Klimareporter°: Herr Holzapfel, der Übergang vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb läuft langsamer als erhofft, nach einem guten Jahr 2023 ist der Absatz eingebrochen. VW streicht eine ganze Schicht in seinem E‑Auto-Werk in Zwickau, Mercedes baut wieder mehr Verbrenner. Stehen wir vor einer Renaissance von Benzin- und Diesel-Autos?

Helmut Holzapfel: Viele Autokäufer entscheiden sich jetzt noch einmal für das angeblich Bewährte. Etwas Ähnliches sehen wir auch bei den Heizungen: Da boomen die Gasthermen, die bei vielen Haushalten bald Schocks durch steigende CO2-Preise auslösen dürften.

Das wird auch beim Auto bald nach hinten losgehen. Stockholm hat jetzt als erste Kommune von der EU die Erlaubnis erwirkt, in Teilen der Stadt Verbrenner ganz zu verbieten. Zahlreiche weitere Städte in Europa planen, schon 2030 oder 2035 CO2-frei zu sein, was mit Verbrennern nicht geht. Entsprechende Verbote sind jetzt schon in Vorbereitung.

Was nützt ein Achtzylinder, wenn ich ihn zu Hause stehen lassen muss? Der Verbrenner hat keine Zukunft, doch es fehlt an Aufklärung dazu. Sonst würde sich die Nachfrage schon jetzt stärker ändern.

Die Autoindustrie macht dafür vor allem die Politik verantwortlich: zu wenige Ladesäulen, gekappte Förderung, verspätete Batterieentwicklung. Aber ist sie nicht auch selbst mit schuld?

Bild: ZMK

Helmut Holzapfel

leitet das Zentrum für Mobilitäts­kultur in Kassel. Der Bau­ingenieur, Stadt­planer und Verkehrs­wissen­schaftler war bis 2015 Professor am Institut für Verkehrs­wesen der Uni Kassel. Er ist Buchautor, berät unter anderem Gewerk­schaften sowie Umwelt­verbände und saß zehn Jahre im Nachhaltigkeits­beirat von Mercedes-Benz.

Es gibt diverse Lobbygruppen, die dem Verbrenner weiter anhängen. Die mächtigste ist die Ölindustrie, ihr Einfluss auf die Politik ist gewaltig. Sie steuert eine völlig abseitige Propaganda gegen Elektroautos.

Da werden dumme Gerüchte gestreut, etwa, im Winter funktioniere ein E‑Auto nicht. Es werden CO2-Vergleiche aufgestellt, die beim E‑Auto die Vorketten aller Bauteile beinhalten, beim Verbrenner den Beitrag von Ölförderung, -verarbeitung und -transport aber nicht. Die Bilanz wäre sonst für Benziner und Diesel verheerend.

Allerdings ist die Autoindustrie, speziell hierzulande, auch zu langsam bei der Entwicklung von E‑Autos gewesen. Gute und günstige Fahrzeuge kommen gerade erst auf den Markt. Und der Branchenverband VDA äußert sich nur vage, er muss sich endlich klar zum Verbrenner-Ausstieg bekennen.

VW und Co bieten derzeit gar keine günstigen E‑Autos an. Warum?

Das ist eine Frage des Profits je Auto. Bei kleinen Fahrzeugen fallen die Fixkosten für die Batterie und die aufwändige Elektronik und Sicherheitstechnik stärker ins Gewicht. Die Konzerne verdienen weniger damit.

Die chinesischen Autokonzerne und der französische Konzern Stellantis werden schneller mit einem 25.000-Euro-E‑Auto auf dem Markt sein als die deutschen Hersteller. Haben diese die Zeichen der Zeit nicht erkannt?

In der Tat liegen nicht nur chinesische, sondern auch europäische Hersteller derzeit vor den deutschen Produzenten. "Vorsprung durch Technik" – aber anderswo. Das ist schade – und gefährlich für letztere, weil Kunden abzuspringen drohen. E‑Autos sind moderner, in der Fahrpraxis attraktiver, als viele denken, sie sind einfacher zu bedienen und besonders für Ältere weit sicherer in der Nutzung. Wer ein E‑Auto fährt, will kaum mehr auf den Verbrenner zurück.

Auf EU-Ebene soll 2026 überprüft werden, ob an dem für 2035 geplanten Verbrenner-Neuwagen-Aus festgehalten werden kann oder nicht. Derzeit sieht es nach Verschieben aus …

Das ist sehr deutsch gedacht. Frankreich und Italien etwa werden wohl daran festhalten wollen. Sie könnten den Termin schaffen und Deutschland dann als Nachzügler brandmarken, der in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zudem Strafzahlungen an die EU leisten müsste.

Und: 2026 werden die Probleme durch den Klimawandel nicht nur uns, sondern vor allem südeuropäische Länder noch weit katastrophaler treffen als aktuell. Wird man das dort durch Mittun beim Kippen des Verbrenner-Verbots noch verstärken wollen? Wohl kaum.

 

Was muss die Politik tun, um 2035 zu halten? Und das Ziel zu schaffen, in Deutschland die Zahl der E‑Autos bis 2030 auf 15 Millionen hochzuschrauben? Derzeit ist das illusorisch.

Politik und Wirtschaft müssen bei uns eine Zeitenwende beim Auto herbeiführen, und unsere Autoindustrie muss eindrucksvoll für ihre exzellenten E‑Autos werben, die hoffentlich bald kommen werden. Da die hohen Emissionen des Verkehrs nach dem novellierten Klimaschutzgesetz von anderen Sektoren wie Energie oder Industrie kompensiert werden sollen, ist auch klar, dass jedes E‑Auto der Wirtschaft an anderer Stelle Freiräume schafft.

Das heißt: Nicht nur die Politik muss handeln, jedes Unternehmen muss umgehend Ladesäulen für die Beschäftigten aufstellen, und Supermärkte oder Hotels ohne Ladesäulen darf es nicht mehr geben.

Schon heute ist der Betrieb eines E‑Autos auch ohne Wallbox am eigenen Haus in der Praxis kaum ein Problem. Es gibt für die heutige Zahl von E‑Fahrzeugen genügend öffentliche Ladesäulen – und ambitionierte Ziele für den weiteren Aufwuchs.

Die Politik muss, statt Illusionen über E‑Fuels zu erzeugen, klar das betonen, was auch die Wissenschaft sagt: Es gibt keine Alternative zum Elektroauto.

 

Müsste die Politik da nicht besonders kleinere, sparsame E‑Autos fördern? Für eine Verkehrswende braucht es ja gerade in der E‑Mobilität wegen der schweren Batterien eher solche Fahrzeuge, nicht große SUV-Flotten.

Eine Förderung von Autos ist generell fragwürdig, auch wenn sie elektrisch sind. Bei E‑Bikes gibt es ja auch keine. Aktuell werden ja überwiegend Verbrenner gefördert, etwa als Dienstwagen. Schon die Einstellung dieser Förderung würde ein Zeichen setzen. Schon gar nicht sollten E‑SUV gefördert werden.

Gefördert werden muss eine Zukunft mit weniger CO2 im Verkehr, sonst wird unser Land weltweit ökonomisch abgehängt und kann dann vielleicht noch die letzten Verbrenner in technisch rückständige Gegenden dieser Welt verkaufen.