltürmen vor wolkenverhangenem Himmel.
Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler bei Aachen soll nach dem Willen der Umweltverbände bald ausgedient haben. (Foto: Max Schiff/​Wikimedia Commons)

Gegenwärtig brütet die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission über den Kapiteln ihres Berichts, die politisch die größte Sprengkraft haben: Was muss die Bundesrepublik tun, um ihren Klimazielen noch möglichst nahe zu kommen, und wie viele Kohlekraftwerke müssen dazu bis wann abgeschaltet werden?

Bis zu 7.000 Megawatt, einschließlich der ohnehin beschlossenen "Sicherheitsbereitschaft" von 2.700 Megawatt, in den nächsten zwei, drei Jahren stillzulegen – zu mehr hat sich Bundespolitik bisher nicht bekennen können. Und auch diese Zahl stammt noch aus den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen im letzten Jahr.

Um das Klimaziel von minus 40 Prozent CO2 bis Ende 2020 sicher zu schaffen, müssen, wie nicht wenige Studien sagen, in den nächsten beiden Jahren insgesamt 20.000 Megawatt Braunkohle- und Steinkohlekapazität vom Netz. Das ist mittlerweile ziemlich unrealistisch geworden und ohne Zweifel ein Grund dafür, warum die drei Umweltverbände, die in der Kohlekommission sitzen – BUND, Greenpeace und der Dachverband Deutscher Naturschutzring – jetzt einen Kompromissvorschlag eingebracht haben. Er ist in einem Klimareporter° vorliegenden elfseitigen Textentwurf zum Kapitel 4 des Berichts der Kohlekommission enthalten.

Um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, sollen zunächst aus Sicht der Umweltschützer keine Dörfer mehr für Tagebaue umgesiedelt und abgerissen werden und der erhaltene Rest des Hambacher Forsts stehen bleiben.

Dann versuchen die Verbände herauszuarbeiten, wie viel Kohlekapazität in den nächsten Jahren überhaupt am Netz ist. Ende 2017 waren es, so der Ausgangspunkt, bei Steinkohle 22.700 und bei Braunkohlekraftwerke 20.000 Megawatt. Durch die Braunkohle-Sicherheitsbereitschaft und weitere angemeldete Stilllegungen bei Steinkohle von 2.400 Megawatt werde die Kohle-Leistung zwar sinken, ab 2019 werde aber das neue Kraftwerk Datteln 4 rund 1.000 Megawatt zusätzlichen Kohlestrom erzeugen.

Deutlicher Schnitt vor allem im Westen

Alles in allem rechnen die Verbände damit, dass 2020 etwa 18.000 Megawatt Braunkohle und 21.000 Megawatt Steinkohle laufen – davon sollen dann insgesamt bis 2022 rund 16.000 Megawatt abgeschaltet werden, also gut 40 Prozent.

Um dabei relativ schnell eine spürbare CO2-Reduktion zu erzielen, schlagen die Umweltverbände vor, 7.500 Megawatt Braunkohle schon bis 2020 zusätzlich in die "Sicherheitsbereitschaft" zu nehmen, also de facto in die Reserve zu geben. Dies soll laut dem Verbände-Entwurf "im Rheinland alle Blöcke mit Inbetriebnahme vor 1980 an den Standorten Neurath, Niederaußem und Weisweiler" betreffen, außerdem "je zwei Blöcke an den Standorten Jänschwalde und Boxberg mit Inbetriebnahme vor 1990".

Mit der Ausweitung der Sicherheitsbereitschaft sollen offenbar zum einen die entstehenden Probleme bei der Beschäftigung gemildert werden, andererseits kommen auf den Staat oder die Stromkunden vermutlich weitere Milliardenkosten zu. Die Verbände sprechen in ihrem Papier selbst davon, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen aufgrund der Kurzfristigkeit "aus rechtlichen Erwägungen wahrscheinlich finanziell zu kompensieren" sind. Sie beziehen sich dabei, wenn auch in einer "angepassten Höhe", auf die bereits etablierte Kompensation nach dem Energiewirtschaftsgesetz.

Bemerkenswert bei der Braunkohle ist auch der weitaus größere Stilllegungsumfang im Rheinischen Revier, während es in der Lausitz nur einen "moderaten Eingriff" geben soll. Ihre "geografische Priorisierung" begründen die Verbände damit, dass die Kraftwerke im Westen im Schnitt deutlich älter sind als die in den anderen Kohleregionen.

"Jetzt müssen sich die Blockierer in der Wirtschaft bewegen"

Bei der Steinkohle schlagen die Verbände vor, insgesamt 8.600 Megawatt alte Kraftwerke, die bis 1990 in Betrieb gingen, bis Anfang 2022 "rechtssicher und entschädigungsfrei gesetzlich stillzulegen". Nur wenn zum Beispiel die Wärmeversorgung gefährdet ist, soll es Ausnahmen geben. Zusätzlich plädiert das Papier für eine sogenannte "Sprinterprämie", um Betreibern Anreize zu geben, alte Steinkohle-Blöcke vor schon 2020 oder 2021 stillzulegen.

Bei der Frage, wie viel CO2 sich durch eine etwa 40-prozentige Stilllegung des deutschen Kohlestroms vermeiden lässt, geben die Verbände etwa 100 Millionen Tonnen an, einschließlich weiterer, nicht einzeln erwähnter Maßnahmen. Das würde mutmaßlich reichen, um die sich abzeichende ebenso große "Lücke" beim Klimaziel für 2020 zu schließen – wenn dann sicher auch erst 2022.

Mit dem Vorschlag hätten die drei Verbände deutlich gemacht, dass sie angesichts der "bitteren Realität dazu bereit sind, das 40-Prozent-Reduktionsziel um wenige Jahre zu verschieben", kommentiert Michael Schäfer vom WWF. Die Stiftung gehört ebenfalls zu den großen Umweltorganisationen im Land, sitzt aber nicht mit am Kommissionstisch.

Die Bundesregierung müsse jetzt auch den "Blockierern in der Wirtschaft" klarmachen, dass sie sich deutlich bewegen und einen Vorschlag für zwei erste große Schritte beim Kohleausstieg bis 2022 und 2025 vorlegen müssten, verlangt Schäfer.

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