Rund 10.000 Interviews in vier Erhebungswellen des Forschungsprojekts Mobicor von 2020 bis 2023 ergaben: Das Auto ist zwar nach wie vor die Nummer eins unter den Verkehrsmitteln in Deutschland, es wird aber weniger gefahren. Gewinner sind die Füße: Seit der Pandemie wird so viel gelaufen wie schon lange nicht mehr.

In den Städten und dort, wo es Radwege gibt, gewinnt das Fahrrad an Bedeutung. Verlierer bleibt der öffentliche Verkehr. Das zeitweise geltende Neun-Euro-Ticket und das Deutschlandticket haben zwar richtige Anreize gesetzt, für das Gelingen der Verkehrswende sind die Angebote aber nicht ausreichend.

Mobicor-Studie

Seit 2020 untersucht das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) gemeinsam mit dem Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bonn das Verkehrsverhalten in Deutschland. Mit finanzieller Unterstützung des Bundesforschungsministeriums wurde zwischen 2020 und 2023 in vier Erhebungswellen das Verhalten der Menschen analysiert, basierend auf Zufallsstichproben, die gewichtet und repräsentativ hochgerechnet wurden. Zum Einsatz kamen auch Trackingverfahren und qualitative Interviews.

Mit einem Anteil von 60 bis 65 Prozent der täglichen Wege dominiert der motorisierte Individualverkehr weiter den Alltag in Deutschland. Die mit dem Auto gefahrenen Kilometer gehen aber insgesamt zurück.

Die Verkehrsleistung des Autos liegt auch im Jahr 2023 weiterhin unter den Werten von vor der Pandemie. Die Menschen suchen nach Wegen, das eigene Verhalten zu verändern. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gab an, weniger Auto zu fahren.

Die Bedeutung des Fahrrads bleibt hoch. Seine Nutzung nimmt gegenüber dem Pandemie-Hoch in den Jahren 2020 und 2021 aber nicht weiter zu. Während der Pandemie hatte das Rad vor allem in den Städten stark an Zuspruch gewonnen. Bundesweit erreicht es nun knapp zehn Prozent der täglichen Wege. Allerdings schwanken die Werte saisonal stark und die Messzeiträume für die Fahrradnutzung lagen 2022 und 2023 bereits in einer etwas kälteren Jahreszeit.

In den Ballungsräumen und in mittelgroßen Städten wie Bremen oder Leipzig hat das Rad aber mittlerweile einen Anteil von knapp 30 Prozent der täglichen Wege und teilt sich dort den ersten Platz mit dem Auto oder liegt teilweise sogar vorn. Jedoch steigt dort, wo keine gute Infrastruktur vorhanden ist und es keine sicheren Fahrradwege gibt, die Nutzung des Fahrrads nicht weiter an.

Die Nutzungszahlen des öffentlichen Verkehrs bleiben mit Blick auf die erwünschte Senkung der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor weiterhin ernüchternd. Busse und Bahnen sind weit davon entfernt, das viel zitierte Rückgrat der Verkehrswende zu sein.

Zwar ist nach den dramatischen Verlusten im Lockdown die Zahl der Bahn- und Busfahrenden wieder gestiegen, doch auch nach Einführung des Deutschlandtickets, das nach den "Mobicor"-Ergebnissen bisher nur wenige aus dem Auto in den ÖPNV locken konnte, bleiben die Fahrgastzahlen weit hinter den Erwartungen zurück. Sie erreichen bislang gerade das Niveau der Vor-Corona-Zeit.

Der klare Gewinner bei der Verkehrsmittelwahl in und nach der Pandemie ist der Fußverkehr. Sein Anteil, der in Lockdown-Zeiten fast 30 Prozent betrug, hat sich bei mehr als 25 Prozent eingependelt.

Dies bedeutet: Nach dem Auto sind die Füße das meistgenutzte "Verkehrsmittel" in Deutschland. Dieser Wert hat sich auch nach dem Wegfall der Corona-Restriktionen stabilisiert. Dies ist umso überraschender, als der Fußverkehr in den verkehrspolitischen Auseinandersetzungen bislang praktisch keine Rolle spielt.

Das Auto ist nicht der "Pandemie-Gewinner"

Fasst man die Ergebnisse der insgesamt fünf Mobicor-Wellen, die von 2020 bis 2024 erhoben wurden, vor dem Hintergrund der debattierten "Verkehrswende" zusammen, lässt sich vordergründig feststellen: Das Auto hat sich als dominantes Verkehrsmittel behauptet, es ist aber auch kein "Gewinner" der Pandemie. Es konnte seinen Anteil am Modal Split bei der Zahl der Wege knapp und bei den Verkehrsleistungen eher behaupten.

Bei der Autonutzung gibt es ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. In den großen Ballungsräumen wie etwa Berlin ist das Auto gemessen an der Zahl der täglichen Wege nicht mehr führend. Deutschlandweit zeigt sich, dass die mit dem Pkw insgesamt absolvierten Verkehrsleistungen gegenüber dem Vergleichsjahr 2019 eher gesunken sind. Dies kann an dem beständig hohen Ausmaß orts- und zeitflexibler Arbeit liegen, wodurch lange Pendlerwege deutlich weniger werden.

Mehr Fußverkehr – sonst hat sich durch die Corona-Pandemie nicht allzu viel am Modal Split geändert. (Bild: WZB)

Die Füße als der große Gewinner der Pandemie bei den Verkehrsmitteln hatten zwischenzeitlich sogar – gemeinsam mit dem Rad – den öffentlichen Nahverkehr überholt, nicht nur bei der Zahl der Wege, sondern auch bei den Verkehrsleistungen. Auch wenn das der Pandemie und dem Schutz vor Infektionen geschuldet war, deutet sich eine Renaissance des Fußverkehrs an, dessen Anteil auch in der fünften Mobicor-Welle 2024 noch deutlich über dem Wert der letzten Erhebung "Mobilität in Deutschland" (MiD) aus dem Jahr 2017 liegt.

Beim Fahrrad sind die Tendenzen nicht ganz eindeutig. Gemessen am Referenzjahr 2019 steigt deutschlandweit der Anteil des Rades zwar leicht – und dort, wo die entsprechende Verkehrsinfrastruktur vorhanden ist, sogar stark.

In der fünften Erhebungswelle 2024 ist erstmals eine deutschlandweite Stagnation festzustellen. Das Fahrrad punktet interessanterweise vor allem in mittelgroßen Städten und ist zum Teil – etwa in Leipzig oder Bremen – das führende Verkehrsmittel nach der Zahl der Wege.

Das Sorgenkind bei der Verkehrsmittelwahl ist und bleibt der öffentliche Personennah- und Fernverkehr. Gemessen an den Werten von 2017 und auch von 2019 bleiben die Zahlen 2024 immer noch hinter den Erwartungen zurück. Besonders im ländlichen Bereich gibt es im Bus- und Bahnsegment kaum noch Nutzende.

Das Neun-Euro-Ticket, das 2022 für drei Monate galt, hat allerdings gezeigt, dass die Menschen Busse und Bahnen noch längst nicht vergessen haben – wenn die Konditionen stimmen. Die rund 58 Millionen verkauften Neun-Euro-Tickets belegen das grundsätzliche Potenzial des öffentlichen Verkehrs eindrucksvoll.

Interessant ist dabei auch, dass Menschen mit besonders niedrigem Einkommen genauso unter den Neukund:innen waren wie Menschen mit sehr hohem Einkommen. Das Neun-Euro-Ticket erfüllte offenkundig so etwas wie den Wunsch nach einer "Mobilitätsreserve", die man gerne in der Tasche hat.

Foto: David Außerhofer

Andreas Knie

Der Sozial­wissen­schaftler mit den Schwer­punkten Wissen­schafts­forschung, Technik­forschung und Mobilitäts­forschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungs­gruppe Digitale Mobilität am WZB. Er ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.

Mit dem 49-Euro-Ticket ist dieser Effekt aber leider kaum eingetreten. Zumal die Befragten auch mehrheitlich nicht daran glauben, dass der Preis dieses "Deutschlandtickets" stabil gehalten werden kann, dafür waren die Debatten über die Finanzierung zwischen Bund und Ländern zu heftig.

Was man jedoch aus beiden Tickets erkennen kann, ist eindeutig: Ein einfacher Tarif und ein günstiger Preis sind zwei zentrale Erfolgsfaktoren.

Die qualitativen Auswertungen der Mobicor-Interviews ergaben dabei, dass der Preis des Deutschlandtickets mit 49 Euro als zu hoch angesehen wird. Mit rund elf Millionen verkauften Tickets bleibt der große Erfolg aus. Vor allen Dingen ist keine nennenswerte Umsteigeneigung zu messen.

Zwar freuen sich gerade in den Metropolen die bereits vorhandenen Bahn- und Bus-Kund:innen über eine sehr deutliche Vergünstigung – teilweise haben sich die Kosten halbiert –, es konnten aber nur knapp eine Million Neukund:innen gewonnen werden. Wäre hier eine deutliche Reduzierung des Preises politisch durchsetzbar, würden auch mehr Menschen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen.

Potenziale sind vorhanden, sie müssen "nur" gehoben werden

Für das Ziel Verkehrswende ist nach fünf Mobicor-Wellen festzuhalten: Die Pandemie und ihre Folgen haben zwar zu keiner grundsätzlichen Verschiebung im Modal Split geführt, aber Trends, die bereits vor der Pandemie erkennbar waren, zeigen sich nun deutlicher und bieten viel Potenzial für die Reduktion von Treibhausgasen.

Besonders wirksam – und aktuell mutmaßlich der größte Hebel zur Verringerung von Fahrleistungen – ist die Tendenz zu orts- und zeitflexiblem Arbeiten. Angenommen werden kann hier ein stabiler Anteil von 25 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und eine Zahl von 2,5 Arbeitstagen, die nicht im Büro oder an der Arbeitsstelle verbracht werden.

Hiermit scheint der bundesweit erkennbare Rückgang der Pkw-Fahrleistungen, besonders deutlich in Berlin und Hamburg, zumindest teilweise begründbar. Die tatsächlichen Potenziale sowie mögliche Rebound-Effekte müssen allerdings noch genau untersucht werden.

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

Dennoch lässt sich sagen, dass interessanterweise das Bundesarbeitsministerium hier einen großen klimapolitischen Hebel in Gang gesetzt hat. Das diskutierte Recht auf Homeoffice – zumindest an bis zu zwei Tagen – wäre aus verkehrspolitischer Perspektive zu begrüßen. Auf der anderen Seite bleibt der Trend der steigenden Pkw-Zulassungen unverkennbar. Zuletzt schwächt sich dieser zwar ab und bei steigender Bevölkerung stagniert die darauf bezogene Pkw-Dichte, doch deutet der hohe Anteil gewerblicher Fahrzeuge darauf hin, dass die Vorteile bei der Dienstwagenbesteuerung dabei eine starke Rolle spielen.

Diese abzuschaffen oder nur noch auf batterieelektrische Fahrzeuge anzuwenden, könnte eine Option sein, um die Zahl der Pkw-Zulassungen zu begrenzen.

Beim Thema Fahrrad wird ganz besonders deutlich, wie politische Entscheidungen – oder besser deren Ausbleiben – wirken. Die Ergebnisse der fünften Mobicor-Welle zeigen erstmals eine bundesweit gemessene Stagnation bei der Fahrrad-Nutzung. Offenkundig ist mit der heutigen Infrastruktur nicht wesentlich mehr Fahrradverkehr zu gewinnen. In den Städten reicht der Platz nicht mehr aus und in ländlichen Gebieten ist das Vorhandensein eines sicheren Fahrradweges eher die Ausnahme als die Regel.

Die letzten Jahre haben eindeutig gezeigt, dass mehr Potenzial für dieses umweltfreundliche Verkehrsmittel generiert werden kann. Dabei ist ersichtlich, dass die Fahrradausbaupläne nicht allein in kommunaler Verantwortung liegen können.

Der Bau von Bundesfernstraßen könnte hier als Blaupause dienen: Länder "bestellen" Straßen, der Bund finanziert und baut diese dann. Ähnlich ließe sich auch die Fahrradinfrastruktur weiter voranbringen, die Kommunen scheinen jedenfalls häufig überfordert.

 

Ebenfalls wäre der erfreuliche Trend zu mehr Fußverkehr noch deutlich ausbaufähig, wenn den Fußwegen in der Stadt- und Verkehrsplanung mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht würde. Hier fehlt es schlicht an genügend Platz, der aber durch den Abbau öffentlicher Parkflächen geschaffen werden könnte.

Schließlich zeigen die Mobicor-Befunde, dass die aktuelle Verfassung des öffentlichen Verkehrs nicht dazu angetan ist, die für den Klimaschutz notwendigen Marktanteile zu erreichen. Die Forschungsergebnisse können bei den Reformen aber die Richtung anzeigen: Die Tarife müssen einfach sein beziehungsweise nach Einführung des Deutschlandtickets auch einfach bleiben und nicht wieder durch zusätzliche Vereinbarungen und Sondertatbestände unübersichtlich werden.

Die sehr unterschiedlichen Regelungen zur Mitnahme von Fahrrädern oder Sonderwege wie die zwischenzeitliche Einführung eines 29-Euro-Tickets in Berlin sind nicht dazu angetan, die Benutzung von Bahnen und Bussen einfacher und damit attraktiver zu machen.

Auch der Preis spielt natürlich eine wichtige Rolle. Denkbar wäre, das Ticket bundesweit für 29 Euro einzuführen. Um möglichst einen ähnlichen Effekt wie bei dem Neun-Euro-Ticket zu erreichen, könnten im Preis auch der Fernverkehr und ein Anschlusstaxi für die erste und letzte Meile eingeschlossen sein.

Die Ergebnisse von Mobicor sowie der zusätzlichen Erhebungen lassen jedenfalls deutlich erkennen, dass hier sehr schnell eine sehr große Akzeptanz zu erwarten ist und dann auch ein Umstieg vom Pkw auf den Zug in nennenswertem Umfang stattfinden würde. Zusätzlich erforderliche Mittel wären finanzierbar, wenn dem Ziel der Verkehrswende ein wirklich hoher Stellenwert und nicht nur ambitionierte Worte zugemessen werden.

 

Alles in allem: Selbst im Autoland Deutschland können mit wenigen Änderungen bei den politischen Rahmenbedingungen deutliche Effekte bei der Einsparung von Treibhausgasen im Verkehrssektor erreicht werden. Dies ist auch deshalb möglich, weil Menschen generell sensibler geworden sind und damit beginnen, ihre Lebensumstände abzuprüfen und dort, wo es geht, auch Korrekturen vorzunehmen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Notwendigkeit von Umweltschutz und sich daraus ergebenden Verhaltensänderungen in der gesamten Bevölkerung Widerhall gefunden haben. Wie tief die Veränderung sein kann, hängt allerdings von Umständen und Möglichkeiten ab, die in Deutschland sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und von vielfältigen Faktoren beeinflusst werden: vom Bildungsstand, vom kulturellen und materiellen Vermögen sowie vom unmittelbaren Lebensumfeld.

In jedem Fall wird aber deutlich: Eine ambitioniertere Klimaschutzpolitik würde durchaus auf positive Resonanz stoßen.