Klimareporter°: Herr Knie, bringt das 49-Euro-Ticket den erhofften Schub für mehr Klimafreundlichkeit im Verkehr?
Andreas Knie: Leider nein. Der große Schub wird es nicht. Der Preis ist schlicht zu hoch. Um wirklich viele Menschen aus dem Auto heraus- und in Bus und Bahn hineinzubringen, wären 29 Euro gut gewesen.
Man hätte noch den Fernverkehr, also auch den ICE, hinzunehmen müssen und für die erste und letzte Meile ein digitales Sammeltaxi. Das wäre ein Kracher geworden.
So bleibt es leider bei einem leichten Lüftchen. Wir erwarten nicht mehr als drei bis fünf Prozent Verschiebung im Verkehrsmarkt zugunsten des öffentlichen Verkehrs.
Trotzdem ein guter Ansatz?
Ja! Vor zwei Jahren wären wir alle glücklich mit einer solchen Idee gewesen. Mit einem Ticket quer durch Deutschland fahren zu können, das war immer der Traum der Verkehrsforschung. Das Deutschlandticket zeigt, dass es geht – auch wenn die erste Version noch dringend ausbaubedürftig ist.
Wie kommen Sie auf den Preis von 29 Euro?
Das Neun-Euro-Ticket im vorigen Jahr hat gezeigt, dass ein günstiges Angebot viele Menschen zum Umsteigen bringen kann. Wir wissen aus den Ergebnissen der sozialwissenschaftlichen Forschung, dass ein Preis von über 29 Euro pro Monat nicht mehr attraktiv ist und dass die Ticketnutzung einfach sein muss.
Letzteres ist nun gegeben, die 49 Euro aber sind zu hoch.
Bund und Länder geben zusammen immerhin drei Milliarden Euro jährlich aus, damit die Verkehrsverbünde bei ihren Monatstickets auf 49 Euro heruntergehen können. Was würde das von Ihnen vorgeschlagene Ticket kosten?
Eine wirkliche attraktive Alternative mit 29 Euro für alle Segmente des öffentlichen Verkehrs sowie Pooling-Angeboten zur Haltestelle und zurück würde zehn bis 14 Milliarden Euro kosten. Also sieben bis elf Milliarden Euro mehr, als Bund und Länder bisher bereit sind auszugeben.
Wie könnte dieses 29-Euro-Ticket denn finanziert werden?
Wir müssten uns endlich einmal von der permanenten öffentlichen Finanzierung des Autos verabschieden. Dieselsubventionierung, Dienstwagen-Privileg sowie die Entfernungspauschale – um nur einige Subventionen zu nennen – kosten den Staat rund 14 Milliarden Euro. Das Geld hätte man gut für die Finanzierung eines 29-Euro-Tickets nutzen können.
Hat so etwas unter einem FDP-Verkehrsminister Volker Wissing denn eine Chance?
Mit Herrn Wissing kann man über weitere Reformen des öffentlichen Verkehrs sowie auch über eine Novelle der Straßenverkehrsordnung durchaus reden. Leider blockieren hier die Länderminister. Über weniger Förderung für Autos aber kann man mit Herrn Wissing leider nicht sprechen.
Immerhin will die Ampel-Bundesregierung die Fahrgastzahlen bei der Bahn bis 2030 verdoppeln. Ist das realistisch?
Andreas Knie
Der Verkehrsforscher Andreas Knie leitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) die Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung. Er ist Professor für Soziologie an der TU Berlin, außerdem gehört er dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.
Das Ziel an sich ist lobenswert. Doch wir brauchen dazu eine Bahnreform 2.0. Das System von Zügen und Bussen immer weiter auseinanderzureißen, um sie im Wettbewerb einzeln zu optimieren, hat nicht funktioniert.
Wir geben bei der Bahn heute rund die Hälfte der öffentlichen Mittel für Anwaltskanzleien, eine Besteller-Bürokratie für Züge und für Renditen ausländischer Konzerne aus – und das alles auf dem Rücken der Beschäftigten.
Die Finanzmittel müssen wieder zurück in die Kernaufgabe fließen und unmittelbar zur Finanzierung von Bahn-, Bus- und Taxi-Kilometern ausgegeben werden. Wir brauchen die alte Bundesbahn zurück und können dann über Wettbewerbsmodelle nachdenken, aber nicht um Betriebsleistungen, sondern um die Kunden.
Billige Tickets allein reichen wohl kaum, um eine echte Verkehrswende auszulösen. Was muss sonst noch geschehen?
Man muss die Privilegien des Autos abbauen. Das heißt: Kein privates Auto darf mehr auf öffentlichem Raum geparkt werden. Die Subventionierung von Kauf und Betrieb von Fahrzeugen muss beendet werden. Wir müssen die Straßenverkehrsordnung verändern, die die Vorfahrt für das Auto zementiert.
Und wir brauchen einen Stopp für alle Straßen-Neubauten. Und keine Zulassung mehr für Bundes-, Landes- und Kommunalstraßen ohne sicheren Fahrrad- und Fußweg.
Mal im Ernst: Wollen die Menschen überhaupt eine Verkehrswende? Die Zahl der zugelassenen Autos ist in den letzten Jahren weiter stark gestiegen, auf jetzt über 48 Millionen. Und der Anteil der SUVs steigt. Eine Abstimmung mit dem Gas- respektive Strompedal ...
Die Menschen wollen durchaus Veränderung. Wir sind alle darüber erschrocken, wie stark die auch politisch stark geförderte Abhängigkeit vom Auto ist und wie umfassend sie unser Leben heute bestimmt. Alternativen haben da nur wenig Platz. Allerdings haben wir auch erlebt, dass ein anderes Verkehrsverhalten möglich ist.
In diesem Sinne hatte die Pandemie auch etwas Gutes. Fast 40 Prozent der Beschäftigten fahren heute nur noch an drei Tagen pro Woche ins Büro, und viele freuen sich über die beim Pendeln eingesparte Zeit. Die Autogesellschaft wird müde und sucht nach Alternativen. Daran kann man anknüpfen.