Andreas Knie. (Foto: Sebastian Knoth)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung. Sein Steckenpferd ist das Verkehrswesen von morgen.

Klimareporter°: Herr Knie, Verkehrsminister Scheuer hat in dieser Woche den "Schienenpakt" vorgestellt. Damit soll die Zahl der Bahnfahrgäste bis 2030 verdoppelt und der Anteil der Schiene am Güterverkehr auf 25 Prozent erhöht werden. Angekündigt werden ein Deutschland-Takt, beginnend Ende des Jahres, und mehr Kapazität durch Strecken-, Korridor- und Knotenausbau sowie Digitalisierung. Ist das ambitioniert genug?

Andreas Knie: Dass wir uns erst jetzt, im Jahr 2020, mit dem Thema Deutschland-Takt befassen, ist schon peinlich genug. Wir haben alle gedacht, dass mit der Bahnreform und der Fusion von Reichsbahn und Bundesbahn die Probleme der Schiene gelöst sind. Welch ein Irrtum!

Die Schiene blieb in der deutschen Autogesellschaft immer in der Nische mit einem Marktanteil von nicht einmal zehn Prozent.

Wir brauchen mehr Angebote und eine Servicekultur, die sich endlich von der Betriebslogik der Daseinsvorsorge löst: "Zug fällt aus" oder "Fahrkartenautomaten" und "Fahrkartenschalter" sind alles noch Relikte des frühen 20. Jahrhunderts. Wenn die Schiene eine Alternative werden soll, muss sie für viele Menschen nutzbar sein und endlich im digitalen Zeitalter ankommen.

Vor allen Dingen: Die Bahn muss endlich verstehen, dass Menschen von einem Ort zu einem anderen Ort wollen, nicht von Bahnhof zu Bahnhof.

Das Verkehrsministerium bekommt im Nachtragshaushalt mehr Geld – vor allem für den Bau von Straßen. Ist das nötig?

Wer heute noch Straßen baut, erntet morgen noch mehr Autoverkehr. Wir sind noch längst nicht in der Verkehrswende angekommen.

Während die Berliner ein paar Kilometer Pop-up-Fahrradstreifen feiern und sich wie Bolle über ein paar Quadratmeter mehr Platz freuen, wird ganz klamm und heimlich mitten in Berlin die Stadtautobahn A 100 ausgebaut. Stückpreis: eine Milliarde Euro.

Wir sehen: In der Verkehrspolitik von morgen ist die Vergangenheit weiterhin fest eingebaut. Ein Wandel ist nicht vorgesehen.

Nach Jahrzehnten wurde die Produktion der Segway-Stehroller eingestellt. Warum werden solche Mobilitätskonzepte erst als revolutionärer Durchbruch elektrifizierter Mikromobilität gefeiert und gehen dann sang- und klanglos ein? Ein ähnliches Schicksal droht auch den E-Scootern – oder?

Der Segway kam zu früh, heute würde man ihn offener empfangen. Als er in der Öffentlichkeit erschien, gab es noch keine Rechtsgrundlage, keine legale Form, ein solches Gerät in einen alltäglichen Regelungsbetrieb zu überführen.

Der Segway konnte auch nie sein Image abstreifen, vor allen Dingen ein Verkehrsmittel für dicke Menschen zu sein. Und: Er hat völlig die Sharingwelle als moderne Vertriebsplattform verpasst.

Die E-Roller und -Tretroller sind heute anders eingebettet und werden – auch wenn es uns zurzeit schwerfällt, das zu glauben – in einer zukünftigen Stadtstruktur nicht mehr wegzudenken sein.

Sobald dem Auto der gigantische Platz genommen wird und wir eine demokratische Raumgestaltung haben, werden diese Angebote Massenverkehrsmittel.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Eine böse: Die Einstellung des Betriebs von Clevershuttle war ein schwarzer Tag für die Verkehrswende in Deutschland und besonders für die betroffenen Städte Dresden, Berlin und München.

Trotz aller Beteuerungen hat die DB AG wieder mal eine Innovation wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Staatskonzern digitale Plattformen nicht beherrscht und das Geschäft mit der Zukunft nicht versteht. Es wird wohl alles wieder aus den USA kommen.

Fragen: Sandra Kirchner, Jörg Staude

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