In ganz Europa ist Deutschland das einzige Land ohne allgemeines Tempolimit auf Autobahnen. Auch international setzt nur noch eine Handvoll Entwicklungsländer auf die "freie Fahrt", wie Burundi, Bhutan, Haiti, Libanon und Mauretanien.

Die Vernunft spricht also dafür, dass die Bundesrepublik auf die Linie der übergroßen Mehrheit der Staaten einschwenkt – aus Klimagründen, wegen der Verkehrssicherheit und um das Fahren entspannter zu machen. Die aktuellen Koalitionsverhandlungen von Union und SPD bieten die Gelegenheit dafür, doch CDU und CSU mauern.

 

Passend dazu hat nun das Bundesverkehrsministerium den Klimaeffekt der Maßnahme herunterrechnen lassen. Das trifft bei anderen Fachleuten auf Widerspruch.

Die bisher umfassendste Bewertung des Klimaschutz-Nutzens von Tempolimits stammt vom Umweltbundesamt (UBA), das dem Umweltministerium untersteht. Laut der Studie, vorgelegt Ende letzten Jahres, würde ein generelles Tempo 130 auf Autobahnen den Treibhausgas-Ausstoß um 3,2 Millionen Tonnen jährlich senken, bei 120 wären es sogar 5,6 Millionen.

Noch wirkungsvoller, aber wohl auch schwerer durchzusetzen wäre eine Kombination von Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen – mit 11,7 Millionen Tonnen. Auf einen Schlag einzusparen wäre so je nach Variante 2,2, 3,9 oder 8,1 Prozent der Gesamtemissionen im Straßenverkehr, die 144 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent betragen (Stand 2022).

Analyse für Minister Wissing kommt auf geringere Klimawirkung

Die UBA-Studie galt bei der Veröffentlichung als Wegmarke. Denn sie zeigte: Je nach Ausgestaltung könnte die Tempobremse den Klimaschutz im Verkehrssektor, bei dem es seit Jahrzehnten kaum Fortschritte gibt, spürbar nach vorne bringen. Vorher hatte es kaum aktuelle Daten zu dem Thema gegeben, diskutiert wurde zumeist aufgrund von Hochrechnungen älterer UBA-Untersuchungen.

Offenbar aber behagten die neuen Ergebnisse dem von Volker Wissing (parteilos, früher FDP) geleiteten Bundesverkehrsministerium nicht. Wissing ist erklärter Tempolimit-Gegner. Sein Haus gab eine eigene Analyse in Auftrag, und zwar bei der Bundesanstalt für Straßen- und Verkehrswesen (BASt).

Ein Tempolimit wäre in Deutschland ein Kulturbruch. (Bild: Christian Schwier/​Shutterstock)

Die neue Untersuchung, die nur Tempo 130 durchnahm, kommt nun zu einer niedrigeren CO2-Einsparung von 1,3 bis zwei Millionen Jahrestonnen, und zwar in Abhängigkeit vom Befolgungsgrad.

Tatsächlich wären sogar bis zu 4,2 Millionen Tonnen drin, also mehr als vom UBA angesetzt – dann nämlich, wenn die Autos technisch auf 130 Spitze begrenzt würden. Dieses Szenario, bei dem Überschreitungen praktisch ausgeschlossen wären, hält das BASt jedoch für "hypothetisch".

Verkehrsstaatssekretär Hartmut Höppner jedenfalls zog aus der Veröffentlichung den Schluss: "Die Einführung eines Tempolimits würde zwar zu Einsparungen führen, diese fallen allerdings nicht so hoch aus wie von vielen Seiten behauptet."

Laut dem Ministerium liegt der CO2-Ausstoß auf deutschen Autobahnen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bei 38,7 Millionen Tonnen CO2 im Jahr (Daten für 2023). Im mittleren der BASt-Szenarien, bei halbwegs guter Befolgungsrate, könnten also mit zwei Millionen Tonnen immerhin gut fünf Prozent dieser Emissionen eingespart werden.

UBA rechnete auch Nachfrageeffekte ein

Entscheidend für den Erfolg eines Tempolimits wäre dabei nicht zuletzt, wie konsequent es kontrolliert wird und welche Sanktionen bei Verstößen ausgesprochen werden. Andere Fachleute bewerten die neuen Zahlen denn auch nicht so zurückhaltend wie Höppner.

Beim Verkehrsclub VCD hieß es dazu, die Zahlen des Wissing-Ministeriums bestätigten im Wesentlichen die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen, die einen erheblichen Nutzen der Tempobremse für das Klima ermittelt hätten.

Dem umweltorientierten Verkehrsverband zufolge erklären sich die unterschiedlichen Zahlen bei Tempo 130 – 3,2 Millionen Tonnen beim UBA gegenüber 1,3 bis zwei Millionen bei der BASt – durch wesentliche Unterschiede in der Berechnung. Das BASt hat laut VCD nur die direkten Auswirkungen einer verringerten Durchschnittsgeschwindigkeit auf bisher unlimitierten Autobahn-Abschnitten untersucht. Das sind rund 70 Prozent der Stecken.

An einer Brücke über die Autobahn A 49 wurde ein Protest-Slogan aufgemalt: Mit Vollgas in die Klimahölle.
Vor einer Woche: Protest gegen die neue Autobahn durch den Dannenröder Forst in Hessen. (Bild: Wald statt Asphalt)

Das UBA hingegen habe weitere Effekte berücksichtigt, darunter eine veränderte Verkehrsnachfrage und Verlagerungen auf die Bahn, die zusätzliche CO2-Einsparungen bringen würden. VCD-Experte Michael Müller-Görnert jedenfalls betonte: Keine andere Maßnahme im Verkehrsbereich habe einen so hohen Klimanutzen wie ein Tempolimit auf der Autobahn.

Unter Fachleuten umstritten ist, welche Bedeutung ein Tempolimit zukünftig haben wird, wenn die Pkw-Flotte nach und nach auf Elektroantrieb umgestellt wird. Staatssekretär Höppner, der FDP-Mitglied ist, betonte: "Je mehr E‑Autos es gibt, desto geringer würde über die Jahre hinweg das CO2-Einsparungspotenzial durch ein generelles Tempolimit."

Tatsächlich fahren die E‑Autos bei steigendem Ökostrom-Anteil im Netz immer emissionsärmer. Derzeit liegt der Anteil bei 60 Prozent, 2030 sollen laut Bundesregierung 80 Prozent und 2035 fast 100 Prozent erreicht sein. Auch in den UBA-Berechnungen ist dieser Effekt durch verschiedene Szenarien übrigens berücksichtigt.

Verkehrsforscher: Auch E-Autos brauchen ein Tempolimit

Der Kasseler Verkehrsprofessor Helmut Holzapfel betont allerdings, ein Tempolimit sei auch bei 100 Prozent E‑Mobilität sinnvoll. "Es schont die auf absehbare Zeit weiterhin knappe Ressource Ökostrom, der Stromverbrauch von E‑Autos steigt bei höheren Geschwindigkeiten nämlich enorm an. Außerdem hilft es bei der Reichweite, man muss nicht so schnell nachladen."

Weiteres Argument: Ein allgemeines Tempolimit erlaube es den Autokonzernen, vom bisherigen Irrweg des "Schneller und Schwerer" bei der Pkw-Konstruktion abzugehen. Auch das werde zur CO2- und Ressourceneinsparung beitragen, so der Experte.

Und: "Die Tempobremse ist eine der wenigen Maßnahmen, die nichts kostet und sofort spürbare Effekte bringt. Und zwar nicht nur fürs Klima, es wird dank des gleichmäßigeren Fahrens auch weniger Staus und Unfälle geben."

In den aktuellen Koalitionsverhandlungen jedenfalls geriert die Union sich als Verfechterin der "freien Fahrt". Sie übernimmt damit den Part der FDP, die in der Ampel-Regierung das Nein zum Tempolimit gegen SPD und Grüne durchgesetzt hatte.

Im geleakten Einigungspapier der Arbeitsgruppe Verkehr ist das Thema als Streitpunkt markiert. Die Union will im Koalitionsvertrag stehen haben: "Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen lehnen wir ab." Die SPD-Position lautet dagegen: "Wir führen ein allgemeines Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen ein." Man darf gespannt sein, was Merz, Klingbeil und Co in den Schlussverhandlungen daraus machen.

 

Die Bürger jedenfalls sind seit Jahren nach Umfragen mit klarer Mehrheit für die Tempobremse. Auch eine vorige Woche veröffentlichte Forsa-Umfrage erbrachte eine Zustimmung von 57 Prozent.

Vergangenes Jahr sprach sich mit 55 Prozent sogar die Mehrheit der ADAC-Mitglieder dafür aus. Das ist der Verband, der früher für die "freie Fahrt für freie Bürger" kämpfte, den Slogan inzwischen aber eingestampft hat, weil er zur Realität einfach nicht mehr passt.