Klimareporter°: Herr Holzapfel, Union und SPD versprechen in ihrer Koalitionsvereinbarung einen "Aufbruch in der Mobilitätspolitik", mit der auch die Klimaziele für 2030 und 2045 erreicht werden sollen. Dazu muss an wissen: 2045 darf der Verkehrssektor kein CO2 mehr ausstoßen.

Der ADAC findet die schwarz-roten Pläne gut, Sie als Verkehrsforscher bezeichnen sie als "ökologische Katastrophe". Warum?

 

Helmut Holzapfel: Die künftige Koalition zementiert den absoluten Vorrang des Autos vor den anderen Verkehrsmitteln. Also des Zustands, der die großen Probleme verursacht hat, mit denen wir heute zu tun haben – von unwirtlichen Städten bis zum Stillstand beim Klimaschutz.

Union und SPD ignorieren damit die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Gesundheits- und Umweltfolgen falscher Mobilitätspolitik. Das ist ein Schritt zurück in die 1970er Jahre, als man begann, die Städte und das Land auto- statt menschengerecht umzubauen.

Immerhin wollen die künftigen Koalitionäre das Deutschlandticket erhalten, das den öffentlichen Verkehr attraktiver gemacht hat …

Das Deutschlandticket ist einer der wenigen Lichtblicke, auch wenn es eigentlich verbilligt gehört. Für eine solche Maßnahme will die künftige Koalition kein zusätzliches Geld bereitstellen, anders als für die Erhöhung der Pendlerpauschale.

Das Ticket soll ab 2027 "schrittweise und sozialverträglich" teurer werden, obwohl eine Verbilligung den Verkehrsdruck in den Kommunen entlasten würde. Auch ob genügend Mittel bereitstehen, um den ÖPNV gerade auf dem Land auszubauen, steht in den Sternen.

Das würde viele zusätzliche Investitionen erfordern.

Richtig. Aber Geld ist ja offensichtlich da. Es fließt nicht nur in eine höhere Kilometerpauschale, sondern auch in die Förderung des Agrardiesels und die Subventionierung des umweltschädlichen Flugverkehrs inklusive der Regionalflughäfen. Das ist widersinnig.

Bild: ZMK

Helmut Holzapfel

leitet das Zentrum für Mobilitäts­kultur in Kassel. Der Bau­ingenieur, Stadt­planer und Verkehrs­wissen­schaftler war bis 2015 Professor am Institut für Verkehrs­wesen der Uni Kassel. Er ist Buchautor, berät unter anderem Gewerk­schaften sowie Umwelt­verbände und saß zehn Jahre im Nachhaltigkeits­beirat von Mercedes-Benz.

Der ADAC lobt, Union und SPD würden die "Lebensrealität" stärker anerkennen. Und dazu gehört nun einmal, dass die Auto-Zulassungszahlen weiter steigen …

Trotzdem sind die Pläne der künftigen Regierung zum Straßenneubau rückständig. Seit Jahren weisen Fachleute auf die verfallende Infrastruktur des vorhandenen Netzes hin, auf die Dringlichkeit der Sanierung. Statt das konsequent aufzuarbeiten, halten Union und SPD an einem Bundesverkehrswegeplan fest, der bis auf wenige Ausnahmen unsinnige Neubauprojekte enthält.

Die Folgen werden die Versiegelung weiterer Flächen, ein gewaltiger CO2-Ausstoß allein durch den verbauten Beton und noch mehr Verkehrsdruck sein. Solange der Bundesverkehrswegeplan nicht radikal revidiert wird, sind Behauptungen, die Reparatur des Straßennetzes stehe im Vordergrund, trotz des 500-Milliarden-Sondervermögens für die Infrastruktur Illusion.

Aber werden wir nicht mehr Straßen brauchen?

Nein. Erstens sinkt die Zahl der gefahrenen Kilometer im Pkw-Verkehr seit Jahren, trotz wachsender Autoflotte. Und auch die Fortschritte der Autotechnik machen den Neubau weitgehend entbehrlich. Automatische Spurführung und Abstandsregelung moderner Fahrzeuge ermöglichen Kapazitätsgewinne auf bestehender Infrastruktur von etwa 30 Prozent.

Ein vernünftiges allgemeines Tempolimit etwa von 120 oder 130 auf Autobahnen und 90 auf Landstraßen würde die Kapazitäten noch weiter erhöhen und zudem Luftschadstoffe und Lärm reduzieren. Ein Tempolimit ist aber nicht vorgesehen. Ebenso fehlen Maßnahmen zum Lärmschutz an bestehenden Straßen.

Union und SPD wollen aber durchaus die Bahn stärken.

Das Versprechen, man wolle mehr Verkehr auf der Schiene, ist nutzlos, wenn es nicht mit konkreten Maßnahmen unterlegt wird. Hier müssen aber die künftigen Koalitionäre passen. Der Vorrang von Investitionen in die Schiene vor solchen in die Straße, wie er noch von der Ampel-Koalition festgelegt wurde, fehlt in dem neuen Vertrag.

Auch die Ziele, bis 2030 den Personenverkehr auf der Bahn zu verdoppeln und den Anteil am Güterverkehr auf 25 Prozent zu erhöhen, wurden aufgegeben. Verschärft wird die Lage dadurch, dass aus dem Aufkommen der Lkw-Maut kein Geld mehr für Investitionen in die Bahn fließen soll, anders als bisher. Das ist ein klarer Rückschritt.

Wie erklären Sie sich diese Renaissance der alten Verkehrspolitik?

Besonders ernüchtert bin ich davon, dass die SPD fortschrittliche Positionen geräumt hat. Dort ist offenbar die Angst davor groß, sich ökologisch zu positionieren.

Ich war lange Sprecher für Verkehrspolitik bei einem Arbeitskreis der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und habe auch auf Treffen der SPD-Bundestagsfraktion gesprochen. Ich musste feststellen, dass das Interesse an kritischen Positionen gesunken ist.

Doppelauspuff eines Diesel-Pkw von Nahem.
Aus Angst vor den Rechtspopulisten will nun auch die SPD eine kurzsichtige Verkehrspolitik mittragen, kritisiert Helmut Holzapfel. (Bild: Andreas Lischka/​Pixabay)

Ökothemen, etwa die Kritik an Verbrennerautos, so wurde mir vertraulich übermittelt, nutzten nur der AfD, die sich dem Autovorrang und der Liebe zum Verbrenner verschrieben hat. Daher überlässt man das Feld hier der Union und besonders der CSU, die sich in diesem Bereich wenig von der AfD unterscheidet.

Das geht aber nach hinten los, denn in der Bevölkerung haben fortschrittliche Positionen durchaus eine Mehrheit, etwa beim Tempolimit oder bei der Stärkung von Bahn, Bus und Fahrrad. Die FDP zum Beispiel scheiterte bei der jüngsten Bürgerschaftswahl in Hamburg auch wegen ihrer Pro-Auto-Kampagne.

Ist es nicht verständlich, wenn Union und SPD die aktuelle Krise der Autoindustrie nicht noch verstärken wollen?

Ich sehe nicht, dass die Pläne den Autokonzernen nützen, die derzeit vor der Herausforderung stehen, auf E‑Mobilität umzustellen. Ganz im Gegenteil. Als langjähriges Mitglied in einem unabhängigen Beirat für Unternehmensverantwortung eines großen Autoherstellers weiß ich: Schlimmer als in dieser Vereinbarung konnte es für VW und Co kaum kommen.

Die Konzerne haben E‑Autos teuer entwickelt und bringen jetzt endlich konkurrenzfähige Modelle auf den Markt. Doch nun wird die Kundschaft durch unklare Aussagen im Koalitionsvertrag zur Förderung von E‑Autos verunsichert, in denen weder Summen noch Daten angegeben sind. Die Folge ist, man wird erstmal kein E‑Auto kaufen und auf die Förderung warten.

Ich prognostiziere: Der Absatz der E‑Pkw, der sich gerade erholt hat, wird aktuell wieder abstürzen. Das ist schlecht für die Auslastung der Autowerke und der Zulieferer – und natürlich die Jobs.

Gibt es keine positiven Ausblicke?

Doch, durchaus. Es gibt Bewegung von unten, in den Kommunen. Ich setze darauf, dass die in der letzten Legislaturperiode beschlossenen neuen Möglichkeiten zur Verkehrspolitik in Städten und Gemeinden erhalten bleiben. Deren Baukasten für eine leisere, abgasarme und gesündere Mobilität ist deutlich verbessert worden. Das geht von der Möglichkeit, Fahrradzonen einzurichten, bis zu vereinfachten Regelungen für Tempo 30.

Das wird auch die neue Koalition nicht revidieren, zumal viele Kommunen das bereits aktiv umsetzen, und zwar parteiübergreifend, oft sogar unter Mitwirkung der FDP.

 

Und im Bund?

Hier ist es schwieriger, aber nicht aussichtslos. Wir brauchen eine neue Umweltdebatte, die klarmacht: Es geht bei der Neubewertung etwa des Straßenbaus nicht vordringlich um Frösche und Fledermäuse, so wichtig sie sein mögen, sondern vor allem um die Gesundheit von uns Menschen, und es geht auch nicht nur abstrakt um Umwelt und Klima, sondern um konkrete Risiken durch mehr Extremwetter, die Gefahren für Leib und Leben bringen und viel Geld kosten werden.

Wenn es gelingt zu zeigen, dass die Zerstörung unserer ökologischen Grundlagen viel teurer kommt als vielen bewusst ist, werden wir für eine andere Mobilitätspolitik eine bessere Grundlage haben.

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