Großer Bahnhof in Luxemburg: Mit Konzerten an Bahnhöfen, in Zügen und Bussen feiert das Großherzogtum am heutigen Samstag den Auftakt des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs.
"Im ganzen Land braucht man für Bus, Bahn und Tram keine Tickets mehr", sagte der Luxemburger Verkehrsminister und frühere Bahnmitarbeiter François Bausch (Grüne). Lediglich Fahrten mit der 1. Klasse bleiben kostenpflichtig.
Als erstes Land weltweit geht Luxemburg diesen Schritt. In einzelnen Städten wird das Modell freilich schon länger erprobt.
In der estnischen Hauptstadt Tallinn ist der ÖPNV seit 2013 für alle Einwohner:innen der Stadt kostenfrei. Schon vor der Einführung nutzte mehr als die Hälfte der Bevölkerung Tallinns Bus und Tram. Mit dem "Nulltarif" stiegen die Nutzerzahlen zwar, aber zu einer Reduzierung des Autoverkehrs trug der Schritt nicht bei.
Auch Luxemburg will mit dem kostenlosen ÖPNV – der für die Staatskasse Mehrausgaben von 41 Millionen Euro im Jahr bedeutet – mehr Menschen dazu bringen, vom privaten Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Bislang gehört Luxemburg zu den vier Ländern der Welt mit der höchsten Autodichte pro Kopf. Stau und kollabierender Straßenverkehr sind die Regel.
Allerdings treibt Verkehrsminister Bausch seit seinem Amtsantritt 2013 auch den Ausbau der Öffentlichen rasant voran. "Bisher ist Luxemburg vor allem ein reiches Autoland", sagt Philipp Kosok vom ökologischen Verkehrsclub VCD. "In wenigen Jahren könnte man es hingegen als das Land kennen, das es geschafft hat, allen Einwohnern eine zukunftsfähige Mobilität zu ermöglichen."
Dafür hat Luxemburg massiv in die Bahn investiert. Das Land gibt pro Kopf beinahe zehnmal so viel für die Bahn aus wie Deutschland. Das Bus- und Bahnangebot nach Deutschland und Frankreich wurde verbessert, damit Pendler:innen umsteigen. Zudem wurden zusätzliche Elektrobusse angeschafft und das Radwegenetz ausgebaut.
"Der vierte Schritt vor dem ersten"
"Für die meisten Menschen entscheidet aber nicht der Nulltarif darüber, ob sie auf Bus und Bahn umsteigen", gibt Kosok zu bedenken. Wichtiger seien Zuverlässigkeit und ein gut ausgebautes Verkehrsangebot.
Noch deutlicher wird Eike Arnold vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). "Untersuchungen haben gezeigt, dass günstigere oder kostenlose Tickets nicht Autofahrer zum Umstieg bewegen, sondern Radfahrer und Fußgänger", sagt Arnold. Man erreiche also die Zielgruppe gar nicht.
Sogar das Gegenteil des Erwünschten könnte passieren: "Wenn Busse und Züge wegen vergünstigter Tickets voller werden, könnte das Autofahrer eher abschrecken", warnt Arnold.
Trotzdem wird in vielen Städten über entsprechende Tickets nachgedacht. Mit dem Schritt könnte Luxemburg ein Modell auch für deutsche Städte und Regionen sein, sagte Alexander Handschuh vom Deutschen Städte- und Gemeindebund der Deutschen Presse-Agentur.
Eine solche Entwicklung würde bei den 600 Bus- und Bahnunternehmen und Verkehrsverbünden in Deutschland, die im VDV organisiert sind, wohl auf wenig Verständnis stoßen. "Das wäre der vierte Schritt vor dem ersten", sagt Eike Arnold vom VDV gegenüber Klimareporter°.
Zunächst müsse das System modernisiert und elektrifiziert werden, auch für die bestehenden Verkehrsinfrastrukturen seien massive Investitionen nötig.
"Nicht gratis, aber bezahlbar für alle"
Wie hoch nach Jahren des Sparens der Sanierungsstau im öffentlichen Verkehr in Deutschland ist, illustriert die Investitionsoffensive des Bundes für die Deutsche Bahn. In den kommenden zehn Jahren sollen insgesamt 86 Milliarden Euro in die Modernisierung von Gleisen und Bahnhöfen, Stellwerken und Energieversorgungsanlagen fließen.
Aus Sicht von Fachleuten reicht das Geld jedoch nur, um den Verfall der Bahninfrastruktur zu stoppen – zukunftsfähig werde die Bahn damit noch nicht. Dafür müssten auch mehr Mittel in den Ausbau der Schienenwege gesteckt werden, hier stagnieren die Investitionssummen jedoch seit Jahren.
Zudem fürchten die VDV-Unternehmen um ihre Einnahmen. "Wir haben in Deutschland eine Nutzerfinanzierung", erläutert Arnold. Die Beiträge aus den Ticketverkäufen fließen zurück ins System, das würde dann wegfallen.
Würden ÖPNV-Tickets 365 Euro im Jahr kosten – wie es Wien 2012 im Stadtgebiet eingeführt hat – würden den Verkehrsunternehmen vier Milliarden fehlen. Bei kostenlosem ÖPNV fehlten sogar jedes Jahr 13 Milliarden Euro. "Die Steuerzahler müssten dann einspringen", sagt Arnold.
Auch Umweltschützer sprechen sich nicht unbedingt für kostenloses Bus- und Bahnfahren aus. "Die Forderung nach dem ÖPNV-Nulltarif für alle ist überzogen", sagt Philipp Kosok vom VCD. In Deutschland fehle es an Sozialtickets, also an Fahrscheinen für Menschen mit besonders geringem Einkommen, die von den Ländern und Gemeinden bezuschusst werden. Kosok: "ÖPNV muss nicht gratis sein wie in Luxemburg, aber er sollte für alle bezahlbar sein."