Luftaufnahme einer Berliner Straßenkreuzung zwischen Gründerzeithäusern.
Straße in Berlin: Weniger private Autos heißt mehr Platz für Fahrräder, Sharing, Cargobikes und Busse. (Foto: Valentin Baciu/​Pixabay)

Eine starke Vision hat der "Volksentscheid Berlin autofrei" letztes Jahr für die Stadt entworfen und dafür auch viel Zustimmung geerntet. Man mag die Umsetzungsideen kritisieren und für verbesserungswürdig halten, wie Bettina Jarasch, grüne Verkehrssenatorin von Berlin, in einem Interview.

Viel mehr Aufruhr verursachte allerdings die Begrifflichkeit "autofrei". Für die einen assoziiert dieses Wort eine nahezu traumhafte Vision vom Zustand unserer Straßen, für die anderen wirft es zu viele Fragen auf oder entpuppt sich gar als Provokation. Wer schon einmal versucht hat, mit autofahrenden Familienmitgliedern ein Gespräch darüber zu beginnen, weiß, was gemeint ist.

Worum geht es eigentlich, wenn eine "autofreie Stadt" gefordert wird? Zunächst zielt das Konzept auf eine pragmatische Lösung für alle. Die einen wollen nicht überfahren werden und womöglich sterben, andere haben keine Lust auf Parkplatzsuche und Staus. Eine weitere Gruppe strebt weniger Lärm und Feinstaubbelastung an.

Alle wollen aber irgendwie am Ende dasselbe: ein schönes, anhaltendes(!) und bequemes Leben in einem lebenswerten Umfeld.

Tatsächlich ist in den letzten Jahrzehnten jedoch ein Verkehrsmittel als angeblicher Träger von Freiheit und Bequemlichkeit deutlich bevorzugt worden. Doch wie bequem ist Autofahren noch, und war es das jemals? Wartung und Reparaturen, Kfz-Steuer, mittlerweile steigende Kraftstoffpreise und eben die massenhaft investierte Zeit in Staus und bei der Parkplatzsuche – und jetzt kommt noch dieses Autofahrer:innen-Shaming durch den Klimadiskurs hinzu. All das nervt gewaltig.

Trotzdem geht es nicht darum, das Auto abzuschaffen, sondern Stellschrauben neu zu justieren, die jahrzehntelang missachtet und missbraucht wurden. Wir müssen zusammen aufräumen auf unseren Straßen. Denn die erreichte Eskalationsstufe bei der Verbreitung des Autos ist für alle – auch für Menschen mit Auto – eine Belastung.

Besser leben mit dem Auto

Zunächst wäre es doch praktisch, einen festen Stellplatz zu haben. Mobilitätsgeräte, die 90 Prozent der Zeit herumstehen, sollten einen sicheren und stabilen Abstellort bekommen, sodass ihre Besitzer:innen sich entspannen können und Zeit sparen.

Quartiersgaragen sind da eine schöne Idee. Vor allem für innerstädtische Bereiche ist das ein Modell, das für viel Flächengerechtigkeit sorgt. Autobesitzer:innen hätten dann ähnliche Distanzen zu ihrem Fortbewegungsmittel zurückzulegen wie Öffi-Nutzende zu den ÖPNV-Stationen.

Porträtaufnahme von Theresa Pfaff.
Foto: Martina Sander-Blanck/​WZB

Theresa Pfaff

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung des Wissenschafts­zentrums Berlin (WZB). Sie beschäftigt sich im Projekt "Verkehrswende erleben" damit, wie durch Visualisierungen unterschiedliche Menschen für eine Verkehrs­wende erreicht werden. Ihr Beitrag erschien ebenfalls im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

Kostentechnisch wird stets auch unterschätzt, wie teuer der private Besitz von Fahrzeugen ist und welche gemeinschaftlichen Kosten durch Fahrzeuge und ihre Infrastruktur, durch die gesundheitliche Belastung und die Klimaschäden hervorgerufen werden.

Sollten Menschen sogar auf den Privatbesitz eines Autos verzichten wollen, gibt es künftig trotzdem wunderbare Möglichkeiten, weiterhin Autos zu nutzen. Zweifellos sind die Angebote im Sharing und Ridepooling sehr verbesserungswürdig. Grundsätzlich bieten sie aber die Chance, die Zahl der Fahrzeuge zu reduzieren und die weitere Nutzung von Autos durch weniger Staus bequemer zu machen.

Was ist aber, wenn Menschen auf ständige Verfügbarkeit eines Autos angewiesen sind? Zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder genauer gesagt Menschen, die durch mangelnde Barrierefreiheit behindert werden. Sie werden laut der Aktivistin Cécile Lecomte oft als Gegenargument für eine Autoreduktion angeführt.

Für diese Menschen kann das Auto tatsächlich eine Freiheit bedeuten, die bei anderen Mobilitätsarten infolge einer Exklusionspolitik sowie aus Gründen der Rentabilität nicht gewährleistet wird. Diese Nachteile müssen dann im Privaten durch ein Auto ausgeglichen werden.

Das ist aber laut Lecomte kein "Naturgesetz" und kann durch eine wahrhaftige Inklusionspolitik bei der Bahn und auch bei Sharing-Anbieter:innen verändert werden. In der Zwischenzeit wäre es auch für diese Menschen im Übrigen angenehmer, wenn sich andere weniger in Autos fortbewegen.

Ganz autofrei ist unmöglich und unnötig

Als weiteres Gegenargument, den Autoverkehr massiv einzuschränken, wird der Wirtschaftsverkehr herangezogen. Lieferdienste und Gewerbe seien auf das Auto angewiesen.

Nun, wenn man bedenkt, dass der Lieferverkehr ebenfalls unter Staus und zugeparkten Lieferzonen leidet, wäre es doch angemessen, wenn diese Nutzungsgruppen durch weniger private Pkw auf den Straßen entlastet würden. Gleichzeitig ist gerade der Logistikbereich sehr innovationsfreudig und man sieht bereits viele große Lastenräder auf der Straße.

Für diejenigen, die ein Auto nutzen müssen, gibt es eine weitere angenehme Idee: Durch flächendeckendes Tempo 30 (und weniger) könnte Autofahren in dicht besiedelten Gebieten weniger risikoreich werden.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Alle Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

So sinkt nachgewiesenermaßen bei Tempo 30 die Zahl und Schwere der Unfälle immens, und die Autofahrer:in muss nicht für immer damit leben, dass jemand durch ihr Auto zu Schaden gekommen oder gar gestorben ist. Aber auch die eigene Sicherheit erhöht sich, weil sich Verkehrsfluss, Reaktions- und Bremszeiten im Miteinanderfahren entspannen.

Wir werden niemals ganz und gar autofrei sein und das ist auch gut so. Autos müssen aber in eine effiziente multimodale Struktur der Fortbewegung und Transportlogistik eingebettet und ihre Nutzbarkeit muss maximiert werden – das hilft auch der Pflegefachkraft nach ihrem Nachtdienst.

Autos sind ein sinnvoller Bestandteil unserer Mobilität. Da ist in den letzten Jahrzehnten "nur" etwas aus dem Ruder respektive Lenker gelaufen. Das können wir neu justieren, wenn wir verstehen, dass es allen nutzt, und wir nicht zulassen, dass sich durch einzelne Begriffe die Fronten verschärfen.

 

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