Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Rund 70 Prozent der hierzulande verbrauchten Energie werden durch Importe gedeckt – vor allem von Mineralöl, Erdgas und Steinkohle.

Doch auch eine klimaneutrale Bundesrepublik wird nach übereinstimmender Ansicht der Regierungsparteien und der Industrie nicht energieautark sein können, sondern grünen Wasserstoff und seine – per Schiff transportierbaren – Derivate wie Ammoniak, Methanol und Kerosin importieren müssen.

 

Folgt man einer neuen Untersuchung, kommen dabei als Herkunftsregionen vor allem Südeuropa und Nordafrika, aber auch ferne Länder wie Australien, Brasilien und Kolumbien infrage.

Die Bundesregierung arbeitet an einer neuen Wasserstoffstrategie. Für über 30 afrikanische Staaten wurde ein Potenzialatlas erstellt, der zeigt, wo die Produktion von Wasserstoff sinnvoll und günstig ist. Hier laufen bereits sechs Projekte, die eine deutsch-afrikanische Wasserstoff-Partnerschaft vorbereiten, unter anderem mit Namibia.

Weitere Partnerschaften hat die Ampel-Regierung etwa mit Kanada, den USA und Neuseeland angeschoben. Benötigt wird das "grüne" Gas vor allem, um fossile Energien in der Industrie sowie im Flug‑ und Schiffsverkehr zu ersetzen.

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg hat nun zusammen mit der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zwölf aussichtsreiche Wasserstoff-Produktionsländer untersucht und analysiert, wo die Herstellung der grünen Energie bis 2030 am billigsten wäre. Dabei wurden auch die zum Teil extrem langen Transportwege, zum Beispiel aus Australien, berücksichtigt. Auftraggeberin ist die Stiftung H2 Global mit Sitz in Hamburg.

Die analysierten Länder und deren Bereitstellungskosten einschließlich Transport nach Deutschland. Die Kosten zur Produktion von Flüssigwasserstoff (LH2), Ammoniak (NH3), Methanol (MeOH), Kerosin (Jet fuel) und Fischer-Tropsch-Produkten (FT-Mix) sind mit zusätzlich errichteten Erneuerbaren-Anlagen kalkuliert. Für die fossilen Energieträger wird CO2-Abscheidung mittels Direct Air Capturing (DAC) angenommen. (Bild: Fraunhofer ISE)

Es zeigte sich, dass grüner Wasserstoff nirgendwo so günstig wie in einigen Regionen Brasiliens und Australiens sowie im Norden Kolumbiens hergestellt werden kann. Die Produktion eines Kilogramms H2 kostet dort rund 3,20 bis 3,60 Euro, wobei dieses Kilo etwa so viel Energie enthält wie vier Liter Benzin.

Hinzu kommen allerdings noch die Kosten für den Ferntransport per Schiff und die dazu nötige Umwandlung in Flüssigwasserstoff oder etwa Ammoniak. Vorteil dieser Länder ist, dass dort sehr viel Wind- und Solarenergie zur Verfügung steht, die eine hohe kontinuierliche Auslastung der kapitalintensiven Produktionsanlagen für die H2-Derivate ermöglicht.

Weite Transportwege sind laut der Studie kein Ausschlusskriterium, da Ammoniak, Methanol oder Kerosin eine hohe Energiedichte haben und es eine etablierte Schiffstransportlogistik gibt. Die Entfernung von Australien nach Deutschland zum Beispiel beträgt Luftlinie rund 14.500 Kilometer, von Brasilien sind es 9.500 Kilometer.

Autoren schließen reine Exportindustrien aus

Eine Alternative sehen die ISE-Fachleute im Import von gasförmigem Wasserstoff per Pipeline nach Deutschland, wobei Südeuropa und Nordafrika wegen der kürzeren Entfernungen am besten abschneiden. Die "grünen" Kraft- und Brennstoffe könnten dann auch hierzulande daraus hergestellt werden. Wasserstoff aus Algerien, Tunesien und Spanien würde laut den Berechnungen 4,56 Euro pro Kilogramm kosten – inklusive Transport in einer auf Wasserstoff umgerüsteten Erdgaspipeline.

Voraussetzung ist allerdings, dass erste Abschnitte der dafür nötigen Pipeline-Infrastruktur bis 2030 gebaut werden. "Es könnten ab dann große Mengen nachhaltig erzeugten Wasserstoffs auf eine sehr kosteneffiziente Weise nach Europa und damit auch Deutschland transportiert werden", sagte der Hauptautor der Studie, Christoph Hank.

Pläne für den Bau einer H2-Pipeline, die Südeuropa mit dem Norden verbinden sollen, gibt es bereits. So beschlossen Spanien, Portugal und Frankreich 2022, die H2‑Med-Pipeline zu bauen. Sie soll vom spanischen Barcelona durch das Mittelmeer bis ins südfranzösische Marseille verlaufen, um von dort Industrieregionen etwa in Norditalien anzuschließen.

Inzwischen haben Frankreich und Deutschland vereinbart, diese Pipeline nach Deutschland zu verlängern. Ziel sei es, den Transport von Wasserstoff durch ganz Europa zu erleichtern, heißt es in der Erklärung dazu. Die Trasse Barcelona–Marseille soll rund 2,5 Milliarden Euro kosten. Der Bau soll Ende 2025 beginnen und bis 2030 dauern.

Ob Spanien und Portugal dann genügend grünen Wasserstoff produzieren können, um die verlangten Mengen zu exportieren, ist noch unklar. Für Energieexperten wie den Madrider Professor José Ignacio Linares steht angesichts der langen Pipeline-Bauzeiten aber fest, dass schnell damit begonnen werden muss. Ansonsten bestehe die Gefahr, "dass wir am Ende eine riesige Menge an Wasserstoff haben, die wir nicht exportieren können".

Die ISE-Experten raten dazu, dass die Wasserstoffprojekte in geeigneten Produktionsländern wegen der langen Planungs- und Bauphasen "schon jetzt eingeleitet werden sollten". Sie legen aber auch Wert darauf, dass beim Aufbau einer globalen Wasserstoffindustrie gleichzeitig der Bedarf an erneuerbaren Energien in den zukünftigen Exportländern gedeckt werden muss.

Es soll also keine reine Exportindustrie entstehen. Die Errichtung einer Erzeugungs- und Exportinfrastruktur müsse "in Abstimmung und Einklang mit den lokalen Interessenvertretenden" geschehen, fordern die Experten.