Haupteingang zum Obersten Volksgericht in Peking. (Bild: Russell Neches/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Frau Liu, Sie gehören seit vielen Jahren zum Pekinger Team von Client Earth. Die unabhängige internationale Organisation unterstützt Chinas Klima- und Umweltpolitik mit juristischer Expertise. In welchen Bereichen hat China bedeutende Fortschritte gemacht?

Liu Mengxing: China hat in den letzten zehn Jahren erhebliche Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit gemacht. Dazu gehört auch die Weiterentwicklung eines umweltrechtlichen Rahmens.

2015 hat China sein Umweltschutzgesetz überarbeitet. Unmittelbar davor und danach wurde mit einer ganzen Reihe von Gesetzesrevisionen und -entwürfen begonnen, die viele Umweltaspekte abdecken, wie Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung sowie Schutz von Feuchtgebieten, Natur und Biodiversität.

Zu diesem Zeitpunkt kam Client Earth ins Spiel. China schaut sich bei der Ausarbeitung von Gesetzen um, welche Erfahrungen andere Länder gemacht haben. Deshalb haben wir den internationalen Austausch zur Umweltgesetzgebung gefördert und internationale "Best Practices" vorgestellt, um die Erarbeitung dieser Gesetze zu unterstützen.

Der Bereich, in dem die Öffentlichkeit die größten Veränderungen spürt, ist sicherlich die Verbesserung der Luftqualität, besonders in den Großstädten.

Und wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

Derzeit ist in aller Munde, dass es in China kein Klimagesetz gibt. Doch zugleich gibt es viel Bewegung in dem Politikbereich.

China hat beispielsweise einen Aktionsplan angekündigt, damit Ziele wie der "Peak" der CO2-Emissionen bis 2030 sowie CO2-Neutralität bis 2060 wirklich erreicht werden können. Im Anschluss daran haben viele Schlüsselindustrien und ‑sektoren eigene Fahrpläne angekündigt, um den CO2-Peak möglichst früh zu erreichen.

Ein weiteres Beispiel ist, dass das Oberste Volksgericht in diesem Jahr ein Rechtsgutachten zur juristischen Absicherung der CO2-Ziele veröffentlicht hat, welches den Gerichten auf allen Ebenen Leitlinien für die Entscheidung von klimabezogenen Fällen an die Hand gibt. Viele Gesetze, zum Beispiel das Energiegesetz und das Gesetz über erneuerbare Energien, werden derzeit überarbeitet, und es ist wahrscheinlich, dass sie zusätzliche Anforderungen in Bezug auf den CO2-Peak und CO2-Neutralität enthalten werden.

Da es jedoch kein Klimagesetz gibt, besteht in der Tat ein Hindernis, wenn es um die Durchsetzung der Gesetze geht. Derzeit arbeiten jedoch verschiedene Interessengruppen gemeinsam an einem solchen Gesetz.

Wie in allen Staaten auf der Welt ist es wichtig, Ziele und vor allem Gesetze zu verabschieden – aber noch wichtiger, sich um die Umsetzung zu kümmern. Wie beurteilen Sie die Durchsetzung von Umweltgesetzen?

Liu Mengxing

arbeitet seit 2016 im Pekinger Büro der Umwelt­rechts­organisation Client Earth, zunächst als Über­setzerin und heute als Leiterin des China-Programms. Zuvor war sie über das WWF-Jugend­programm im süd­westlichen Madagaskar tätig.

Angesichts der vielen Gesetze, die ausgearbeitet oder überarbeitet wurden, war es tatsächlich ein Problem, wie diese Gesetze besser durchgesetzt und überwacht werden. Das hat sich jedoch deutlich verbessert, auch weil entsprechende Kompetenzen aufgebaut wurden.

So hat das Ministerium für Ökologie und Umwelt ein nationales Umweltinspektionssystem eingeführt, bei dem Beamt:innen der zentralen Ebene und der Lokalregierung gemeinsam auf Inspektionstour gehen, wobei die Inspektor:innen in der Regel nicht aus der Region kommen, in der sie tätig werden.

Eine weitere wichtige Entwicklung, gerade in den letzten fünf Jahren, war die Arbeit der Obersten Staatsanwaltschaft. Diese Staatsanwälte sind eine starke Kraft, wenn es darum geht, Umweltrecht durchzusetzen. Durch das System der Streitbeilegung im öffentlichen Interesse können sie nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Regierung für die Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten haftbar machen.

Die Oberste Staatsanwaltschaft hat 2019 spezialisierte Abteilungen für "Rechtsstreitigkeiten im öffentlichen Interesse" eingerichtet. Von den über 800.000 seitdem anhängigen Fällen betreffen mehr als zwei Drittel die Umwelt. Worum geht es da zum Beispiel?

In einem Fall, bei dem wir die Staatsanwaltschaft unterstützt haben, leitete ein Unternehmen illegal Abfälle ins Meer ein. Die Staatsanwaltschaft machte nicht nur den Verursacher haftbar, sondern sprach auch mit der Verwaltungsbehörde, die ihrer Pflicht zur Überwachung nicht nachgekommen war. So kam es zu Konsultationen und Treffen mit den lokalen Regierungsbehörden, und schließlich wurde das Problem beseitigt.

Das System funktioniert folgendermaßen: Gegen Unternehmen kann die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Für die Regierung gibt es das System der Empfehlungen der Staatsanwaltschaft. Auf diese Weise können sie Konsultationstreffen abhalten, verschiedene Interessenvertreter zusammenbringen und andere Mechanismen nutzen, um die Regierung dazu zu bewegen, sich um die Umwelt zu kümmern. In Chinas politischem Kontext ist das sehr hilfreich.

Wie finden Sie als Nichtregierungsorganisation Kanäle, um sich an Regierungsstellen zu wenden? Wie kann man sich den Arbeitsprozess vorstellen?

In China arbeiten wir mit der Regierung zusammen. Unsere wichtigsten Partner sind das Ministerium für Ökologie und Umwelt, das Oberste Volksgericht und die Oberste Staatsanwaltschaft.

Einige Menschen stehen vor einem weißen Monumentalbau mit Säulen, großen Fensterfronten und dem Zeichen der Obersten Staatsanwaltschaft.
Gebäude der Obersten Staatsanwaltschaft in Peking. (Bild: Charlie Qi/​Wikimedia Commons)

Wir konzentrieren uns auf mehrere Arbeitsbereiche, darunter die Ausarbeitung und Überarbeitung von Gesetzen. Dafür arbeiten wir hauptsächlich mit dem Umweltministerium und den angeschlossenen Forschungsinstituten zusammen und veranstalten Workshops sowie Austauschprogramme.

Ein zweiter wichtiger Bereich ist die schon erwähnte Zusammenarbeit mit der Justiz. Wir haben mehr als 2.000 Richter:innen und Staatsanwält:innen in Umweltfragen geschult. Außerdem unterstützen wir den Aufbau von Kompetenzen für Umweltorganisationen in China und haben zusammen mit einer chinesischen Regierungsstiftung einen speziellen Fonds eingerichtet.

Nicht zuletzt unterstützen wir Chinas umweltpolitische Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft. So haben wir beispielsweise im Rahmen eines EU-finanzierten Kooperationsprojekts zwischen dem chinesischen Umweltministerium und der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission ab 2018 zehn Workshops mit europäischen und chinesischen Verhandler:innen im Vorfeld der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal veranstaltet. Diese offizielle Plattform für den Austausch hat zum endgültigen Erfolg des Kunming-Montreal-Abkommens zum globalen Artenschutz beigetragen.

Sie sagten, dass China sich an internationalen Best Practices orientiert. Gibt es auch Gesetze, bei denen andere Länder von China lernen können?

Ja, zum Beispiel Chinas System der zivilen und administrativen Streitbeilegung im öffentlichen Interesse durch Staatsanwält:innen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Verschmutzung des Flusses Jangtse durch Schiffe. Es handelt sich dabei um eine ganze Reihe von Fällen, bei denen die Staatsanwaltschaft die Führung übernommen hat.

Es ging darum, wie die Verschmutzung durch Schiffe auf dem Jangtse besser geregelt werden kann, zum Beispiel durch Müllsammel- und -entsorgungseinrichtungen in den Häfen entlang des Flusses. Die Durchsetzung musste verbessert und die Vorschriften aktualisiert werden – und das Problem dabei systematisch behandelt werden.

Die Staatsanwaltschaft hat Beamt:innen der zentralen Bereiche Schifffahrt und Verkehr, Wasser sowie Umwelt und auch der verschiedenen Provinzen zusammengebracht. Sie haben gemeinsam überlegt, wie die Vorschriften auf allen Ebenen verbessert und dann durchgesetzt werden können.

Diese schnelle Schaffung von Synergien zwischen den verschiedenen Akteuren, insbesondere zwischen Regierungsabteilungen, und der anschließende schnelle und effiziente Aufbau starker Durchsetzungsmechanismen – das ist eine Fähigkeit, die China in den letzten Jahren maßgeblich entwickelt hat.

 

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.

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